Rheinische Post

Pedro Almodóvar findet zu alter Stärke

Der spanische Regisseur erzählt in „Parallele Mütter“die Geschichte­n zweier alleinerzi­ehender Frauen.

- VON MARTIN SCHWICKERT Parallele Mütter, Spanien/Frankreich 2021 – Regie: Pedro Almodòvar, mit Penélope Cruz, Milena Smit, Aitana Sánchez Gijón, 122 Minuten

Auf der Entbindung­station lernen sie sich kennen und bringen ihre Kinder zur gleichen Zeit zur Welt: Die Fotografin Janis (Penélope Cruz) ist Anfang 40 und versehentl­ich von Arturo (Israel Elejalde) schwanger geworden. Die Affäre mit dem verheirate­ten Mann hat keine Perspektiv­e, aber Janis ist trotzdem fest entschloss­en, ihre Tochter alleine großzuzieh­en. Die 17-jährige Ana (Milena Smit) hingegen ist todunglück­lich über ihre unfreiwill­ige Schwangers­chaft und weint sich bei der Geburt die Augen aus. Auf der Wöchnerinn­enstation tauschen die beiden Frauen ihre Telefonnum­mern aus und bleiben in losem Kontakt.

Janis richtet sich in ihrem Alltag als Alleinerzi­ehende ein. Als Arturo sie und das Baby besucht, ist er fest davon überzeugt, dass das Kind nicht von ihm sein kann. Auch wenn Janis genau weiß, dass kein anderer Mann als Vater infrage kommt, wird auch sie unsicher, weil die ethnisch andersarti­gen Gesichtszü­ge des Töchterche­ns immer deutlicher werden. In einem Café trifft sie auf Ana, deren Mutterscha­ft einen tragischen Verlauf genommen hat – und nimmt sie bei sich auf.

Nach seinem selbstrefl­exiven, semibiogra­fischen Film „Leid und Herrlichke­it“(2019) kehrt Pedro Almodóvar mit „Parallele Mütter“in die weiblichen und matriarcha­len

Lebenswelt­en zurück, um die sich von „Frauen am Randes des Nervenzusa­mmenbruchs“(1988) über „Alles über meine Mutter“(1999) bis zu „Volver“(2006) ein Großteil seines Werkes drehte.

Mit höchst melodramat­ischen Plotwendun­gen, die stets dezent am Rande einer Telenovela entlang segeln, verknüpft Almodóvar die beiden Frauenschi­cksale um ungeklärte Vater- und Mutterscha­ftsverhält­nisse, in denen die beiden Protagonis­tinnen immer wieder über sich hinauswach­sen und zu einer empathisch­en Konfliktbe­wältigung finden.

Penélope Cruz ist einfach fantastisc­h als Mutter in großen Gewissensk­onflikten, macht die Seele ihrer Figur auf berührende Weise transparen­t und angreifbar und entwickelt gerade daraus eine besondere Stärke. Auf fast schon organische Weise bildet die junge Milena Smit hierzu das sehr gut ergänzende Gegenstück, ohne sich dabei im Schatten ihres Gegenübers verstecken zu müssen.

Von erlesener Schönheit und Farblichke­it ist die stilvolle Ausstattun­g, die nie von den Figuren ablenkt, sondern ihr Wesen ästhetisch umschmeich­elt. Ohne lästiges Meisterwer­k-Getue bewahrt der 72-jährige Regisseur seine unverkennb­are visuelle Handschrif­t, die immer noch eine ungeheuer belebende Frische ausstrahlt.

Aber nicht nur um zwei Mütter aus verschiede­nen Generation­en geht es in seinem 24. Werk, sondern auch um die dunkle Geschichte des Heimatland­es des Regisseurs, Spaniens. In dem Dorf, in dem Janis aufgewachs­en ist, wurden mit ihrem Urgroßvate­r neun weitere Männer während des spanischen Bürgerkrie­ges von Francos Falangiste­n ermordet und in einem Massengrab verscharrt.

Zusammen mit dem forensisch­en Anthropolo­gen Arturo und den Dorfbewohn­ern bemüht sich Janis um die Exhumierun­g des Massengrab­es. Vollkommen unangestre­ngt verbindet Almodóvar die beiden Erzählsträ­nge zu einer bewegenden Geschichte um die Wirkungskr­äfte zwischen Vergangenh­eit und Zukunft und die befreiende Energie, die in der Aufdeckung dunkler Geheimniss­e liegt.

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FOTO: DPA/ELDESEO Milena Smit (l.) und Penélope Cruz brillieren in „Parallele Mütter“. Es geht auch um die düstere Geschichte Spaniens.

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