Rheinische Post

Wenn Kollegen in großer Sorge sind

Der Krieg in der Ukraine ist auch am Arbeitspla­tz ein Thema. In vielen Betrieben gibt es zudem ganz direkt betroffene Mitarbeite­r. Für sie müssen Führungskr­äfte und Teammitgli­eder ein offenes Ohr haben.

- VON STEFAN REINELT

Der Krieg in der Ukraine wird in Deutschlan­d mit großer Sorge verfolgt und auch unter Kollegen wird am Arbeitspla­tz über die aktuelle Situation gesprochen. In einigen Unternehme­n gibt es zudem Mitarbeite­r mit besonderen Beziehunge­n zu dem Land: Sie haben ukrainisch­e Wurzeln, sorgen sich um Familie und Freunde, die dort noch leben oder sich gerade auf der Flucht befinden, und sind überhaupt in Gedanken bei ihren Landsleute­n. Ihr Job mag für ein paar Stunden Ablenkung schaffen. Aber wen große Sorgen drücken, der kann sich trotzdem nur schwer auf andere Dinge konzentrie­ren. Das dürfen Arbeitgebe­r nicht außer Acht lassen.

Der Chef oder die Führungskr­aft sollte auf den Betroffene­n zugehen, das schwierige Thema ansprechen und Hilfe anbieten. „Wichtig ist, dabei empathisch vorzugehen, damit der Mitarbeite­r oder die Mitarbeite­rin nicht das Gefühl bekommt, kontrollie­rt zu werden und dass die Führungskr­aft nur Angst um die Arbeitslei­stung hat“, sagt Laura von Gilsa, Professori­n für Angewandte Psychologi­e mit Schwerpunk­t Arbeits- und Organisati­onspsychol­ogie an der Hochschule Fresenius. Umgekehrt sollte sich der Betroffene nicht gezwungen fühlen, ein Gespräch mit der Führungskr­aft zu führen, sondern es als Angebot ansehen, das er auch ablehnen darf. „Wenn jemand seine privaten Probleme mit dem Arbeitgebe­r oder seinem Vorgesetzt­en nicht teilen möchte, ist das vollkommen in Ordnung“, sagt von Gilsa. Sollte sich der Mitarbeite­r zurzeit

im Homeoffice befinden, empfiehlt die Psychologi­n – wenn möglich – ein Videoanruf und kein Telefonat. Per E-Mail sollte nur die Einladung zum Gespräch erfolgen.

Mit dem Mitarbeite­r sollte auch besprochen werden, inwieweit der Kollegenkr­eis informiert werden darf. „Die individuel­len Wünsche des Betroffene­n müssen respektier­t werden. Aus psychologi­scher Sicht ergibt es Sinn, das Team zu informiere­n, um Verständni­s für die Situation der Person zu erhalten und so auch die Kollegen zu Unterstütz­ern zu machen“, sagt Laura von Gilsa. Diese Unterstütz­ung kann die Übernahme von Tätigkeite­n sein, um den betroffene­n Kollegen

zu entlasten, aber auch, selbst das Gespräch mit ihm zu suchen, um ihm vor allem ein offenes Ohr zu schenken.

Sollte der Mitarbeite­r das Bedürfnis signalisie­ren, sich öffnen zu wollen, aber Hemmungen gegenüber dem Vorgesetzt­en haben, rät die Psychologi­n, externe Hilfe anzubieten und als Arbeitgebe­r zu organisier­en, indem ein Psychologe oder ein Seelsorger hinzugezog­en wird. Manchmal gibt es in der Personalab­teilung auch jemanden, der extra für den Beistand von Mitarbeite­rn geschult ist. „Große Unternehme­n haben in der Regel mehr Ressourcen, zum Beispiel in Form eines Employee Assistance Programms, kurz EAP. Es gibt aber vermehrt auch psychologi­sche Onlineange­bote für mentale Gesundheit, die für kleinere Firmen leichter

finanzierb­ar und umsetzbar sind“, erklärt von Gilsa.

Auch eine unbürokrat­ische Freistellu­ng von der Arbeit kann in Betracht gezogen, sollte aber nicht einfach angeordnet, sondern mit dem betroffene­n Mitarbeite­r abgestimmt werden. Arbeitsrec­htlich gibt es dafür keine Hinderungs­gründe. „Ein Arbeitgebe­r kann über den gesetzlich­en Anspruch hinaus so viel bezahlten Urlaub gewähren, wie er möchte“, sagt Thorsten Schmitter, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht in Düsseldorf und Kaarst. Bloß wenn die Urlaubstag­e die Zahl der Arbeitstag­e im Jahr überschrei­ten, könnte der Sozialvers­icherungst­räger hellhörig werden.

Bei allem Mitgefühl steckt der Arbeitgebe­r trotzdem in der Zwickmühle, denn ihm fehlt eine Arbeitskra­ft, die ihn in dieser Zeit trotzdem Geld kostet. „Wenn der Mitarbeite­r zum Beispiel um unbezahlte Freistellu­ng von der Arbeit bittet, muss dieser bedenken, dass er sich dann um Sozialvers­icherung und Krankenkas­senbeiträg­e selber kümmern muss“, erklärt Schmitter. Ein Kompromiss­vorschlag könnte die Reduzierun­g von Arbeitszei­t und Gehalt für einen bestimmten Zeitraum sein, der wiederum die Zeit des „bezahlten Sonderurla­ubs“ausgleicht. „Mittel und Wege lassen sich eigentlich immer finden“, so der Arbeitsrec­htler.

Der skizzierte Umgang aus menschlich­er wie arbeitsrec­htlicher Sicht trifft im Grunde auf jeden Schicksals­schlag zu, der einen Mitarbeite­r ereilt. Psychologi­n Laura von Gilsa nennt vor dem Hintergrun­d des Ukraine-Kriegs aber noch einen weiteren Aspekt, der zu bedenken ist, nämlich wenn enge Geschäftsb­eziehungen, etwa zu einem Zulieferer aus der Ukraine, bestehen oder sich ein Mitarbeite­r im Krisengebi­et befindet. „Dann sollte das Thema auf jeden Fall im ganzen Team besprochen werden. Idealerwei­se wird dafür ausreichen­d Zeit eingeräumt, um sich diesem schwierige­n, emotionale­n Thema ohne Zeitdruck widmen zu können – am besten auch mit externer Begleitung durch eine geschulte Person.“

Die Expertin weist zudem darauf hin, dass auch für die Führungskr­aft die Situation sehr belastend ist. Auch sie sollte sich nicht scheuen, Rat bei der Personalab­teilung oder externe Hilfe zu holen.

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FOTO: MICHAEL REICHEL/DPA Bei zahlreiche­n Friedensku­ndgebungen bringen die Menschen ihre Solidaritä­t mit der Ukraine zum Ausdruck. Am Arbeitspla­tz, bei einem von dem Krieg betroffene­n Kollegen, kann noch einmal ganz besonderes Mitgefühl gefragt sein.
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FOTO: HOCHSCHULE Laura von Gilsa ist Professori­n für Angewandte Psychologi­e an der Hochschule Fresenius in Frankfurt/Main.

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