„Sportler müssen stärker einbezogen werden“
Normalerweise sollte Olympia in einer sportlichen Karriere ein Highlight sein, darauf trainiert man hin und die Spiele finden nur alle vier Jahre statt. Im Biathlon sind wir etwas verwöhnt, da gibt es mehrere Chancen eine Medaille zu gewinnen, aber je nach Sportart gibt es eventuell sogar nur eine Chance. Egal wie viele Chancen man hat, man möchte seine beste Leistung zeigen, auch wenn es Kritik an den Spielen gibt. Mein Olympia-Gold ist 20 Jahre her, und bis zu meinen letzten Spielen 2014 in Sotschi sind die Winterspiele für mein Gefühl immer ein bisschen größer geworden. Und irgendwann wurde dann auch die Kritik immer größer.
In Sotschi war die politische Lage auch schon problematisch, und es gab Fragen nach einem Boykott und wie man sich zu den dortigen Verhältnissen verhalten sollte. Ich fand das damals sehr schade, dass die Athleten dafür in die Bresche springen sollten, was das IOC entschieden hatte. Das hat auch mich belastet und ich wusste nicht so richtig, wie ich damit umgehen soll. Am Ende geht es ja darum, wer die Olympischen Medaillen gewinnt. Ich kann mir vorstellen, dass es vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern jetzt auch so geht. Und nein, ich würde die Winterspiele in Peking auch nicht boykottieren.
Dass die Athleten in so eine Situation gebracht werden, ist nicht richtig. Ja, als „Person des öffentlichen Lebens“hat man vielleicht auch noch eine Rolle neben dem Leistungssport, aber wenn die Fans bei den Olympischen Spielen Medaillen feiern möchten, muss man in dem Moment den Sportlern erlauben, sich auf diese Aufgabe konzentrieren zu dürfen. Ich glaube im Nachhinein auch, dass die Kritik vor Sotschi bei mir ein Grund war, weswegen ich bei den Spielen nicht meine besten Leistungen abrufen konnte. Nicht nur deswegen, da gab es auf jeden Fall noch andere Punkte, aber ein Grund.
Ich hatte schon vorher das Gefühl, dass ich mich gar nicht freuen darf, zu den Olympischen Spielen zu fahren. Wie für uns damals sollte auch für die Olympia-Teilnehmer in Peking gelten: Euer Job ist der, das zu machen, was ihr könnt. Ihr seid da, um euren Sport zu machen und den
Sport zu präsentieren. Es ist nur alle vier Jahre Olympia. Mir hätte es geholfen, wenn 2014 jemand gesagt hätte: „Ja, diese und diese Punkte sind kritisch. Die kannst du auch ansprechen. Aber es ist okay, dass du dahin fährst und darum kämpfst, worum du kämpfen willst.“Und das waren sportliche Erfolge. Auf der anderen Seite konnte mir das auch niemand sagen, da ich mir selbst nicht eingestehen wollte, dass ich diese Worte brauchen könnte.
Es ist schade, wenn die Athletinnen und Athleten das Gefühl bekommen, sie machen mit ihrer Teilnahme etwas nicht richtig. Und das IOC trifft in diesem Zusammenhang die Entscheidung für die Athleten, oder sollte sie für die Athleten treffen. Die Athleten reisen dort hin, wo Olympischen Spiele ausgetragen werden. Wenn die Athleten die eigentliche Olympische Idee verkörpern sollen, sollte man vielleicht auch über eine Möglichkeit nachdenken, sie stärker bei der Entscheidung mit einzubeziehen.
Abgesehen von der Menschenrechtslage in China
gibt es noch einen Punkt: Wenn man Winterspiele in eine Region vergibt, dann sollte dort auch Wintersport existieren. China hat zwar in den letzten Jahren viel investiert und gemacht, so dass auch ihre Sportler an den Wettbewerben teilnehmen. Aber was passiert danach? Wird sich eine Wintersporttradition entwickeln?
Es war nicht so, dass es in den vergangenen Jahrzehnten wenige Bewerber gegeben hätte. Die sind weniger geworden, weil die Spiele vergeben wurden, wie sie vergeben wurden und weil die Kritik dadurch an Olympia immer größer wurde. Nicht alle können stemmen, was zum Beispiel Russland stemmen konnte oder jetzt China. Es braucht nicht immer noch mehr Event, noch eine Lichtershow, noch zwei Minuten mehr Feuerwerk, damit es tolle Winterspiele werden. Die schönsten Partys sind nicht unbedingt die pompösesten. Es geht um den Sport und der sollte im Vordergrund stehen. Wenn das Event dann noch nachhaltig ist, es von den Menschen gewollt ist und alles Hand und Fuß hat, dann erfüllen die Spiele den Olympischen Gedanken.
Andrea Burke