Niederlande machen wieder auf
Obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz bei mehr als 2300 liegt, gibt es im Nachbarland weitere Lockerungen.
AMSTERDAM Seit fünf Uhr am Mittwoch können zwischen Groningen und Maastricht wieder Cafés, Bars und Restaurants besucht werden. Die Öffnung der Gastronomie nach mehr als fünf Wochen strengem Lockdown stand Dienstagabend im Zentrum der Pressekonferenz von Premierminister Mark Rutte und dem neuen Gesundheitsminister Ernst Kuipers in Den Haag. Zugangsvoraussetzung: Impfung, Genesung oder ein negativer Covid- Test.
Schon um 22 Uhr muss in den kommenden sechs Wochen jedoch die gesamte Gastronomie schließen. Damit geht die Regierung weiter als das sie beratende Outbreak Management Team (OMT ), das eine Öffnung bis 17 Uhr vorgeschlagen hatte, die schrittweise verlängert werden könnte. Ein fester Sitzplatz ist dabei Pflicht. Auch kulturelle Veranstaltungen etwa in Theatern und Kinos sind wieder erlaubt, öffnen dürfen auch wieder Zoos oder Freizeitparks. Dort gelten die gleichen Zugangsregeln wie in der Gastronomie. Zoos und Parks sind zudem an das Maximum von einem Besucher pro fünf Quadratmeter gebunden.
Sogenannte essenzielle Geschäfte wie Supermärkte dürfen nun wieder bis 22 Uhr öffnen, nicht-essenzielle sowie Kontakt-Berufe bis 17 Uhr. Erlaubt sind auch Großveranstaltungen mit maximal 1250 Besuchern, solange diese einen Corona-Zugangsnachweis und festen Sitzplatz haben. Nachtleben und Festivals sind damit von den Lockerungen ausgeschlossen. Bei Freiluftveranstaltungen sind mehr Besucher möglich, allerdings höchstens ein Drittel ihrer regulären Kapazität. Letzteres gilt etwa für professionelle Sportveranstaltungen.
Angesichts der Omikron-Welle, die auch in den Niederlanden für Rekord-Infektionszahlen sorgt, sind diese Schritte bemerkenswert. Im Schnitt infizieren sich täglich mehr als 57.000 Menschen, die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt bei 2348,8. Bei den Krankenhaus-Aufnahmen schlägt sich dies jedoch erst seit Kurzem mit einer vorsichtigen Steigung nieder. Diese Entwicklung gilt als Indiz für den allgemein milderen Verlauf einer Omikron-Infektion,
was die Grundlage der nun beschlossenen Lockerungen ist.
In den Krankenhäusern werde das allerdings zu einem deutlicheren Anstieg führen, erwartet Susan van den Hof. Die Epidemiologin beim staatlichen Gesundheitsinstitut RIVM sagte dem öffentlichrechtlichen Sender NOS, sie gehe von einem Höhepunkt Anfang März aus. Entscheidend für die weitere Strategie bei der Virus-Bekämpfung wird nicht zuletzt die Belegung der Intensivstationen. Hier sind die Neu-Aufnahmen in der letzten Woche um 15 Prozent gesunken und liegen demnach so niedrig wie seit Anfang Oktober nicht.
Eine durchaus ambivalente Bestandsaufnahme, die deutlich macht, warum Premier Rutte, dessen neue Regierung vor zwei Wochen antrat, die neuen Regeln so
einleitete: „Wir nehmen heute einen großen Schritt, um die Niederlande zu öffnen, obwohl die Ansteckungszahlen durch die Decke gehen.” Damit suche man „bewusst die Grenzen des Möglichen auf”, auch auf die Gefahr hin, dass der Regierung in einigen Wochen erneut eine „JojoPolitik” vorgeworfen werde. In drei Wochen – zu diesem Zeitpunkt will man in Den Haag über das weitere Vorgehen beschließen – seien die Ansteckungszahlen „sicher viel höher”, so Rutte.
Um die Teilöffnung einzuordnen, ist wichtig, dass in den Niederlande seit Mitte Dezember so einschneidende Maßnahmen wie in keinem anderen Land der Region galten. Der harte Lockdown über die Feiertage steht auch im Kontrast zum gerade in Deutschland verbreiteten Zerrbild, dass die Corona-Politik im Nachbarland lax und halbherzig sei. Ausländische Besucher etwa in Amsterdam wunderten sich in diesen Wochen vielfach darüber, wie weitreichend die Beschränkungen gingen, während etwa in Belgien
und Frankreich die Restaurants gut gefüllt waren.
Just darum schien auch ein längerer Lockdown keine Option. Selbst Minister Kuipers räumte ein, weitere strenge Maßnahmen schadeten „unserer Gesundheit und unserer Gesellschaft”. Hinter dieser Einschätzung steckt nicht zuletzt der wachsende Widerwille in der Bevölkerung. Wenn die Anti-Corona-Maßnahmen wie im Fall der Omikron-Welle allgemein als disproportional wahrgenommen werden, unterminiert das letzten Endes die Position der Regierung. Das ist auch Kuipers klar, der zugleich warnte: „Omikron ist echt kein Grippchen.”
Bemerkenswert ist, dass es dabei offenbar um mehr geht als die Umfragewerte der neuen Koalition. Laut Pieter-Jaap Aalbersberg, dem Nationalen Koordinator von TerrorismusBekämpfung und Sicherheit, ist der Unmut über die Corona-Beschränkungen so hoch wie noch nie. Laut NOS mache Aalbersberg sich darüber „große Sorgen”.
„Wir machen heute einen großen Schritt, obwohl die Zahlen durch die Decke gehen“Mark Rutte Ministerpräsident