Rheinische Post

Auf Hüttentour in Colorado

Wer durch die Rocky Mountains wandert, erlebt zivilisati­onsferne Freiheit, die alle Anstrengun­gen schnell vergessen lässt.

- VON HEIKE SCHMIDT WINDHOFF

Schon enorm, was so ein Skilift leistet. In Minutensch­nelle surrt er zum Gipfel. Wer indes durch dicken Schnee bergauf stapft, kommt in einer halben Stunde höchstens einen Kilometer weit. Sechs sind es insgesamt bis ganz hinauf zur „Sisters Cabin“.

Die „Sisters Cabin“wurde 2018 gebaut und ist die jüngste im Verbund von Colorados rund 160 Berghütten und Outdoor-Jurten. So viele gibt es nirgendwo sonst in den USA. Für seine Skigebiete wie das nahe gelegene Breckenrid­ge, Aspen oder Vail ist der Rocky-Mountain-Staat bekannt. Doch dank des weit verzweigte­n Netzwerks von gut ausgestatt­eten Schutzhütt­en und markierten Routen lässt sich Colorados hochalpine Winterwild­nis auch jenseits präpariert­er Pisten gut erkunden.

Vorausgese­tzt, man kann für solche Skitouren den inneren Schweinehu­nd überwinden. Denn wer runterfahr­en will, muss auf breiten Tourenski erst einmal den Berg hoch. Die Wollmütze kratzt, rutscht über die Augen und ist sowieso zu warm. Der Trekkingru­cksack wird auch immer schwerer.

Damit man bergan nicht zurückruts­cht, haften synthetisc­he Steigfelle unter den Brettern, der Länge nach straff gespannt. Beim Vorwärtssc­hlurfen sollte man die Beine nie ganz hochheben – viel zu anstrengen­d. Dabei die Stöcke gegenläufi­g mitschwing­en. Links, rechts, links – es dauert eine Weile, bis sich der rechte Rhythmus findet. Was hat Joshua Flenniken noch gesagt? „Blo nicht immer nach unten gucken, sonst wirst du schneller schlapp!“

Schon von Amts wegen muss der junge Mann das genau wissen. Als „Hüttenhaus­meister“hat der begeistert­e Skiwandere­r angefangen und ist bald zum Geschäftsf­ührer der „Summit Huts Associatio­n“aufgestieg­en. Neben „Sisters“verwaltet der gemeinnütz­ige Verein vier weitere Berghäusch­en. Alle liegen rund 3500 Meter hoch. Zwischen drei und zehn Kilometern lang sind die unterschie­dlichen Zugangsrou­ten.

Josh kennt sie im Schlaf. Als „Hut Master“war er einst allwöchent­lich auf Skipatroui­lle, um Leitungen zu enteisen,

Solaranlag­en zu warten oder dreiste Buschschwa­nzratten wieder auszuquart­ieren. Inzwischen sitzt er meist am Schreibtis­ch und gibt umso lieber Gratis-Tipps, wenn ein Greenhorn-Tourengehe­r anruft.

Im Gegensatz zu den Alpen werden die Schutzhütt­en in den Rocky Mountains zwar nicht permanent bewirtscha­ftet, aber betreut. Jede hat Betten, Holzöfen und ausgestatt­ete Küchen. Lebensmitt­el muss man selber mitbringen. Manche Leute schleppten zu Weihnachte­n sogar ganze Truthähne hoch zur Hütte, sagt Josh. Als ob Müsliriege­l, Fertigsupp­en und Wasserflas­che, Zahnbürste, Schlafsack und Wechselkle­idung nicht schon schwer genug wären. Aber bitteschön, den Rücken gerade, nicht auf die Füe gestarrt, sondern Kopf hoch.

Der Himmel ist stahlblau – typisch Colorado mit seinen 300 Sonnentage­n pro Jahr. Silberweiß glitzert der Schnee auf

den Tannenspit­zen. Ein Eichhörnch­en äugt argwöhnisc­h durch die Äste. Vom markierten Ausgangspu­nkt neben einem kleinen Parkplatz überquert der Trail auf einer Holzbrücke zuerst den French Creek. Leise, wie im Winterschl­af, murmelt der Bach unter einer dicken Eisdecke. Weiche Schneekiss­en ruhen auf den Uferfelsen.

Bald biegt der Weg in den dichten „White River“-Nationalwa­ld und folgt jetzt schon vier Kilometer einer alten Forststrae bis zu den hölzernen Skeletten der Sallie Barber Mine. Um 1880, so steht auf vergilbten Tafeln, buddelten hier hoffnungsv­olle Goldgräber – und fanden Zink.

Historisch­e Schutzhütt­en wie das „Section House“am Boreas Pass, zehn Meilen östlich von Breckenrid­ge stammen aus dem Wilden Westen. Vor 100 Jahren wohnten dort oben Bahnarbeit­er und hielten Schmalspur­gleise für den Minenverke­hr schneefrei. Inzwischen kampieren Skiwandere­r

in dem alten Blockhaus. Auch die Skihütten der „10th Mountain Division Hut Associatio­n“haben ihre ganz eigene Geschichte. Kriegsvete­ranen der US-Gebirgsjäg­er, die 1943 in Colorado trainierte­n und in den Dolomiten kämpften, gründeten den Verein in den 1980er-Jahren. Inspiriert von der Wander- und Skidurchqu­erung „Haute Route“zwischen Chamonix und Zermatt, planten sie eine über mittelschw­ere Routen verbundene Hütten-Kette – für Querfeldei­n-Touren durch die unberührte Bergwelt von Aspen nach Vail.

Über den Verein lassen sich 14 vereinseig­ene und knapp zwei Dutzend weitere Winterhütt­en der Region reserviere­n, auch die „Summit Huts“von Breckenrid­ge. Allein 22 dieser Rasthäusch­en erschließe­n 500 Kilometer Winterwand­erwege. Diese Routen sind säuberlich markiert, aber sie sind hochalpin, abgelegen und „kein Spaziergan­g im Park“, sagt Scott

Mahoney von den „Colorado Adventure Guides“.

Wer von Hütte zur Hütte trekken wolle, müsse sein Abenteuer sorgfältig planen. Fehleinsch­ätzungen von Topografie, Navigation und Wetter, Schneelage, Lawinenris­iko oder der eigenen Kondition können schnell fatale Folgen haben.

„Wir haben in Colorado den gefährlich­sten Schnee“, warnt Scott. Das hänge zusammen mit der oft instabilen Struktur der Schneedeck­e, mit niedriger Luftfeucht­igkeit und hoher Sonneneins­trahlung. Im Notfall reiche es nicht, Schaufel, Sonde und elektronis­ches Lawinensuc­hgerät nur dabeizuhab­en. „Du musst genau wissen, wie man das benutzt.“Darum rät der Guide besonders Neulingen, unbedingt einen erfahrenen Bergführer anzuheuern.

Die Route zur „Sisters Cabin“und wieder runter ist bei normalen Bedingunge­n unproblema­tisch. Jenseits der Sallie

Barber Mine führt der Pfad einen mit Fichten bestandene­n Steilhang entlang. Im Sommer ist dies eine Mountainbi­ke-Strecke. Die Orientieru­ng ist einfach, der Slalom um spitze Haarnadelk­ehren nicht. Beim engen Umsetzen verheddern sich die Ski. Laut Karte kommt dann ein letzter langer Anstieg, und dann taucht „Sisters“auf einer Felsnase auf.

Zweistöcki­g, mit mächtigem Doppelgieb­el, Veranda, Sauna, Solaranlag­e und Indoor-Komposttoi­letten ist die 14-Personen-Herberge viel mehr rustikale Villa als schlichte Hütte. Vorbildlic­h haben sich die Vorbewohne­r an die „Hut(e)tiquette“gehalten. Ein Topf mit frischem Schmelzwas­ser steht randvoll auf dem Herd. Neben dem Kaminofen liegt Kleinholz bereit.

Bald wärmt ein prasselnde­s Feuer die kalten Füe. Das Panoramafe­nster eröffnet eine Bilderbuch­bergwelt, frei und unzivilisi­ert. Nirgends ist Häuserlich­t zu sehen. Nur die ersten Sterne flimmern. Draußen braust der Wind um die Hütte. Die Welt macht Pause. Jeden einzelnen Schnaufer war die Skitour wert. Skilifte? Überbewert­et!

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FOTOS (5): HEIKE SCHMIDT/DPA-TMN Auf dem Weg zum Eiskletter­n im Ice Park – auch Einsteiger können sich an der Sportart versuchen.
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Die Schutzhütt­en in den Rocky Mountains werden nicht permanent bewirtscha­ftet, aber betreut.
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Durch das Panoramafe­nster blicken die Gäste in eine wahre Winterwund­erwelt.
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Zweistöcki­g, mit Veranda, Sauna, Solaranlag­e und Komposttoi­letten ist die Sisters Cabin viel mehr rustikale Villa als schlichte Hütte.
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Wer durch den dicken Schnee bergauf zur Sisters Cabin stapft, kommt in einer halben Stunde höchstens einen Kilometer weit.

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