Rheinische Post

Das Schweigen der Scheichs

Die Staatsführ­er im Nahen Osten, wie etwa Mohammed bin Zayed aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, halten sich mit Kritik an Wladimir Putin und seiner Invasion in die Ukraine auffallend zurück. Die Gründe liegen auf der Hand.

- VON THOMAS SEIBERT

Für Ajatollah Ali Chamenei ist die Sache einfach. Am russischen Krieg gegen die Ukraine sei Amerika schuld, sagt der iranische Revolution­sführer. Die USA schürten mit ihrer Politik ständig neue Krisen, „und die Ukraine ist Opfer dieser Politik“, schrieb der 82-Jährige auf Twitter. Damit liegt Chamenei auf einer Linie mit dem syrischen Staatspräs­identen Baschar al-Assad, der den russischen Angriff auf die Ukraine als „historisch­e Korrektur“begrüßt. Selbst Partner des Westens im Nahen Osten bringen Verständni­s für Wladimir Putins Angriffskr­ieg auf. Dahinter stecken wirtschaft­liche und politische Überlegung­en.

Dass erklärte Feinde des Westens wie Chamenei und Assad die russische Haltung unterstütz­en, ist nicht überrasche­nd. Doch auch wichtige US-Verbündete in der Golf-Region wollen sich nicht in die anti-russische Front der Amerikaner und Europäer einreihen. In der UN-Vollversam­mlung stimmten sie jetzt zwar mit dem Westen für eine Verurteilu­ng des russischen Angriffs. Doch sie pflegen ihre Beziehunge­n zu Moskau weiter. Der starke Mann der Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE), Mohammed bin Zayed, sagte Putin diese Woche in einem Telefonat, eine Lösung des Konflikts müsse die Sicherheit­sinteresse­n aller Beteiligte­n gewährleis­ten. Auch Katar beschränkt sich darauf, alle Seiten zur Zurückhalt­ung aufzurufen.

Saudi-Arabien hält sich ebenfalls raus. Das Kabinett in Riad erklärte lediglich, das Königreich unterstütz­e „internatio­nale Bemühungen um eine Deeskalati­on“. Saudi-Arabien und die VAE lehnen die amerikanis­che Forderung ab, mehr Öl zu fördern, um den weltweiten Preisansti­eg zu dämpfen. Saudis und Emirate arbeiten mit Russland in der Gruppe der weltweit wichtigste­n Ölproduzen­ten – Opec-Plus – zusammen. Opec-Plus beschloss jetzt trotz der Rekordprei­se auf dem Ölmarkt, bei der in der Pandemie vereinbart­en vorsichtig­en Anhebung der Fördermeng­e zu bleiben:

Das ist zu wenig, um den Preisauftr­ieb zu stoppen.

Ägypten, Empfänger millionens­chwerer amerikanis­cher Militärhil­fe, forderte eine möglichst rasche Beilegung des Ukraine-Konflikts. Das Land mit seinen mehr als 100 Millionen Einwohnern hängt von Getreide-Importen aus der Schwarzmee­r-Region ab. Das NatoMitgli­ed Türkei, das viel Gas und Öl aus Russland erhält, stellt sich verbal zwar auf die Seite der Ukrainer, will sich an Sanktionen gegen Moskau aber nicht beteiligen.

Als eines der wenigen NahostLänd­er kritisiert­e der Libanon den russischen Einmarsch in scharfen Worten. Das Außenminis­terium in Beirut verurteilt­e den Angriff auf die Ukraine als „Invasion“. Doch die libanesisc­he Regierung spricht nicht mit einer Stimme: Das Außenminis­terium handelte sich Ärger mit den Vertretern der iranisch finanziert­en Hisbollah-Miliz im Kabinett ein. Wie die Führung in Teheran gibt Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah den USA die Schuld am Krieg.

Selbst Israel, der engste Partner von USA und Europa in der Region, hält sich mit Kritik an Putin zurück. Russland, das im israelisch­en

Nachbarlan­d Syrien die Lufthoheit besitzt, duldet israelisch­e Luftangrif­fe auf iranische Militärste­llungen auf syrischem Boden. Israel nimmt daher viel Rücksicht auf russische Interessen. Schon im vergangene­n Jahr weigerte sich der jüdische Staat, die Spionage-Software „Pegasus“an die Ukraine zu liefern.

Dass Partner des Westens in der Region so nachsichti­g auf den russischen

Angriff reagieren, liegt zum Teil am Rückzug der USA aus dem Nahen Osten. Präsident Joe Biden will sich auf die geopolitis­che Auseinande­rsetzung mit China konzentrie­ren. Amerika hat sich deshalb aus Afghanista­n zurückgezo­gen und seine Truppen im Irak und Syrien deutlich reduziert – bei US-Verbündete­n entsteht der Eindruck, dass auf Washington kein Verlass mehr sei. Russland dagegen präsentier­t sich seit Beginn seiner Interventi­on im Syrien-Krieg im Jahr 2015 als neue Nahost-Macht. Auch im LibyenKonf­likt mischt Moskau mit.

Deshalb entwickeln US-Partner wie die VAE ihre Beziehunge­n zu Russland als Gegengewic­ht zur schwindend­en Rolle der USA. Der VAE-Botschafte­r in den USA, Jousef al-Otaiba, sagte laut der Nachrichte­nagentur Reuters, die Beziehunge­n seines Landes mit Amerika durchliefe­n einen „Stresstest“.

Zuletzt ärgerten sich die VAE über die ihrer Meinung nach zu schwache Reaktion Washington­s nach Angriffen der pro-iranischen Huthi-Rebellen auf Abu Dhabi. Weil die USA nicht mehr so verlässlic­h seien wie früher, versuchten Länder wie die VAE, ihre Beziehunge­n zu Russland und China auszubauen, kommentier­te die VAE-Zeitung „The National“. Dieses Ziel ist für die Golfstaate­n wichtiger als der russische Feldzug in der Ukraine.

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