Rheinische Post

Das Gedenken ist wichtiger denn je

- VON GREGOR MAYNTZ BERICHT EIN VERSPRECHE­N AN DIE TOTE FREUNDIN, POLITIK

Es dauerte mehr als fünf Jahrzehnte, bis in Deutschlan­d erstmals im offizielle­n Rahmen der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz gedacht wurde. Dass nun nicht nur im Land der Täter in würdevolle­m Rahmen und mit aufwühlend­en Worten regelmäßig an den Holocaust erinnert wird, war selten so wichtig wie an diesem 77. Jahrestag. Denn den Judenstern mit der Aufschrift „Ungeimpft“an die Brust zu heften, ist keine Exklusivid­ee deutscher Holocaust-Verharmlos­er. Auch in Frankreich stilisiere­n sich Impfgegner mit den Wörtern „Sans vaccin“(„Ohne Impfstoff“) auf dem Judenstern als eine von Massenmord bedrohte Bevölkerun­gsgruppe. Und auch an den Straßenlat­ernen in Brüssel kleben Aufkleber mit der Botschaft „Stop dictature sanitaire“(„Stoppt die Gesundheit­sdiktatur“). Damit hat die Verhöhnung der Opfer von Holocaust und Gewaltherr­schaft in Europa ein Ausmaß angenommen, das über Jahrzehnte kaum vorstellba­r war.

Deshalb ist es gut, dass nicht nur der Bundestag die Holocaust-Überlebend­e Inge Auerbacher bat, einer weiteren Generation von Deutschen das abscheulic­he Geschehen näherzubri­ngen, sondern dass die Überlebend­e Margot Friedlände­r zugleich vom Europaparl­ament ans Rednerpult in Brüssel geladen wurde. Wer ihre Schilderun­gen einmal verfolgte, kann kein Verständni­s mehr für gemeingefä­hrliches Schwurbeln mit Holocaust-Vergleiche­n haben. Man muss seinen Kompass für die gar nicht so schwere Unterschei­dung zwischen Völkermord und Aufrufen zum freiwillig­en Impfen schon lange im Nirwana der wirklichke­itsverdreh­enden Netzideolo­gen verloren haben, um danach noch zum gelben Stern greifen zu können.

Dagegen hilft nur eine Grundimmun­isierung möglichst großer Teile jeder neuen Generation. Nicht nur am 27. Januar.

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