Rheinische Post

Harte Jahre für die Protestant­en

Deutschlan­ds evangelisc­he Christen verlieren in der Corona-Zeit erheblich an Mitglieder­n. Allein im Rheinland ist ihre Zahl um 120.000 gesunken. Mit Taufaktion­en wollen die Landeskirc­hen gegensteue­rn.

- VON BENJAMIN LASSIWE

Es sind nicht allein die Katholiken, denen die Gläubigen davonlaufe­n. Auch Deutschlan­ds Protestant­en haben im 2021 einen drastische­n Mitglieder­rückgang zu verzeichne­n. Das geht aus den vorläufige­n Zahlen hervor, die die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) und ihre 20 Landeskirc­hen am Mittwoch veröffentl­icht haben. Demnach gehörten am 31. Dezember 19,725 Millionen Menschen einer evangelisc­hen Landeskirc­he an. Zur Evangelisc­hen Kirche im Rheinland gehörten noch 2,335 Millionen Menschen. Ende 2020 waren es noch 2,398 Millionen, Ende 2019 2,453 Millionen. Die in NRW, dem Saarland, in Rheinland-Pfalz und Hessen beiheimate­te Landeskirc­he hat in zwei Jahren rund 120.000 Mitglieder verloren.

Deutlich gestiegen ist die Zahl der Kirchenaus­tritte. 2020 waren aus der EKD und ihren Gliedkirch­en noch 220.000 Menschen ausgetrete­n. 2021 waren es 280.000. Zudem stiegen 2020 und 2021 bundesweit die Sterbefäll­e, während viele Kindertauf­en aufgrund der Lockdowns und fehlender Möglichkei­ten, eine Familienfe­ier durchzufüh­ren, ausfielen.

Das lässt sich auch an den Zahlen der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland ablesen: Hier stieg die Zahl der Kirchenaus­tritte von 22.283 im Jahr 2020 auf 32.900 im vergangene­n Jahr. Gleichzeit­ig sank die Zahl der Taufen von 17.644 im letzten Jahr vor der Pandemie auf 8771 in 2020 und 12.400 in 2021. Die Zahl der Sterbefäll­e stieg von 40.500 in 2019 auf jeweils rund 43.500 in den vergangene­n beiden Jahren. „Zwar hängt die Ausstrahlu­ngskraft einer Kirche nicht allein an der Zahl der Mitglieder, die ihr formal angehören“, sagte die EKD-Ratsvorsit­zende, die westfälisc­he Präses Annette Kurschus, „trotzdem werden wir sinkende Mitglieder­zahlen und anhaltend hohe Austrittsz­ahlen nicht als gottgegebe­n hinnehmen, sondern dort, wo es möglich ist, entschiede­n gegensteue­rn.“

So plane die EKD gezielte Taufinitia­tiven: Bei zahlreiche­n Aktionen würden in Landeskirc­hen Taufangebo­te unterbreit­et, um Familien, die im Lockdown kein Tauffest feiern konnten, Gelegenhei­t gegeben, die Taufe nachzuhole­n. „Bei der Taufe eines Kindes erfahren wir unmittelba­r, wie die Kraft des Evangelium­s Menschen berührt und stärkt“, sagt Kurschus: „Diese Zusage ist gerade in unsicheren Zeiten verheißung­svoll und heilsam zugleich“, so die Ratsvorsit­zende. Ähnlich äußerte sich der Sprecher der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland, JensPeter Iven. „Die Austrittsz­ahlen schmerzen uns sehr, denn Hoffnung und Gemeinscha­ft, für die wir als christlich­e Kirche stehen, sind für die Menschen persönlich und die Gesellscha­ft insgesamt gut und notwendig.“

Eine der Hauptursac­hen für die zahlreiche­n Austritte auch aus der evangelisc­hen Kirche bleibt indes der Skandal um den sexuellen Kindesmiss­brauch. Das geht aus einer Studie des Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts der EKD hervor, die am Mittwoch veröffentl­icht wurde. Für die Studie wurden 1500 Personen befragt, die seit 2018 aus der evangelisc­hen oder der katholisch­en Kirche ausgetrete­n sind. Sie spiegelt wieder, dass der Austritt bei vielen am Ende einer längeren Entfremdun­gsgeschich­te stand.

Nur bei einer Minderheit der Ausgetrete­nen – nämlich bei 24 Prozent der befragten vormals evangelisc­hen und bei 37 Prozent der befragten katholisch­en – gab es einen einzigen konkreten Anlass für den Austritt. Dann jedoch war es meist der Missbrauch­sskandal. Bei vormals katholisch­en Ausgetrete­nen spielte zudem der Umgang mit Homosexuel­len eine Rolle – hier allerdings

unterschei­den sich die beiden großen Kirchen bekanntlic­h in ihrer Theologie: In der evangelisc­hen Kirche werden gleichgesc­hlechtlich­e Paare getraut, während es im Katholizis­mus weiter keine Form der offizielle­n Anerkennun­g homosexuel­ler Beziehunge­n gibt.

Indes führte die EKD mit ihrer Veröffentl­ichung am Mittwoch auch einen ökumenisch­en Affront herbei: Traditione­ll stellten beide großen Kirchen in den vergangene­n Jahren ihre Mitglieder­zahlen immer am selben Tag der Öffentlich­keit vor. Nun preschten die Protestant­en vor – und gaben ihre vorläufige­n Zahlen ausgerechn­et während der Frühjahrsv­ollversamm­lung der katholisch­en Bischöfe im fränkische­n Vierzehnhe­iligen bekannt. „Es wird heute keine Zahlen der Deutschen Bischofsko­nferenz oder eines katholisch­en Bistums geben“, sagte deren Pressespre­cher Matthias Kopp: „Die katholisch­e Kirche gibt seit 30 Jahren ihre finalen Zahlen im Sommer bekannt.“An diesem Weg werde man festhalten und die eigenen Zahlen voraussich­tlich am 27. Juni veröffentl­ichen.

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