Freunderlwirtschaft
In Österreich schien in den vergangenen Wochen kaum ein Tag zu vergehen, an dem nicht neue heikle Chats aus den Reihen der ÖVP das Image der politischen Kultur im Land beschädigten. Ein Sittengemälde.
„Rote bleiben Gsindl!“Das schrieb die konservative österreichische Politikerin Johanna Mikl-Leitner im Frühjahr 2016 in einer Chat-Nachricht. Sie war damals Innenministerin, der Empfänger ihr Kabinettschef Michael Kloibmüller. Die Schmähung der Sozialdemokraten von der SPÖ – damals noch Koalitionspartner der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) in Wien – fand sich wie Tausende weitere Nachrichten auf Kloibmüllers Handy.
Dieses war in andere Hände geraten. Und in den Chats belassen es die Verfasser nicht mit Beleidigungen, vielmehr tun sich Abgründe auf – wie ÖVP-Spitzenpolitiker ihre Ämter nutzten und missbrauchten im Dienste der „eigenen Leute“, so Kloibmüllers Bezeichnung. Es ging um Postenbeschaffungen, um „Freunderlwirtschaft“, wie es in Österreich heißt, und um das Ausbremsen der politischen Konkurrenz.
Es herrscht Aufruhr in der österreichischen Politik – wieder einmal. Erst im vergangenen Herbst trat der junge Bundeskanzler und ÖVP-Sonnyboy Sebastian Kurz spektakulär von allen Ämtern zurück – ohne einen Funken Einsicht oder Schuldbewusstsein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Korruption. Es geht unter anderem um den Vorwurf, dass er und sein Umfeld sich durch das Schalten von Anzeigen gute Berichterstattung in der Zeitung „Österreich“erkauft haben sollen. Weiter besteht der Vorwurf, dass die Dienste für die ÖVP vom Finanzministerium aus Steuergeldern bezahlt wurden.
Für das „rote Gsindl“entschuldigte sich Johanna Mikl-Leitner nun relativ empathielos: „So sollte man weder miteinander noch übereinander reden.“Die SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner nahm das zwar an, fügte jedoch hinzu, dass sich die ÖVP-Frau auch „gegenüber allen Menschen im Land“für ihre Äußerung entschuldigen solle. Und ihre Sprecherin Elisabeth Mittenhuber sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass die „herabwürdigende Haltung“befremdlich sei und zeige, wie sehr Österreich „eine neue politische Kultur braucht“.
Wenn dem so ist, dann sicher nicht nur wegen verbaler Grobheiten. „BMI-Chats“nennt die OnlineTageszeitung „Zackzack“ihre Serie über die Nachrichten auf dem Handy. BMI steht für Bundesministerium des Innern. Filz, Postenschacher, Ministeriumsinterventionen in größeren und kleineren Angelegenheiten,
immer aber zugunsten der ÖVP – das ist der wesentliche Inhalt der veröffentlichten Nachrichten, die im Jahr 2017 enden. Neben „Zackzack“haben auch andere Medien das Material. Darin ist etwa zu lesen, wie ÖVP-Kreise mithilfe
Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ehemalige Innenministerin von Österreich
des Innenministeriums durchgesetzt haben, dass die Leitung der Oberstaatsanwaltschaft Wien nicht an eine der beiden bestqualifizierten Bewerberinnen ging, sondern an eine parteinahe Juristin. Ähnlich lief es bei der Besetzung von
Verfassungsschutzposten im Land Salzburg. Ein ÖVP-Politiker konnte sich nicht durchsetzen und beschwerte sich bei Kloibmüller, dass SPÖ-nahe Kandidaten zum Zuge kamen. Dieser antwortete laut den Protokollen: „Merk dir die arschlöcher u wir knöpfen sie uns einzeln vor.“Über ähnliche Fälle wird bei der Vergabe höherer Polizei-Jobs berichtet, die allerdings im ÖVP-Sinn erfolgreicher verlaufen sind. So erhielt Kloibmüller laut dem Material die Nachricht: „Nochmals DANKE – du bist a Wahnsinn!“
Ziemlich unappetitlich ist eine Nachricht über Alev Korun, ehemalige Grünen-Abgeordnete im Nationalrat, die Kloibmüller von einem ÖVP-Abgeordneten erhalten hatte. Während einer Rede Koruns, die sich um Integration und Gleichbehandlungspolitik gekümmert hatte, wurde der Chat abgesetzt: „Warum hat diese Hexe noch niemand in der Donau versenkt? Ich glaube, weil sie die Donau von Passau bis ins Schwarze Meer vergiften würde.“
„Zackzack“-Herausgeber Peter Pilz, 68 Jahre alt, ist in Österreich eine nicht unumstrittene Figur. Mit den Tausenden Nachrichten ist er in Wien zur Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft marschiert und hat sie dort abgegeben. „Darin finden sich genug Anknüpfungspunkte für Ermittlungen und Verfahren“, sagt er. Nach den Chats um Sebastian Kurz sieht er in diesem Material „die zweite große
Röntgenaufnahme zur schwarzen ÖVP“. Nun habe man „das gesamte Krankheitsbild vor sich“.
Seine Online-Zeitung wird auch als „linker Boulevard“bezeichnet. Pilz meint: „Wir sind vielleicht das führende investigative Medium in
Österreich.“Er selbst hatte vor einigen Jahren für Schlagzeilen gesorgt, als von Frauen Vorwürfe der sexuellen Belästigung erhoben worden waren. Pilz hatte dies zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft stellte Ermittlungen ein, weil die Frauen keine Erlaubnis zur Strafverfolgung erteilt hatten beziehungsweise ihre Identitäten nicht bekannt war.
Wie die Handy-Daten überhaupt in die Welt gerieten, verlief ebenso kurios wie für den Kabinettschef Kloibmüller unglücklich: 2017 fiel ihm sein Mobiltelefon bei einem Betriebsausflug ins Wasser, wurde aber herausgefischt. Um die Reparatur kümmerten sich die IT-Experten vom Verfassungsschutz. Dort dürfte allerdings eine Kopie der Chats gezogen worden sein. Mittlerweile gibt es Ermittlungen gegen eine Gruppe ehemaliger Verfassungsschützer, denen nicht nur in diesem Fall Geheimnisverrat vorgeworfen wird.
„Minister kommen und gehen, ‚Kloiberl‘ bleibt“, schreibt „Zackzack“. Mikl-Leitner wechselte 2016 als Landeshauptfrau, also Ministerpräsidentin, in ihre niederösterreichische Heimat. Doch in Wien gilt sie als heimliche ÖVP-Vorsitzende, ohne die in der Partei keine Entscheidung getroffen wird. So hatte sie erheblichen Einfluss darauf, dass Sebastian Kurz sich komplett aus der Politik verabschiedete. Im BMI folgte Wolfgang Sobotka als Minister, heute ist er Präsident des Bundesparlaments. An einigen der kritisierten Vorgänge war auch er beteiligt. „Der Standard“kommentiert, dass man in Österreich darüber diskutieren sollte, „wie man Postenbesetzungen und Verwaltungsvorgänge aus dem Griff der Parteipolitik befreien kann“. Und Douglas Hoyos, Generalsekretär der oppositionellen linksliberalen Neos, sagt: „Das ist schädlich für die Demokratie als solche.“
Kann das schwarz-grüne Bündnis überhaupt durchhalten bis zum nächsten Wahltermin im September 2024? Mit einer ÖVP, die zerrieben wird, und den Grünen, an deren Integrität auch Zweifel bestehen? Erst kürzlich war eine geheime Nebenabsprache zum Koalitionsvertrag aufgetaucht: Demnach werden den Grünen verschiedene Top-Jobs in der Justiz, bei der Nationalbank, im Österreichischen Rundfunk ORF und bei der EU versprochen. Im Gegenzug akzeptiert die Partei die ÖVP-Forderung nach einem Kopftuchverbot für Lehrerinnen.
„Aufgabe der Grünen ist es, Verantwortung zu übernehmen“, sagt ein Sprecher des Vize-Kanzlers und Parteichefs Werner Kogler zur Chat-Affäre. Es werde aufgeklärt, und: „Solange unabhängige Aufklärung gesichert ist, ist die Koalition nicht gefährdet.“Peter Pilz hingegen meint: „Die Grünen sind nur noch ein trauriger Rest der Partei, die ich mitbegründet habe.“
„Rote bleiben Gsindl“
„Minister kommen und gehen, ‚Kloiberl‘ bleibt“Kommentar in „Zackzack“