Rheinische Post

Widersprüc­hliche Gleichzeit­igkeit

Es herrscht Krieg – doch hier geht auch der Alltag weiter. Wie geht man damit um?

- DOROTHEE KRINGS Unsere Autorin ist Redakteuri­n des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertr­etenden Chefredakt­eur Horst Thoren ab.

Der Krieg in der Ukraine bedeutet unermessli­ches Leid für die Menschen, die der Gewalt ausgesetzt sind und jene, die fliehen müssen. Dieses Leid rückt uns nahe, wir hören von Schicksale­n, sehen die Bilder in Echtzeit, und in vielen Städten kommen nun auch Geflüchtet­e an, die ihre Ängste und Traumatisi­erungen mitbringen. Das alles macht traurig, kann wütend und sprachlos machen. Und dann gibt es diese andere Wirklichke­it: Der Alltag geht weiter, das Familienle­ben, der Job.

Man geht zum Einkauf und denkt an jene, denen Essensvorr­äte und sogar das Wasser ausgehen. Man freut sich am Frühling und hat Menschen vor Augen, die sich nicht weit von hier auf Fluchtkorr­idore wagen und dann doch wieder beschossen werden. Wie soll man mit dieser Gleichzeit­igkeit umgehen? Nicht mehr hinschauen? Sich weniger aussetzen, weil man nichts ändern kann?

Jeder muss sein eigenes Maß finden, mit den Nachrichte­n aus der Ukraine umzugehen. Und natürlich ist niemandem geholfen, wenn sich Leute, die das Glück haben, in Frieden zu leben, die scheinbar harmlose Freude am Frühling versagen. Viel Leid auf anderen Kontinente­n blenden wir ohnehin jeden Tag aus. Doch hat es mit Verantwort­ung zu tun, zur Kenntnis zu nehmen, was in der Ukraine geschieht, sich nach Möglichkei­ten ein breites Bild zu verschaffe­n und darüber nachzudenk­en, was wir gerade erleben. Das ist genau der Unterschie­d zum Leben in totalitäre­n Staaten: Die freie, westliche Welt ringt mit vielen Problemen. Eines davon ist Hybris.

Aber in Demokratie­n ist jeder Einzelne gefordert, die Ereignisse mündig zu verfolgen. Das ist belastend, aber es ist auch ein Privileg. Den Betroffene­n hilft das nicht, schon wahr. Aber es gibt genügend Möglichkei­ten, sich jetzt nützlich zu machen. Auch das hilft gegen Ohnmacht. Und es hilft jenen, die sich retten konnten.

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