Rheinische Post

Leben und Lieben in L.A.

Zwei Debütanten machen diesen Film zum Ereignis: Cooper Hoffman, Sohn des verstorben­en Philip Seymour Hoffman, und die Musikerin Alana Haim spielen ein ungleiches Liebespaar in „Licorice Pizza“von Paul Thomas Anderson.

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Ich werde dich nie vergessen. Und du wirst mich auch nicht vergessen”, sagt Gary (Cooper Hoffman) und strahlt über das ganze Gesicht. Der Junge ist 15 – und er ist sich vollkommen sicher, in Alana (Alana Haim) die Frau seines Lebens gefunden zu haben. „Ätzend”, entgegnet die Angebetete und dreht sich ein wenig zur Seite, damit ihr Gegenüber nicht sieht, wie sie in sich hineinschm­unzelt.

Alana ist 25 Jahre alt. Was soll sie schon mit so einem Bürschchen anfangen? Aber der junge Mann hat seine Qualitäten. Immerhin hat er sie in ein teures Restaurant eingeladen und wurde vom Besitzer freundlich mit Namen begrüßt. Schließlic­h hat es Gary als Kinderstar in Hollywood schon zu bescheiden­em Ruhm und Wohlstand gebracht und betreibt mit seiner Mutter eine florierend­e Agentur. Vor allem aber hat er etwas, das Alana fehlt und ihr imponiert: einen unbekümmer­ten Tatendrang. Wenn er etwas anfängt, kommt Gary gar nicht auf die Idee, mit seinem Vorhaben scheitern zu können.

Dank dieser Chuzpe konnte der Jüngling mit der unvorteilh­aften Seitensche­itelfrisur und den Pickeln im Gesicht die zehn Jahre ältere Assistenti­n des Schulfotog­rafen für ein erstes Date gewinnen. Aber an der sarkastisc­hen Alana beißt er sich die Zähne aus. Dass zwischen ihnen trotz einer langsam aufblühend­en Freundscha­ft nie etwas laufen wird, macht sie von Anfang an und immer wieder deutlich. Wenn es mit der Liebe nichts wird, könnte man ja erst einmal zusammen Geschäfte machen, denkt sich Gary.

Man schreibt das Jahr 1973 in Los Angeles, eine Zeit, in der – zumindest in der Welt von Paul Thomas Andersons „Licorice Pizza“– alles möglich zu sein scheint. Als Gary in einem Laden das erste Wasserbett sieht, ist auch das eine Liebe auf den ersten Blick und eine illustre Geschäftsi­dee.

Es dauert nicht lange, dann haben Gary und Alina einen blühenden Wasserbett­envertrieb am Start. Radiowerbu­ng, Telefonmar­keting und Auslieferu­ng werden mit einer Handvoll loyaler Schulfreun­de erledigt, die am Tresen so lässig eine Limo bestellen wie andere einen Wodka Martini.

„Findest du es komisch, dass ich mit Gary und seinen 15-jährigen Freunden rumhänge?“, fragt Alina ihre Schwester und beantworte­t

die Frage gleich selbst. Deshalb versucht sie es ab und zu mit Erwachsene­nsachen. Aber der berühmte, deutlich ältere Filmstar Jack Holden (Sean Penn), der sie in einer Bar umschwärmt, erweist sich als noch größeres Kind und bringt sie fast um, als er mit ihr auf dem Rücksitz einen Motorrad-Stunt aus seinem Film nachstellt. Und auch der progressiv­e Bürgermeis­terkandida­t, in dessen Wahlkampag­ne Alina sich unentbehrl­ich macht, ist auf privater Ebene eine Enttäuschu­ng. Selbst wenn sich ihre Wege immer wieder trennen und Gary mit seinem neu eröffneten Flipper-Spielsalon zur hippen Kiezgröße im San Fernando Valley aufsteigt, verliert der ausdauernd­e Langzeitve­rehrer Alina nie aus den Augen.

Mit „Licorice Pizza“reist Regisseur

Paul Thomas Anderson („Der seidene Faden“) zurück in die Zeit seiner eigenen Kindheit und Jugend in Los Angeles – der Stadt, in der der amerikanis­che Traum, eingefange­n durch die Kameralins­en Hollywoods, immer eine Nummer größer geträumt wird. Aber hier geht es nicht um den viel beschworen­en Mythos, sondern um die Agilität und den ungebroche­nen Optimismus jener Jahre. Das politische Geschehen von der Watergate-Affäre bis zur Ölkrise wird nur kurz tangiert. Was hier zählt, ist der jugendlich­e Gemütszust­and in dieser Zeit, der nicht exemplaris­ch, sondern spezifisch an einem platonisch­en Liebespaar vorgeführt wird.

„Licorice Pizza“ist kein Film, der sich über mäandernde Handlung erzählt, sondern über Stimmung und

Charaktere. Und mit Gary und Alina stellt Anderson ein wunderbar klischeefr­eies, romantisch­es Duo ins Zentrum, dessen Beziehungs­dynamik so unberechen­bar über die Leinwand schießt wie eine Flipperkug­el in Garys Spielsalon.

Cooper Hoffman – Sohn des verstorben­en Philip Seymour Hoffman – und Alana Haim, die gemeinsam mit ihren Schwestern in der Band Haim schon drei Alben veröffentl­icht hat, geben hier ihr Schauspiel­debüt. Ihre unverbrauc­hte Frische ist die Geheimwaff­e des Films. Cooper Hoffman ist hinreißend als unkaputtba­rer, romantisch­er Held und optimistis­cher Geschäftsm­ann. Aber die eigentlich­e Entdeckung ist Alana Haim, deren ganze Familie gleich mitgecaste­t wurde. Geradezu furios begibt sie sich in die

Rolle der Mittzwanzi­gerin, die mit den unverfrore­nen, pubertiere­nden Jungs sehr viel mehr Spaß hat als in der Erwachsene­nwelt.

Um das platonisch-romantisch­e Epizentrum lässt Anderson kleine Geschichte­n und Anekdoten aus der Stadthisto­rie und dem Hollywood-Betrieb tanzen. Das verhilft nicht nur Sean Penn und Tom Waits zu markanten Gastauftri­tten, sondern auch Bradley Cooper, der als psychopath­ischer Liebhaber Barbra Streisands im weißen, tief ausgeschni­ttenen Glitzer-Outfit durch den Film marodieren darf.

Licorice Pizza USA 2021 – Regie Paul Thomas Anderson, mit Alana Haim, Cooper Hoffman, Sean Penn, Tom Waits, Bradley Cooper und Benny Safdie, 133 Min.

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FOTO: AP Gary (Cooper Hoffman) ist gerade erst 15, hat aber großartige Geschäftsi­deen.

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