Eine Düsseldorferin in Venedig
Katharina Fritsch überzeugte die Biennale-Jury mit existenziell-menschlicher Kunst.
Am 23. April erhält die in Düsseldorf lebende Katharina Fritsch (66) zur Eröffnung der 59. Kunstbiennale in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk. Sie gilt als wichtigste figurative Bildhauerin der Gegenwart. Ihre Kunst ist von einer so unantastbaren Makellosigkeit und Formstrenge, dass sie fast abstrakt wirkt. Ob „Doktor“oder „Dealer“, Madonna oder Monstermaus – alle haben eine klare Körperlichkeit und erscheinen doch dank reflektierenden Oberflächen wie weggeblendet. Im Spiel mit Ähnlichkeiten aus dem wirklichen Leben wirken sie bekannt und entrückt zugleich.
Die Absolventin der Düsseldorfer Kunstakademie begann in der Zeit der wilden Breitwandmalerei der 80er-Jahre, alltägliche Dinge mit einer rätselhaften Aura zu umgeben. Als jüngste Teilnehmerin der legendären Ausstellung „Von hier aus“erregte die Meisterschülerin von Fritz Schwegler mit Schüsseln und Töpfen Aufsehen, in denen sich bloßes Wasser oder eine farbige Gummimatte befand. 1988 feierte sie mit einer „Tischgesellschaft“der immer gleichen Männer mit weißem Gesicht, weißen Händen und schwarzen Haaren am langen Tisch Triumphe. Seitdem lässt sie nicht locker in ihrer Perfektion, ihren besonderen Maßstäben und wohlkalkulierten Farben.
Sie wuchs in einem sehr katholischen Elternhaus in Münster auf und fand es faszinierend, in die Kirche zu gehen. Ihre Kunst ist nicht katholisch oder spirituell, aber sie bewahrt die kollektiven Erfahrungen der Religion, auch des Volksglaubens, der Mythen, Sagen und Märchen. Ihr Thema war nie die Politik, sondern das Existenziell-Menschliche. Schauder erregten ihre riesenhaften Kunststoff-Ratten mit ineinander verwickelten Schwänzen im Rücken. Die Tiere waren realitätsgetreu vergrößert und ergaben ein Horrorszenario. Seitdem inszeniert sie eine Gratwanderung zwischen Privatem und Allgemeinem, Subjektivem und Kollektivem. Alles
scheint von größter Künstlichkeit und Natürlichkeit zu sein, vertraut und fremd zugleich.
Die Dinge sind erfunden, erträumt oder assoziativ erlebt. Auslöser etwa für golden glänzende Herzen war das Märchen „Das kalte Herz“von Wilhelm Hauff, aber auch die Geldtempel in London, als sie in der Tate Modern ausstellte. Immer kippt das Schöne ins Gefährliche. Dann zeigt sich das süße Mäuschen als fetter Vampir.
Das Besondere aber ist die rätselhafte und unantastbare Farbe. Vieles wirkt dadurch obsessiv und absolut zugleich. Das gilt für das Heilige wie das Scheinheilige, den Teufel wie die Madonna. Nur so entsteht die doppeldeutige Symbolik ihrer Dinge, die ihre Werke einmalig macht.