Von Willingen nach Peking
Für Skispringer Stephan Leyhe ist die Generalprobe vor den Olympischen Winterspielen eine ganz besondere. Es geht auf seine Heimschanze ins Sauerland. Dort will sich der 30-Jährige ein gutes Fluggefühl holen.
WILLINGEN Stephan Leyhe steht im Flutlicht auf dem Siegerpodest in Willingen, die Trophäe reckt er gen Himmel. Das Waldecker-Lied erklingt, die Hymne der Region. Der „Willinger Jung“hat gerade seinen ersten Einzel-Weltcup gewonnen, ausgerechnet in der Heimat hat es endlich geklappt.
Seit dem Freudentaumel in Willingen sind nun zwei Jahre vergangen. Seitdem ist für den inzwischen 30-jährigen Sauerländer kein weiterer Weltcuperfolg mehr hinzugekommen. Grund zu Freude und Jubel gab es für ihn in den vergangenen Wochen trotzdem. Leyhe gehört für die Winterspiele im Febraur in Peking zum Kader der deutschen Skispringer. Nach 2018, als er Silber mit dem Team in Pyeongchang gewann, darf er nun zum zweiten Mal an Olympischen Spielen teilnehmen – und auf eine Medaille hoffen.
Damit sei vor der Saison nicht unbedingt zu rechnen gewesen, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Denn nur wenige Woche nach seinem Weltcupsieg in Willingen stürzte Leyhe in Trondheim, riss sich das Kreuzband. Die komplette Saison 2020/21 fiel er aus, die HeimWeltmeisterschaft in Oberstdorf verpasste er.
Statt Weltcup und Medaillenkampf standen für Leyhe Reha und Aufbautraining an. Ab März 2021 ging es dann zurück auf die Schanze, mit dem Ziel, wieder das richtige Fluggefühl und ein erfolgreiches Sprungsystem zu finden. Olympia war erst mal noch in weiter Ferne. Doch nach den ersten Springen der Saison war schnell klar: Leyhe ist zwar noch nicht wieder so konstant wie vor seiner schweren Verletzung, aber er ist in Reichweite zu den Topspringern. Die Olympianorm war schnell geschafft, Leyhe ist souverän die dritte Kraft hinter Karl Geiger und Markus Eisenbichler.
„Mir geht es körperlich und geistig wirklich gut. Auf der Schanze gibt es Wettkämpfe, bei denen alles gut zusammenläuft, wie zum Beispiel in Oberstdorf und Garmisch. Dann gibt es wieder Wettkämpfe, bei denen eine Kleinigkeit fehlt, das Feeling für die Schanze nicht richtig da ist. Ich muss die Sprünge, die ich vor Olympia noch habe, konsequent nutzen, um voran zu kommen“, sagt
Leyhe. Aktuell sei er aber beim Skispringen eher noch im Arbeitsmodus. „Jetzt muss ich wieder dahin kommen, einfach Spaß am Sprung haben zu können. Dass ich mich nicht mehr so sehr darauf konzentrieren muss, wie ich zum Beispiel in der Anfahrt sitzen muss. Diese Routine muss jetzt in den nächsten Sprüngen wiederkommen.“
Auch deswegen ist der Heimweltcup in Willingen für ihn besonders wichtig vor der Abreise nach Peking: „Ich kenne das ganze Drumherum, die Schanze, auch wenn man dort natürlich auch nicht öfter springt als die anderen, auch, weil sie keine Trainigsschanze ist.
Aber ich bin in einer gewohnten Umgebung, das gibt mir schon einen großen Vorteil“, betont Leyhe. „Ich freue mich schon drauf, wieder auf der Schanze zu sein, auf der ich meinen ersten Weltcup gewonnen habe.“
Die Generalprobe vor den Spielen ist wichtig, findet der Willinger. Immerhin sei es noch einmal eine gute Chance, sich mit den anderen zu messen. „Man sollte einfach mit einem zufriedenen Gefühl aus dem letzten Weltcup vor Olympia gehen und nicht so sehr auf die Platzierung schauen, sondern auf die eigene Leistung“, findet Leyhe.
Dass die Fokussierung auf den
Sport auch bei den Winterspielen möglich ist, hofft er zumindest. „Grundsätzlich überwiegt die Vorfreude auf Olympia. Vor allem, weil ich es trotz meiner Verletzung geschafft habe, mich rechtzeitig dafür zu empfehlen. Das war ein großer Schritt für mich“, sagt Leyhe.
Die Diskussionen über einen Boykott der Winterspiele wegen der Menschenrechtsverstöße Chinas sieht der Sauerländer eher bei der Politik. „Es ist gut, dass es diese Diskussionen gibt. Aber für einen Sportler ist das immer auch eine andere Situation. Wir fahren da rüber, weil wir unseren Sport machen wollen, weil wir um Medaillen kämpfen wollen und den Sport in die Welt tragen wollen. Und wir haben nur alle vier Jahre diese Chance. Mit der politischen Lage müssen sich andere Persönlichkeiten eher beschäftigen als wir. Selbst wenn wir zu Hause bleiben, die Medaillen werden trotzdem vergeben.“
Gespannt ist er auf die OlympiaSchanzen, denn auf denen haben bisher noch keine Weltcupspringen stattgefunden. Zu Beginn des Winters wurde dort ein Continental Cup ausgetragen. Dadurch habe man von den Kollegen die ersten Eindrücke bekommen. „Aber man muss einfach selbst einmal drüber springen und dann bekommt man schon ein Gefühl für die Schanze. Das Gute ist: Alle, die Hinfahren sind dort vorher wahrscheinlich noch nie gesprungen“, sagt Leyhe.
Er will die Winterspiele einfach genießen und zeigen, was er kann. Gelungen sei Olympia für ihn, wenn er heile wieder nach Hause komme und nicht zwei Wochen in China Urlaub machen müsse, sagt er lachend und fügt an: „Nein, im Ernst. Um das Drumherum mache ich mir nicht so viele Sorgen. Eine Medaille mit nach Hause zu bringen, wäre schon das Ziel.“
Rechnet er sich also auch Chancen auf eine Einzel-Medaille aus? „Das ist ja die Sache bei Olympia. Das ist alle vier Jahre, und dann ist es ein Tag, auf den es ankommt. Und jetzt ist es sogar eine Schanze, die keiner kennt. Wenn dann noch etwas Wind ist oder ein bisschen Schneefall, dann musst du, um am Ende ganz oben zu stehen, selber in Topform sein und dein Zeug machen, aber du brauchst auch einfach ein bisschen Glück“, sagt Leyhe.