AfD in NRW zeigt sich überrascht vom Urteil
Was die Beobachtung durch den Verfassungsschutz für die Partei bedeutet und was Experten sagen.
Die Entscheidung kommt für die AfD zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Drei Landtagswahlen stehen an, zunächst im Saarland, im Mai in Schleswig-Holstein und eben auch in NRW – überall rangiert die Partei bei einstelligen Umfragewerten, in NRW zuletzt immerhin bei sieben bis neun Prozent. Dass das Verwaltungsgericht Köln nun entschieden hat, dass der Verfassungsschutz die Partei als rechtsextremen Verdachtsfall bezeichnen und beobachten darf, könnte nun ein Übriges tun.
„Mehr als überrascht“zeigt sich der AfD-Landesverband in NRW über das Urteil und betont, dass die Partei in zwei Punkten recht bekommen habe: Der Verfassungsschutz dürfe nicht behaupten, der „Flügel“sei eine gesichert extremistische Bestrebung, und dass er 7000 Mitglieder habe. „Beide Urteile sind eine Ohrfeige für unseren Verfassungsschutz und Beleg für dessen zumindest ungenaue Arbeit“, sagt Markus Wagner, AfD-Fraktionschef und Spitzenkandidat für die NRWWahl. In NRW habe der „Flügel“nie eine nennenswerte Rolle gespielt, nach seiner formellen Auflösung seien seine wenigen Protagonisten großteils ausgetreten oder aus der Partei ausgeschlossen worden.
Tatsächlich sind die radikalen Stimmen in NRW leiser geworden, zuletzt hat die AfD mit dem Arzt und Landtagsabgeordneten Martin Vincentz einen eher gemäßigten neuen Vorstand gewählt, auch das Parteiprogramm zur Wahl klingt weniger schrill als 2017. Was hinter den Kulissen und abseits der offiziellen Auftritte geschieht – in NRW wie in der Bundespartei –, darüber dürfte die Beobachtung durch den Verfassungsschutz mittelfristig Aufschluss geben.
Für richtig hält die Entscheidung Politikwissenschaftler Johannes Hillje: „Die AfD hat sich von einer rechtspopulistischen zu einer rechtsradikalen Partei entwickelt, das Gericht hat die extremistischen Elemente der Partei bestätigt.“Der Argumentation, nur einzelne Mitglieder verträten extremistische Positionen, entgegnet er: Wenn eine Partei dies in eigenen Reihen zulasse, sei die ganze Partei extremismusoffen: „Damit ist die AfD eine Gefährdung für die Demokratie.“Es gebe in ostdeutschen Verbänden mehr radikale Kräfte, aber auch in NRW ein Nebeneinander weniger radikaler und radikaler Kräfte.
Bevor der Verfassungsschutz tätig werden kann, muss zunächst die Urteilsbegründung schriftlich vorliegen und auch ein in gleicher Sache noch anhängiges Eilverfahren formal abgeschlossen sein. Von da an darf der Verfassungsschutz verdeckte Ermittler einsetzen und Informanten aus dem Dunstkreis der AfD anwerben – ausgenommen sind dabei Mandatsträger und deren direkte Mitarbeiter. Möglich sind auch etwa Finanzermittlungen und die Überwachung interner Kommunikation, etwa geschlossene Chat-Gruppen. Daten zu Mitgliedern dürfen gespeichert und Personen-Akten angelegt werden. Bei all dem gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, in manchen Angelegenheiten bedarf es einer Kommission, die Maßnahmen zustimmen muss. Durch den Gerichtsentscheid wird ein Zustand geheilt, der lange absehbar war“, so das Fazit von Parteienforscher Gideon Botsch, Professor an der Universität Potsdam und Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus. „Die AfD als größte innerstaatliche Bedrohung der Demokratie wird jetzt auch offiziell als solche wahrgenommen.“Die Partei habe sich ihre Erfolgsaussichten gewissermaßen selbst verbaut, aber eine Entwarnung könne es nicht geben. „Die AfD bleibt eine Herausforderung und potenzielle Gefährdung“, so der Experte, „das aggressiv kämpferische Auftreten der AfD, ihre Widerstands- und Umsturzrhetorik erlaubt vielmehr die Frage, inwieweit man langfristig über ein Parteiverbot nachdenken muss.“