Das Schweigen der Scheichs
Die Staatsführer im Nahen Osten, wie etwa Mohammed bin Zayed aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, halten sich mit Kritik an Wladimir Putin und seiner Invasion in die Ukraine auffallend zurück. Die Gründe liegen auf der Hand.
Für Ajatollah Ali Chamenei ist die Sache einfach. Am russischen Krieg gegen die Ukraine sei Amerika schuld, sagt der iranische Revolutionsführer. Die USA schürten mit ihrer Politik ständig neue Krisen, „und die Ukraine ist Opfer dieser Politik“, schrieb der 82-Jährige auf Twitter. Damit liegt Chamenei auf einer Linie mit dem syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad, der den russischen Angriff auf die Ukraine als „historische Korrektur“begrüßt. Selbst Partner des Westens im Nahen Osten bringen Verständnis für Wladimir Putins Angriffskrieg auf. Dahinter stecken wirtschaftliche und politische Überlegungen.
Dass erklärte Feinde des Westens wie Chamenei und Assad die russische Haltung unterstützen, ist nicht überraschend. Doch auch wichtige US-Verbündete in der Golf-Region wollen sich nicht in die anti-russische Front der Amerikaner und Europäer einreihen. In der UN-Vollversammlung stimmten sie jetzt zwar mit dem Westen für eine Verurteilung des russischen Angriffs. Doch sie pflegen ihre Beziehungen zu Moskau weiter. Der starke Mann der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Mohammed bin Zayed, sagte Putin diese Woche in einem Telefonat, eine Lösung des Konflikts müsse die Sicherheitsinteressen aller Beteiligten gewährleisten. Auch Katar beschränkt sich darauf, alle Seiten zur Zurückhaltung aufzurufen.
Saudi-Arabien hält sich ebenfalls raus. Das Kabinett in Riad erklärte lediglich, das Königreich unterstütze „internationale Bemühungen um eine Deeskalation“. Saudi-Arabien und die VAE lehnen die amerikanische Forderung ab, mehr Öl zu fördern, um den weltweiten Preisanstieg zu dämpfen. Saudis und Emirate arbeiten mit Russland in der Gruppe der weltweit wichtigsten Ölproduzenten – Opec-Plus – zusammen. Opec-Plus beschloss jetzt trotz der Rekordpreise auf dem Ölmarkt, bei der in der Pandemie vereinbarten vorsichtigen Anhebung der Fördermenge zu bleiben:
Das ist zu wenig, um den Preisauftrieb zu stoppen.
Ägypten, Empfänger millionenschwerer amerikanischer Militärhilfe, forderte eine möglichst rasche Beilegung des Ukraine-Konflikts. Das Land mit seinen mehr als 100 Millionen Einwohnern hängt von Getreide-Importen aus der Schwarzmeer-Region ab. Das NatoMitglied Türkei, das viel Gas und Öl aus Russland erhält, stellt sich verbal zwar auf die Seite der Ukrainer, will sich an Sanktionen gegen Moskau aber nicht beteiligen.
Als eines der wenigen NahostLänder kritisierte der Libanon den russischen Einmarsch in scharfen Worten. Das Außenministerium in Beirut verurteilte den Angriff auf die Ukraine als „Invasion“. Doch die libanesische Regierung spricht nicht mit einer Stimme: Das Außenministerium handelte sich Ärger mit den Vertretern der iranisch finanzierten Hisbollah-Miliz im Kabinett ein. Wie die Führung in Teheran gibt Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah den USA die Schuld am Krieg.
Selbst Israel, der engste Partner von USA und Europa in der Region, hält sich mit Kritik an Putin zurück. Russland, das im israelischen
Nachbarland Syrien die Lufthoheit besitzt, duldet israelische Luftangriffe auf iranische Militärstellungen auf syrischem Boden. Israel nimmt daher viel Rücksicht auf russische Interessen. Schon im vergangenen Jahr weigerte sich der jüdische Staat, die Spionage-Software „Pegasus“an die Ukraine zu liefern.
Dass Partner des Westens in der Region so nachsichtig auf den russischen
Angriff reagieren, liegt zum Teil am Rückzug der USA aus dem Nahen Osten. Präsident Joe Biden will sich auf die geopolitische Auseinandersetzung mit China konzentrieren. Amerika hat sich deshalb aus Afghanistan zurückgezogen und seine Truppen im Irak und Syrien deutlich reduziert – bei US-Verbündeten entsteht der Eindruck, dass auf Washington kein Verlass mehr sei. Russland dagegen präsentiert sich seit Beginn seiner Intervention im Syrien-Krieg im Jahr 2015 als neue Nahost-Macht. Auch im LibyenKonflikt mischt Moskau mit.
Deshalb entwickeln US-Partner wie die VAE ihre Beziehungen zu Russland als Gegengewicht zur schwindenden Rolle der USA. Der VAE-Botschafter in den USA, Jousef al-Otaiba, sagte laut der Nachrichtenagentur Reuters, die Beziehungen seines Landes mit Amerika durchliefen einen „Stresstest“.
Zuletzt ärgerten sich die VAE über die ihrer Meinung nach zu schwache Reaktion Washingtons nach Angriffen der pro-iranischen Huthi-Rebellen auf Abu Dhabi. Weil die USA nicht mehr so verlässlich seien wie früher, versuchten Länder wie die VAE, ihre Beziehungen zu Russland und China auszubauen, kommentierte die VAE-Zeitung „The National“. Dieses Ziel ist für die Golfstaaten wichtiger als der russische Feldzug in der Ukraine.