Rheinische Post

Debatte um Freiheit und Impfpflich­t

- VON ANTJE HÖNING UND MARTIN KESSLER

Im Bundestag gab es einen ersten heftigen Schlagabta­usch über das umstritten­e Vorhaben. Die Befürworte­r sehen darin eine Möglichkei­t, endlich die Pandemie zu überwinden. Die Gegner pochten auf individuel­le Freiheitsr­echte.

BERLIN/DÜSSELDORF Der Bundestag hat zum ersten Mal das Für und Wider einer allgemeine­n Impfpflich­t gegen das Coronaviru­s diskutiert. Es zeichnete sich noch kein eindeutige­s Meinungsbi­ld ab, wenngleich eine Mehrheit der Rednerinne­n und Redner eine Präferenz für eine gesetzlich­e Impfvorsch­rift erkennen ließ. Die Bundesregi­erung hatte darauf verzichtet, einen eigenen Gesetzentw­urf zur Impfpflich­t einzubring­en. Stattdesse­n haben Vertreter der Ampelparte­ien drei Anträge angekündig­t. Die sehen zum einen eine allgemeine Impfpflich­t ab 18 Jahre vor, zum anderen eine Verpflicht­ung für Über-50-Jährige, sich immunisier­en zu lassen. Der dritte Antrag spricht sich gegen jede Impfpflich­t aus.

Am stärksten für eine allgemeine Impfpflich­t ab 18 Jahre trat Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) ein. Er warnte vor der Möglichkei­t einer Virusverän­derung im kommenden Herbst, die so ansteckend wie die Omikron-Mutation und so gefährlich wie die Delta-Variante sei. „Wenn wir das vermeiden wollen, ist die Impfpflich­t der einzige Weg“, sagte der Minister. Denn sonst würde das Problem voll zurückkomm­en. „Die Freiheit gewinnen wir durch die Impfpflich­t.“

Die entschiede­nste Gegenrede hielt Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki (FDP), einer der Initiatore­n des Antrags, der sich strikt gegen jede Vorschrift ausspricht. Für ihn selbst sei die Impfung ein „enorm befreiende­s Gefühl gewesen“, sagte der FDP-Vize. Die Argumente für eine Impfpflich­t würden ihn dagegen nicht überzeugen. Denn es sei für ihn nachvollzi­ehbar, dass sich Menschen aus religiösen und psychologi­schen Gründen nicht impfen lassen wollen.

Eine vermitteln­de Position nahm Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) ein, der aber wie Lauterbach in seiner Funktion als einfacher Abgeordnet­er sprach. Er plädierte für das mildeste Mittel, um eine höhere Impfquote zu erreichen. Das sei für ihn eine Impfpflich­t

für Über-50-Jährige, wie es der Antrag seines Parteifreu­ndes und Medizinpro­fessors Andrew Ullmann vorsieht.

AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel bezeichnet­e eine Impfpflich­t als „Anschlag auf die körperlich­e Unversehrt­heit“und „elementare­n Zivilisati­onsbruch“. Schließlic­h hätten 99 Prozent der mit dem Coronaviru­s Infizierte­n keinerlei lebensbedr­ohliche Folgen zu fürchten.

Die Rednerinne­n und Redner der Union warfen Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) Führungs- und Orientieru­ngslosigke­it vor, weil die Ampelkoali­tion keinen eigenen Antrag gestellt hätte. Die Bundesregi­erung betreibe „ein Verstecksp­iel“, kritisiert­e der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der Unionsfrak­tion, Tino Sorge. Der Mönchengla­dbacher

CDU-Abgeordnet­e und Rechtsexpe­rte Günter Krings forderte die Ampelkoali­tion auf, endlich ihre Blockade gegenüber einem Impfregist­er

einzustell­en, das einen Überblick über die Corona-Impfungen verschaffe­n könne. Auch Unionsfrak­tionsvize Sepp Müller bemängelte eine fehlende Datengrund­lage.

Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) hat vor dem Hintergrun­d steigender Omikron-Infektions­zahlen in einer zur gleichen Zeit stattfinde­nden Landtagsde­batte in Düsseldorf eine Lockerung der Corona-Schutzmaßn­ahmen vorerst ausgeschlo­ssen. Es könne derzeit „kein Signal zu großflächi­gen und pauschalen Lockerunge­n“geben, sagte Wüst. So sei aktuell die Zahl der Corona-Patienten in den NRW-Krankenhäu­sern in nur zwei Wochen um 50 Prozent gestiegen. Der Ministerpr­äsident sprach sich erneut für eine Impfpflich­t aus: „Impfungen sind der Ausweg aus

der Pandemie. Wir kommen aus den Wiederholu­ngen von Lockerunge­n und Lockdown nur heraus, wenn die Menschen geimpft sind.“

Die Ärzte im Rheinland begrüßen eine Impfpflich­t für alle. „Wenn im nächsten Winter Schulen, Stadien und Gastronomi­e offen bleiben sollen, brauchen wir eine größere Immunisier­ung der Bevölkerun­g“, sagte Frank Bergmann, Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV ) Nordrhein. Von einer Begrenzung der Impfpflich­t auf über 50-Jährige hält er nichts: „Wenn wir eine breite Immunisier­ung der Bevölkerun­g wollen, macht eine Begrenzung auf einzelne Altersgrup­pen keinen Sinn.“Der KV-Chef verwies darauf, dass das Impftempo auch in NRW nachlasse.

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FOTO: IMAGO Bei der leidenscha­ftlich geführten Debatte im Bundestag blieben die Stühle vorne rechts im Bild frei. Hier sitzen sonst die Vertreter des Bundesrats.

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