Rheinische Post

Studieren mit über 30 – das ist wichtig

Familie, Finanzen, Fachliches: Wer nach einigen Berufsjahr­en Interesse am Studium entwickelt, muss oft andere Hürden nehmen als Abiturient­en. Abschrecke­n lassen sollte man sich davon aber nicht.

- VON HENDRIK POLLAND

BERLIN (dpa) Mehr als ein Jahrzehnt hat sie in ihrem Beruf gearbeitet, dann kamen ihr Zweifel. Anika Schatte ist gelernte Fachfrau für Systemgast­ronomie. Nach verschiede­nen Stationen stellte sie im Laufe der Zeit fest: „Irgendwie ist das alles ja ganz nett. Ich verdiene Geld. Aber ich hangele mich von einem Job zum nächsten.“Das wollte Schatte ändern. Über Umwege stieß sie auf die Bewährungs­hilfe von Straftäter­n. Dieser Beruf setzt allerdings ein Studium voraus. Also entschied sie sich für den Bachelor in Sozialer Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin.

Knackpunkt war das Geld. Die 37-Jährige hatte Bedenken, wie sie das Studium und ihren Alltag mit Familie finanziere­n soll. Schatte nahm einen Studienkre­dit auf und jobbte nebenbei. Studierend­e haben grundsätzl­ich mehrere Optionen: Abgesehen von Nebenjobs und Studienkre­diten können sie sich etwa um ein Stipendium bemühen oder – wenn vorhanden – von Ersparniss­en leben. Bafög fällt ab einem bestimmten Alter weg: Beim Bachelorst­udiengang ab einem Alter von 30 Jahren, beim Master mit Ende 35.

Ausnahmen gebe es nur, wenn jemand wegen eines Kindes vorher nicht studieren konnte, sagt die Berufs- und Studienber­aterin Bärbel Engelmann. Achtung: Selbst ein Kfw-Studienkre­dit unterliegt einer Altersgren­ze von Mitte 40.

Hinzu kommt: Die studentisc­he Krankenver­sicherung gilt in der Regel ebenfalls nur bis 30. Sie kostet dann mehr, wenn es keinen Eheoder Lebenspart­ner für eine Familienve­rsicherung gibt.

Oft stellt sich auch die Frage, wer sich um die Kinder kümmert, wenn Studierend­e über 30 bereits Eltern sind. „Da muss man den gesamten privaten Bereich abklopfen. Gibt es einen Partner? Gibt es vielleicht andere, die auf die Kinder aufpassen könnten?“, so Studienber­aterin Engelmann. Unter anderem von dieser Frage hängt die Art des Studiums ab. Soll es auf Voll- oder Teilzeit sein, ein duales, ein Fern- oder ein Abendstudi­um?

Nicht unerheblic­h ist zudem, wie lange jemand schon aus der Schule raus ist. Trauen sich die Studienint­eressierte­n das Lernen noch zu? Engelmann rät, den eigenen Lerntyp

herauszufi­nden und sich einen realistisc­hen Zeitplan zu erstellen.

Mitunter laufe an der Uni oder der Hochschule über mehre Wochen eine Phase, in der Studierend­e auf gleiches Niveau gebracht werden. Um sicherer zu starten, empfiehlt sie, sich bereits vorher mit dem Stoff zu befassen.

Auch Anika Schatte war sich anfangs unsicher, ob sie dem Studium gewachsen ist. „Ich dachte,

man muss besonders schlau sein, gut lernen können oder braucht viel Freiraum, um sich zu belesen.“Im Nachhinein stellte sich das als unbegründe­t heraus. An ihrer Hochschule hatte sie eine Präsenzzei­t von 20 Stunden die Woche. Außerdem legte sie sich ihre Kurse so, dass sie nebenbei arbeiten gehen konnte. Wenn sie für Prüfungen lernen oder Hausarbeit­en schreiben musste, erledigte sie das eher abends. Das habe für sie und ihre Familie super funktionie­rt, sagt sie.

Warum Ältere überhaupt studieren wollen, ist laut Daryoush Danaii vom Dachverban­d der Studierend­envertretu­ngen eine Frage der Motivation. Entweder sei eine neue berufliche Perspektiv­e das Ziel oder ein angestrebt­er Karriereau­fstieg. Darüber hinaus eröffnen das Alter und die größere Berufserfa­hrung weitere Chancen: Statt eines Abiturs ermögliche­n ein Meisterbri­ef oder entspreche­nde Wartesemes­ter den Zugang zu einem Studium, sagt Danaii.

Das Alter kann also von Vorteil sein. Studienber­aterin Engelmann macht das auch an der Lebenserfa­hrung fest: „Viele von den 18-Jährigen brechen nach zwei bis drei Semestern einfach ab, weil sie sich nicht richtig orientiert haben.“Ältere machten sich in der Regel hingegen mehr Gedanken darüber, was ihnen der Abschluss bringt.

Es ist aber nicht immer einfach, ein ganzes Stück älter als die Mehrheit zu sein. „Dazwischen liegen zum Teil Welten, selbst wenn es nur zehn Jahre sind“, sagt Engelmann. Der persönlich­e Austausch falle oft weg.

Anika Schatte fühlte sich zwar nicht fremd. Einige ihrer Mitstudier­enden seien sogar deutlich älter gewesen. Trotzdem ist ihr der Unterschie­d aufgefalle­n: „Wenn jemand eine eigene Familie hat und in Teilzeit arbeitet, dann sind die Gesprächst­hemen natürlich andere.“Doch das sei normal. Sie müsse eben nicht mehr jedes Wochenende auf ein Festival fahren oder auf eine Party gehen.

Mittlerwei­le hat sie ihren Abschluss gemacht. Jetzt möchte sie als Sozialarbe­iterin in der Straffälli­genhilfe arbeiten. Für den Master hält sie sich für zu alt. Das habe sie aber auch schon bei ihrem Bachelorst­udium gedacht.

„Viele von den 18-Jährigen brechen ab, weil sie sich nicht richtig orientiert haben“Bärbel Engelmann

Berufs- und Studienber­aterin

 ?? FOTO: STEFAN SAUER/DPA ?? Lernen an der Uni ist in jedem Alter möglich.
FOTO: STEFAN SAUER/DPA Lernen an der Uni ist in jedem Alter möglich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany