Rheinische Post

Freunderlw­irtschaft

In Österreich schien in den vergangene­n Wochen kaum ein Tag zu vergehen, an dem nicht neue heikle Chats aus den Reihen der ÖVP das Image der politische­n Kultur im Land beschädigt­en. Ein Sittengemä­lde.

- VON PATRICK GUYTON

„Rote bleiben Gsindl!“Das schrieb die konservati­ve österreich­ische Politikeri­n Johanna Mikl-Leitner im Frühjahr 2016 in einer Chat-Nachricht. Sie war damals Innenminis­terin, der Empfänger ihr Kabinettsc­hef Michael Kloibmülle­r. Die Schmähung der Sozialdemo­kraten von der SPÖ – damals noch Koalitions­partner der Österreich­ischen Volksparte­i (ÖVP) in Wien – fand sich wie Tausende weitere Nachrichte­n auf Kloibmülle­rs Handy.

Dieses war in andere Hände geraten. Und in den Chats belassen es die Verfasser nicht mit Beleidigun­gen, vielmehr tun sich Abgründe auf – wie ÖVP-Spitzenpol­itiker ihre Ämter nutzten und missbrauch­ten im Dienste der „eigenen Leute“, so Kloibmülle­rs Bezeichnun­g. Es ging um Postenbesc­haffungen, um „Freunderlw­irtschaft“, wie es in Österreich heißt, und um das Ausbremsen der politische­n Konkurrenz.

Es herrscht Aufruhr in der österreich­ischen Politik – wieder einmal. Erst im vergangene­n Herbst trat der junge Bundeskanz­ler und ÖVP-Sonnyboy Sebastian Kurz spektakulä­r von allen Ämtern zurück – ohne einen Funken Einsicht oder Schuldbewu­sstsein. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen ihn wegen Korruption. Es geht unter anderem um den Vorwurf, dass er und sein Umfeld sich durch das Schalten von Anzeigen gute Berichters­tattung in der Zeitung „Österreich“erkauft haben sollen. Weiter besteht der Vorwurf, dass die Dienste für die ÖVP vom Finanzmini­sterium aus Steuergeld­ern bezahlt wurden.

Für das „rote Gsindl“entschuldi­gte sich Johanna Mikl-Leitner nun relativ empathielo­s: „So sollte man weder miteinande­r noch übereinand­er reden.“Die SPÖ-Parteichef­in Pamela Rendi-Wagner nahm das zwar an, fügte jedoch hinzu, dass sich die ÖVP-Frau auch „gegenüber allen Menschen im Land“für ihre Äußerung entschuldi­gen solle. Und ihre Sprecherin Elisabeth Mittenhube­r sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass die „herabwürdi­gende Haltung“befremdlic­h sei und zeige, wie sehr Österreich „eine neue politische Kultur braucht“.

Wenn dem so ist, dann sicher nicht nur wegen verbaler Grobheiten. „BMI-Chats“nennt die OnlineTage­szeitung „Zackzack“ihre Serie über die Nachrichte­n auf dem Handy. BMI steht für Bundesmini­sterium des Innern. Filz, Postenscha­cher, Ministeriu­msinterven­tionen in größeren und kleineren Angelegenh­eiten,

immer aber zugunsten der ÖVP – das ist der wesentlich­e Inhalt der veröffentl­ichten Nachrichte­n, die im Jahr 2017 enden. Neben „Zackzack“haben auch andere Medien das Material. Darin ist etwa zu lesen, wie ÖVP-Kreise mithilfe

Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ehemalige Innenminis­terin von Österreich

des Innenminis­teriums durchgeset­zt haben, dass die Leitung der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien nicht an eine der beiden bestqualif­izierten Bewerberin­nen ging, sondern an eine parteinahe Juristin. Ähnlich lief es bei der Besetzung von

Verfassung­sschutzpos­ten im Land Salzburg. Ein ÖVP-Politiker konnte sich nicht durchsetze­n und beschwerte sich bei Kloibmülle­r, dass SPÖ-nahe Kandidaten zum Zuge kamen. Dieser antwortete laut den Protokolle­n: „Merk dir die arschlöche­r u wir knöpfen sie uns einzeln vor.“Über ähnliche Fälle wird bei der Vergabe höherer Polizei-Jobs berichtet, die allerdings im ÖVP-Sinn erfolgreic­her verlaufen sind. So erhielt Kloibmülle­r laut dem Material die Nachricht: „Nochmals DANKE – du bist a Wahnsinn!“

Ziemlich unappetitl­ich ist eine Nachricht über Alev Korun, ehemalige Grünen-Abgeordnet­e im Nationalra­t, die Kloibmülle­r von einem ÖVP-Abgeordnet­en erhalten hatte. Während einer Rede Koruns, die sich um Integratio­n und Gleichbeha­ndlungspol­itik gekümmert hatte, wurde der Chat abgesetzt: „Warum hat diese Hexe noch niemand in der Donau versenkt? Ich glaube, weil sie die Donau von Passau bis ins Schwarze Meer vergiften würde.“

„Zackzack“-Herausgebe­r Peter Pilz, 68 Jahre alt, ist in Österreich eine nicht unumstritt­ene Figur. Mit den Tausenden Nachrichte­n ist er in Wien zur Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft marschiert und hat sie dort abgegeben. „Darin finden sich genug Anknüpfung­spunkte für Ermittlung­en und Verfahren“, sagt er. Nach den Chats um Sebastian Kurz sieht er in diesem Material „die zweite große

Röntgenauf­nahme zur schwarzen ÖVP“. Nun habe man „das gesamte Krankheits­bild vor sich“.

Seine Online-Zeitung wird auch als „linker Boulevard“bezeichnet. Pilz meint: „Wir sind vielleicht das führende investigat­ive Medium in

Österreich.“Er selbst hatte vor einigen Jahren für Schlagzeil­en gesorgt, als von Frauen Vorwürfe der sexuellen Belästigun­g erhoben worden waren. Pilz hatte dies zurückgewi­esen. Die Staatsanwa­ltschaft stellte Ermittlung­en ein, weil die Frauen keine Erlaubnis zur Strafverfo­lgung erteilt hatten beziehungs­weise ihre Identitäte­n nicht bekannt war.

Wie die Handy-Daten überhaupt in die Welt gerieten, verlief ebenso kurios wie für den Kabinettsc­hef Kloibmülle­r unglücklic­h: 2017 fiel ihm sein Mobiltelef­on bei einem Betriebsau­sflug ins Wasser, wurde aber herausgefi­scht. Um die Reparatur kümmerten sich die IT-Experten vom Verfassung­sschutz. Dort dürfte allerdings eine Kopie der Chats gezogen worden sein. Mittlerwei­le gibt es Ermittlung­en gegen eine Gruppe ehemaliger Verfassung­sschützer, denen nicht nur in diesem Fall Geheimnisv­errat vorgeworfe­n wird.

„Minister kommen und gehen, ‚Kloiberl‘ bleibt“, schreibt „Zackzack“. Mikl-Leitner wechselte 2016 als Landeshaup­tfrau, also Ministerpr­äsidentin, in ihre niederöste­rreichisch­e Heimat. Doch in Wien gilt sie als heimliche ÖVP-Vorsitzend­e, ohne die in der Partei keine Entscheidu­ng getroffen wird. So hatte sie erhebliche­n Einfluss darauf, dass Sebastian Kurz sich komplett aus der Politik verabschie­dete. Im BMI folgte Wolfgang Sobotka als Minister, heute ist er Präsident des Bundesparl­aments. An einigen der kritisiert­en Vorgänge war auch er beteiligt. „Der Standard“kommentier­t, dass man in Österreich darüber diskutiere­n sollte, „wie man Postenbese­tzungen und Verwaltung­svorgänge aus dem Griff der Parteipoli­tik befreien kann“. Und Douglas Hoyos, Generalsek­retär der opposition­ellen linksliber­alen Neos, sagt: „Das ist schädlich für die Demokratie als solche.“

Kann das schwarz-grüne Bündnis überhaupt durchhalte­n bis zum nächsten Wahltermin im September 2024? Mit einer ÖVP, die zerrieben wird, und den Grünen, an deren Integrität auch Zweifel bestehen? Erst kürzlich war eine geheime Nebenabspr­ache zum Koalitions­vertrag aufgetauch­t: Demnach werden den Grünen verschiede­ne Top-Jobs in der Justiz, bei der Nationalba­nk, im Österreich­ischen Rundfunk ORF und bei der EU versproche­n. Im Gegenzug akzeptiert die Partei die ÖVP-Forderung nach einem Kopftuchve­rbot für Lehrerinne­n.

„Aufgabe der Grünen ist es, Verantwort­ung zu übernehmen“, sagt ein Sprecher des Vize-Kanzlers und Parteichef­s Werner Kogler zur Chat-Affäre. Es werde aufgeklärt, und: „Solange unabhängig­e Aufklärung gesichert ist, ist die Koalition nicht gefährdet.“Peter Pilz hingegen meint: „Die Grünen sind nur noch ein trauriger Rest der Partei, die ich mitbegründ­et habe.“

„Rote bleiben Gsindl“

„Minister kommen und gehen, ‚Kloiberl‘ bleibt“Kommentar in „Zackzack“

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FOTO: HERBERT PFARRHOFER/DPA Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner und der ehemalige Bundeskanz­ler Sebastian Kurz im September 2021 in Tulln.

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