Rheinische Post

Aus dem Leben gedrängt

In „Schattenst­unde“wird das Lebensdram­a Jochen Klepper in der NS-Zeit erzählt.

- VON CLAUDIA HÖTZENDORF­ER

Im Dezember 1942 lehnte Adolf Eichmann das Ausreise-Ersuchen von Johanna Klepper und ihrer Tochter Renate ab. Der Schriftste­ller und Journalist Jochen Klepper beging daraufhin zusammen mit seiner jüdischen Frau und Stieftocht­er Selbstmord. Benjamin Martins zeichnet in seinem Spielfilmd­ebüt „Schattenst­unde“den letzten Tag der Familie basierend auf Kleppers Tagebuchei­nträgen nach. Anfang der 1940er-Jahre entschiede­n sich allein in Berlin täglich zwischen 20 und 30 jüdische Familien für den Suizid, um nicht deportiert zu werden. Ihre Namen tauchen auf keiner Gedenktafe­l auf, weil sie still aus dem

Leben schieden. Stellvertr­etend für sie erzählt Schauspiel­er und Autor Benjamin Martins die Geschichte des christlich­en Schriftste­llers Jochen Klepper (1903–1942), dessen Texte oder Lieder bis heute Bestandtei­l vieler Gottesdien­ste sind.

Im Verlauf des rund 80-minütigen Films verengt sich der Blick des Zuschauers, so wie die Wände der Wohnung näher zusammenrü­cken und das Mobiliar nach und nach verschwind­et. Symbol für die zunehmende Ausweglosi­gkeit, der sich Juden in dieser Zeit ausgesetzt sahen. Denn tatsächlic­h wohnte die Familie in einem großen Haus in Berlin-Nikolassee. Die Entscheidu­ng, gemeinsam aus dem Leben zu treten, haben die Kleppers überlegt getroffen. Ein Jahr lang bereiteten sie sich auf den Tag vor, bis zuletzt hoffend, Eichmann würde ihrem Ausreisege­such stattgeben. Eichmann (Dirk Waanders) stellt Klepper (Christoph Kaiser) vor die Wahl: Beruf oder Ehe. Doch der Autor und Pionier anspruchsv­oller Hörspielpr­oduktionen geht lieber gemeinsam mit Frau und Stieftocht­er in den Tod, statt sich zu trennen.

Ein Schicksal, das er mit vielen jüdischen Familien und sogenannte­n gemischtra­ssigen Ehepaaren teilte, denen die Zwangssche­idung drohte. Kein leichter Stoff für ein Regiedebüt. Mehrere Jahre lang beschäftig­te sich Martins mit den Tagebuchei­nträgen Kleppers und lehnte die Dialoge eng daran an. Die innere Zerrissenh­eit seiner Hauptfigur setzt er als Marionette­n in Szene, die ihm im Büro von Eichmann zuflüstern oder als alptraumha­fter Schatten begegnen. Ein beklemmend­es Kammerspie­l, das sich alle Mühe gibt, filmische Mittel zu nutzen, aber zuweilen mehr an eine Theaterins­zenierung erinnert. Für die Hintergrün­de sprach der Regisseur mit Verwandten und Freunden der Familie, die überlebten. Darunter die ältere Stieftocht­er Kleppers.

Schattenst­unde Deutschlan­d 2021 – Regie Benjamin Martens, mit Christoph Kaiser, Beate Krist, Dirk Waanders, 79 Min.

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FOTO: HERBSTHUND­FILME Adolf Eichmann (r. Dirk Waanders) stellt Jochen Klepper (Christoph Kaiser) vor die Wahl: Beruf oder Ehe.

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