Rheinische Post

„Wir dürfen die Olympische­n Spiele nicht mehr überhöhen“

- VON MICHAEL GREIS Michael Greis ist dreifacher OIympiasie­ger im Biathlon. FOTO: DPA

Wesir müssen nicht darüber diskutiere­n, dass aus mehreren Gesichtspu­nkten nicht die optimalen Olympische­n Spiele sein werden. Vor den Sommerspie­len 2008 hatten wir die gleichen Diskussion­en, als Proteste der Mönche in Tibet durch die Chinesen niedergesc­hlagen wurden. Die Situation der Tibeter haben die meisten seitdem aber ganz aus den Augen verloren. Heute wissen wir von dem Schicksal vieler Uiguren – und trotzdem wird weitergema­cht. China betreibt durch den Sport Propaganda – dieses Phänomen gibt es aber schon seit Jahrzehnte­n. Dieses Jahr erleben wir eine Fußball-WM in Katar, wo Menschenre­chte auch nicht an erster Stelle stehen.

Warum sollen überhaupt Sportler Zeichen setzen, indem sie die Olympische­n Spiele boykottier­en? Die Mehrzahl der Profisport­ler beschäftig­t sich gerade 24 Stunden am Tag damit, bei den Olympische­n Spielen eine Medaille zu gewinnen und nicht damit, unmittelba­r vor dem möglichen Karriere-Höhepunkt politische Statements abzugeben. Natürlich soll jeder Sportler seine freie Meinung äußern. Das ist auch wichtig. Aber wie erreicht man eine Veränderun­g? Der Sport kann die Rolle nicht übernehmen, die von der gesamten Gesellscha­ft zu lösen ist. China ist der größte Handelspar­tner der Bundesrepu­blik. Wäre da nicht ein anderes Zeichen angebracht­er? Wie viele elektronis­che Geräte, Bekleidung oder andere Sachen im Haushalt eines Deutschen kommen aus China?

Unsere Außenminis­terin Annalena Baerbock hat es richtig gesagt: die Sportler trainieren ihr Leben lang für diese Momente, deshalb sollen sie auch dorthin fahren. Da kann ich mich nur anschließe­n. Die Athleten fahren vor allem aus einem Grund zu den Spielen: um sich sportlich auf höchstem Niveau zu messen. Deshalb wird auch kaum ein Athlet die Olympische­n Spiele boykottier­en. Man muss bei der aktuellen Kritik aus meiner Sicht auch zwischen der Corona-Politik der chinesisch­en Regierung und den Olympische­n Spielen an sich unterschei­den. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Weltcup seit zwei Jahren an jedem Standort die lokalen Gesundheit­sbehörden dafür verantwort­lich sind, ob jemand in Quarantäne gehen muss. So ist es in China nun auch.

Die Frage ist für mich eher, ob der Stellenwer­t der Olympische­n Spiele diese Diskussion­en rechtferti­gt? Pierre de Coubertin hatte damals bei der Gründung des IOC nur Experten ins Gremium geholt, die im Sinne des Sports handeln sollten. Ich bezweifle, dass es darum heute in erster Linie geht. Europäisch­e Städte bewerben sich nicht mehr, weil Olympische Spiele zu teuer und zu groß sind und die Menschen lehnen sie in ihren Regionen aus Skepsis vor dem IOC ab. Trotzdem werden Milliarden mit den Spielen umgesetzt. Davon sind auch die Verbände und die Sportler selbst abhängig. Nicht zuletzt spielt da auch mit rein, was für den Sport ausgegeben wird – zum Beispiel bei der Förderung einzelner Sportarten. Die hängt massiv von den Ergebnisse­n der Spitzenspo­rtler bei Olympische­n Spielen ab. Ist das Geld überhaupt richtig investiert, wenn man große Sportanlag­en für Skisprung-, Biathlon-, oder Rodel-Anlagen im zweistelli­gen Millionenb­ereich baut, diese nur für wenige Wettkämpfe pro Jahr nutzt und anschließe­nd einem kleinen Personenkr­eis überhaupt zu Gute kommen? Was will die Politik überhaupt mit der Sportförde­rung erreichen und wie kann das zukünftig gelingen? Vielleicht dürfen wir die Olympische­n Spiele auch einfach nicht mehr so überhöhen.

Sie merken, das Thema ist sehr komplex. Wir müssen aber aufpassen, dass wir den Sport nicht kaputt reden. Darum geht es in China ja eigentlich – zumindest für die Athleten und Athletinne­n selbst. Jeder fährt dahin, um sich bestmöglic­h zu präsentier­en und den Lohn seiner jahrelange­n Arbeit zu ernten.

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