Deutscher Schlingerkurs in der Ukraine-Krise
Es hat lange gedauert, bis Kanzler Olaf Scholz sich positioniert hat. Kritik kommt vor allem von osteuropäischen Partnern.
(dpa) Erstmals seit Beginn der Krise um den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze sitzen sie wieder an einem Tisch: die Konfliktparteien Ukraine und Russland zusammen mit Deutschland und Frankreich. Es sind zwar nur die außenpolitischen Berater der Staats- und Regierungschefs, die am Mittwoch in Paris wieder direkte Gespräche aufgenommen haben – aber immerhin.
Die Runde wird Normandie-Format genannt, nach dem Ort des ersten Treffens in dieser Konstellation, das kurz nach der Vereinnahmung der ukrainischen Krim durch Russland erstmals stattfand. Seitdem hat es unzählige dieser Gespräche auf allen möglichen Ebenen gegebenen, ohne dass je ein entscheidender Durchbruch zur Lösung des Konflikts erzielt worden wäre. Trotzdem hat das Normandie-Format für die Bundesregierung große Bedeutung. Es ist der Ort, an dem Deutschland seine Rolle bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung des Konflikts auszuspielen versucht. In kaum einem Statement von Kanzler Olaf Scholz (SPD) oder Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zum Ukraine-Konflikt fehlt es. Das Problem: Seit die USA sich eingeschaltet haben und direkt mit Russland über die Krise sprechen, wird die Frage gestellt: Braucht man das jetzt wirklich noch?
„Wir können es uns nicht leisten, Russland einen ganzen Shop voller Gesprächsformate anzubieten, und Moskau kann sich dann eins aussuchen“, sagt zum Beispiel der polnische Vize-Außenminister Szymon Szynkowski vel Sek im Gespräch mit der Deutschen PresseAgentur. Polen sehe nur drei Formate, die von Bedeutung sind: der bilaterale Dialog zwischen den USA und Russland, der Dialog der Nato mit Russland und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Die Kritik am deutschen Kurs gegenüber Russland wächst unter den Verbündeten vor allem im Osten der EU. Eine Kernfrage ist für sie: Wie verlässlich ist ein Land wie Deutschland im Ukraine-Konflikt, das Milliardengeschäfte mit Russland im Energiesektor macht? Scholz hat sich für seine Orientierung in der Krise sehr viel Zeit genommen. Während Außenministerin Baerbock schon frühzeitig von „Härte und Dialog“gegenüber Staaten wie Russland gesprochen und Moskau mit einem „hohen Preis“bei einem Einmarsch in die Ukraine gedroht hat, nahm Scholz sich zunächst einmal zurück. Statt klare Kante zu zeigen, riet er bei seiner EU-Gipfelpremiere Mitte Dezember davon ab, die
Betriebserlaubnis für die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland mit den Bemühungen um eine Deeskalation in der Ukraine-Krise zu verknüpfen.
Danach dauerte es mehr als vier Wochen, bis Scholz sich neu positionierte und wie Baerbock Nord Stream 2 als Sanktionsinstrument für den Fall einer russischen Invasion auf den Tisch legte – jedoch nicht offen, sondern verdeckt. Bei einer Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte er vergangene Woche lediglich, „dass alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt“.
Ein noch größeres Problem ist für die Bundesregierung aber die Frage der Waffenlieferungen. Auch da hat Scholz sich erst in der vergangenen Woche klar positioniert: keine letalen, also tödlichen Waffen für die Ukraine. Dahinter steckt neben den deutschen Rüstungsexportrichtlinien auch der Anspruch, nicht zur Eskalation beizutragen und sich die Gesprächsfähigkeit mit Russland zu erhalten. In Kiew ist die Empörung darüber allerdings groß. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, spricht von „nicht nachvollziehbarer Verweigerung“.