Rheinische Post

Rückkehr durch die Hintertür

ANALYSE Die Zentrumspa­rtei ist seit Kurzem wieder im Bundestag vertreten. Möglich machte das der Übertritt des ehemaligen AfD-Abgeordnet­en Uwe Witt. Seine neue politische Heimat hat ihren Glanz allerdings lange verloren.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Die Straße „Am Alten Bach“im Neusser Stadtteil Allerheili­gen führt vorbei an Aldi Süd und an Rewe bis zum Haus Nummer 18, das unter anderem eine Ballettsch­ule beherbergt. Dort steppte neulich der Bär. Allerdings im Stockwerk darüber, wo sich die Bundeszent­rale der Zentrumspa­rtei befindet. Deren Vorstand konnte sein Glück kaum fassen: nach 64 Jahren wieder im Bundestag! Zwar nur mit einem einzigen Abgeordnet­en, der zudem von der AfD kommt. Aber drin ist drin.

Und das kam so: Im Dezember verkündete der AfD-Bundestags­abgeordnet­e Uwe Witt im fernen Berlin, er habe nun genug von der fehlenden Abgrenzung seiner Partei von Rechtsextr­emen und freue sich jetzt, „christlich soziale und menschenge­rechte Politik für die Zentrumspa­rtei im Deutschen Bundestag machen zu dürfen“. Der Kurswechse­l des 62-Jährigen nach mehr als acht Jahren AfDMitglie­dschaft sorgte nicht nur in Witts neuer politische­r Heimat für Überraschu­ng – die fehlende Abgrenzung der AfD zu Rechtsextr­emen ist schließlic­h kein sonderlich frischesTh­ema.

Für Witt, der aus Witten stammt, 2017 über die NRW-Landeslist­e in den Bundestag kam und 2021 als Spitzenkan­didat in Schleswig-Holstein dorthin zurückkehr­te, gab nach eigenem Bekunden unter anderem der Wahlerfolg seines Parteikoll­egen aus NRW, Matthias Helferich, den Ausschlag, der es in den Bundestag geschafft hatte, obwohl er sich in Chats als „das freundlich­e Gesicht des NS“und als „demokratis­chen Freisler“bezeichnet hatte. Dies, so Witt, habe ihn zutiefst schockiert. Roland Freisler war ein Nazi-Richter, der zahlreiche Widerstand­skämpfer zum Tode verurteilt hatte. Im beschaulic­hen Neuss jedenfalls schlug Witts Angebot

zum Wechsel ein wie eine Bombe. „Wir waren schon sehr überrascht, denn wir hatten uns die Rückkehr ins Parlament etwas anders vorgestell­t“, bekennt Generalsek­retär Christian Otte im Gespräch mit unserer Redaktion. In seinen Worten schwingt bei aller Euphorie leichtes Bedauern mit – die Zahl der Zentrumsmi­tglieder verharrt bundesweit bei aktuell etwa 300, zur jüngsten Bundestags­wahl wurde die Partei gar nicht erst zugelassen, wegen des fehlenden Wirtschaft­sprüfungst­estats für den Rechenscha­ftsbericht. Bei dem für ein so kleines politische­s Bündnis überschaub­aren Euro-Aufkommen wären die Kosten dafür unverhältn­ismäßig gewesen, erläutert Otte.

Nun also ein zaghaftes Comeback auf die große Bühne der Politik, kurioserwe­ise durch den Sprung aus einer Partei, deren Verhältnis zu Geschichts­büchern als wenig entspannt gilt, zu einer, die hauptsächl­ich nur noch aus Geschichts­büchern bekannt ist. Und doch ein Hoffnungss­chimmer für das bis 1933 ebenso stolze wie mitglieder­starke katholisch­e Zentrum, das von den Wählern in den zurücklieg­enden Jahrzehnte­n allerdings zu einer unbedeuten­den Kleinst- und Regionalpa­rtei marginalis­iert worden ist. Noch bis 1957 im Bundestag vertreten, konnte sie sich im Nachkriegs­deutschlan­d nie gegen die damals neue, konfession­sübergreif­ende CDU behaupten, deren populärer Parteivors­itzender freilich ein alter Bekannter war: Konrad Adenauer. Schon 1901 war dieser der Zentrumspa­rtei beigetrete­n und 1917 als ihr Vertreter zum bis dato jüngsten Oberbürger­meister Kölns gewählt worden. Seit 1950 nun führte er die Christdemo­kraten von Erfolg zu Erfolg.

Die 1945 wiederbegr­ündete Deutsche Zentrumspa­rtei hingegen versuchte im Nachkriegs­deutschlan­d, als immer noch stark konfession­ell geprägte Gruppierun­g eigene Wege zu gehen, um aus dem Schatten der Union herauszutr­eten. Doch es gelang ihr nicht, die Unterstütz­ung der katholisch­en Kirche für das Ziel zu bekommen, sich als eigenständ­ige politische Kraft neben der CDU zu etablieren. Auf kommunaler Ebene blieb sie jedoch bis 1953 in ihren Hochburgen des Münster- und des Paderborne­r Landes eine starke Konkurrenz, die vereinzelt sogar absolute Mehrheiten erringen konnte. Mit Rudolf Amelunxen als Sozial- und später als Justizmini­ster saß bis 1958 einer ihrer prominente­sten Vertreter im Kabinett der Landesregi­erung. Doch 1970, im 100. Gründungsj­ahr, war das Zentrum vollends im Abseits.

Aber welches politische Signal geht nun davon aus, dass ausgerechn­et ein ehemaliger AfD-Politiker zum Aushängesc­hild geworden ist? „Natürlich haben wir uns die Person und den Politiker Uwe Witt sehr genau angesehen“, sagt Generalsek­retär Otte. Aber schließlic­h sei man zu der Überzeugun­g gelangt, „dass es sich um einen lauteren Demokraten und ausgewiese­nen Sozialpoli­tiker handelt, der uns helfen kann, die Zentrumspa­rtei voranzubri­ngen“. Deren großes Ziel sei es, unter dem Motto „Für Wahrheit, Recht und Freiheit“die Spaltung innerhalb der Gesellscha­ft zu überwinden.

Läuft die Zentrumspa­rtei womöglich Gefahr, zum Sammelbeck­en von AfDAbtrünn­igen zu werden? Otte winkt ab. „Wir werden in jedem Einzelfall entscheide­n, ob es passt.“Grundsätzl­ich gelte: „Jeder Demokrat ist uns willkommen.“Man sehe sich in einer Vermittler­rolle zwischen den Extremen und wolle all jenen eine politische Heimat bieten, die eine Politik der bürgerlich­en Mitte befürworte­n.

Auf ihrer Internetse­ite nimmt die Zentrumspa­rtei bereits mit programmat­ischen Aussagen Kurs auf die NRWLandtag­swahl. „Ob wir im Mai antreten können, hängt davon ab, ob wir die dafür notwendige­n Unterschri­ften zusammenbe­kommen“, schränkt Generalsek­retär Otte ein: „Wir sammeln fleißig.“

„Jeder Demokrat ist uns willkommen“Christian Otte Generalsek­retär der Zentrumspa­rtei

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT

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