„Für mich ist das erst einmal ein Abenteuer“
Das Mitglied des Schauspielhaus-Ensembles über seine „Polizeiruf“-Rolle, sein Selbstverständnis als Schauspieler und seine Herkunft.
Herr Kaczmarczyk, Sie spielen einen sehr ungewöhnlichen Polizisten: im Schottenrock, geschminkt, Yoga-Anhänger, Psychologie-Absolvent – was schätzen Sie an der Figur?
ANDRÉ KACZMARCZYK Ich schätze seine zurückhaltende, sensible Art, sein Gespür für Situationen und Menschen. Das finde ich das Spannendste an ihm.
Über ihre „Polizeiruf“-Figur heißt es, sie sei „genderfluid“. Sie spielen auch auf der Bühne gerne Figuren, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen. Was schätzen Sie daran? KACZMARCZYK Ich habe mit diesem Wort meine Schwierigkeiten. Auch weil das der Versuch ist, etwas zu beschreiben oder festzumachen, was ambivalent und nicht mit einem Wort zu beschreiben ist. Ich schätze, dass es ein Topos des Theaters ist. Das Spiel mit dem, was wir als männlich oder weiblich lesen, das Hin- und Herschwenken zwischen den Welten amüsiert mich, es macht mir in erster Linie Freude. Da gibt es ein großes Spannungsverhältnis, sowohl zwischen den einzelnen Schichten dieser Figur, zwischen ihr und den anderen Figuren, als auch zwischen dem Publikum und dem, der spielt. Warum mich das fasziniert, weiß ich nicht. Aber es stellt sich auch die Frage, warum Prince so faszinierend ist oder David Bowie, die genau auch auf diesem dünnen Grat wandelten.
Sie inszenieren jetzt „Orlando“am Schauspielhaus, in dem ein Mann nach einem Traum aufwacht und eine Frau ist. War das Ihre Wahl? KACZMARCZYK Ja, das war mein Vorschlag, mein Wunsch. Da findet sich das Genderthema auch wieder. Gleichzeitig gibt es darin auch ganz andere Themen. Vielleicht bin ich da auch zeitgeistig, ohne dass ich mich als einen Vorkämpfer sehen würde. Ich finde es spannend, dass heute Frauen Männerfiguren spielen und umgedreht. Dass sich dieses starre System auflöst oder neu erfinden kann, gibt uns allen Anregungen und macht Spaß. Ich sehe in „Orlando“aber ganz viele andere Themen, die nichts mit Geschlecht oder Sexualität zu tun haben. Darin geht es auch um die Frage: Wie werde ich ein Künstler, wie werde ich eine Dichterin? Wieso werden wir in eine Form geworfen und müssen darin unsere Leben bestreiten?
Sie führen zunehmend Regie. Ist das die Richtung, in die Sie wollen?
KACZMARCZYK Es gibt für mich verschiedene Pfade, die parallel laufen. Ich würde nicht sagen, dass ich nicht mehr Schauspieler sein will. Mir macht es Freude, eigene Projekte zu entwickeln und mit den Kollegen
und Kolleginnen zu erarbeiten. Das ist etwas, das sich entwickelt, aus einer Lust heraus, nicht unbedingt nach einem Plan.
Zurück zum „Polizeiruf“: Er spielt an der deutsch-polnischen Grenze, ihr Name ist auch polnisch. Welche familiären Bindungen haben Sie nach Polen?
KACZMARCZYK Mein Vater kommt aus Polen. Ende der 60er-Jahre ist seine Familie in die DDR emigriert und Ende der 80er in die Bundesrepublik gegangen. Meine Eltern haben sich in Thüringen kennengelernt, eine kurze Beziehung. Mein Vater ist in den 90ern wieder zurück nach Polen gezogen. Es gibt also Verbindungen.
Ich war immer wieder dort, als Kind und als Erwachsener.
Sprechen Sie Polnisch? KACZMARCZYK
Nein, nicht nennenswert.
Sie sind ja im Osten aufgewachsen und erst seit 2016 im Westen. Hat das noch eine Bewandtnis, merkt man noch Unterschiede, oder ist das mittlerweile alles egal? KACZMARCZYK Nein, für mich nicht. Aber das ist meine Perspektive. Ich gucke seit einiger Zeit besorgt in die Gegend, woher ich komme. Da gibt es ein anderes Verhältnis, etwa zum Thema Impfen oder zur Demokratie im Allgemeinen. Ich habe das Gefühl,
es spielt eine große Rolle, dass ich zu dieser dritten Generation Ost gehöre, die irgendwie mit dem Land nichts zu tun hat, dort maximal geboren wurde und in den Kindergarten gegangen ist, gleichzeitig aber daran gebunden bin. Dort gibt es viele Unterschiede, soziales Gefälle, die Altersstruktur ist viel älter, vieles ist dort anders. Ich lebe hier in Düsseldorf, hier im Westen, aber ich merke, die ostdeutschen Themen spielen hier nur marginal eine Rolle. Das finde ich oft etwas oberflächlich. Lange hat man geglaubt, wenn alles dort ökonomisch gut läuft, wächst das Land schon zusammen. Ich glaube, jetzt merkt man, dass das so einfach nicht ist.
Sind Sie zwiegespalten in Ihrer Haltung zum Osten?
KACZMARCZYK Ja, total. Ich rede nicht aus einer Ostalgie heraus, ich will hier nichts schlechtmachen. Ich betrachte mit großer Sorge, was im Osten passiert, und frage mich, wie sich das weiterentwickelt und was das mit mir zu tun hat. Ich bin sehr zwiegespalten und verstehe vieles gar nicht mehr.
Könnten Sie sich irgendwann vorstellen, nur noch vor der Kamera zu stehen?
KACZMARCZYK Nein, dafür hängen mein Herz und mein Hirn zu sehr am Theater.
Was kann das Theater, was Film und Fernsehen nicht können?
KACZMARCZYK Man hat ja in der Pandemie gesehen, was man vermisst: den Moment, in dem sich ein Teil der Gesellschaft an einem Ort versammelt und etwas betrachtet und sich darüber austauscht, in einem Raum mit den Künstlern. Das ist das Besondere und Tolle daran: die Unmittelbarkeit. Etwas nicht vor einem Bildschirm zu betrachten. Der LiveAspekt ist das Pfund des Theaters. Gerade jetzt!