Grüße aus dem Mon-Chéri-Paradies
Serienmacher haben den Supermarkt als Schauplatz für sich entdeckt. Auch Popsongs und Filme erzählen gerne von diesem Ort. Tatsächlich bietet er neben Waren und Konsumversprechen vor allem Zwischenmenschlichkeit.
Kurze Erinnerung an den ersten Lockdown: Nichts hatte mehr auf, nirgendwo durfte man andere Menschen treffen, nur noch im Supermarkt. Man stand Schlange, einmal ums Gebäude bisweilen. Die Tür war härter als im Berghain, und wenn man endlich reingewunken wurde, weil gerade ein anderer rausgegangen war, dann nur mit Maske und diesen Einweg-Plastikhandschuhen, in denen rasch Treibhaus-Atmosphäre herrschte. Und nicht vergessen, bitte: Jeder einen Einkaufswagen nehmen, zum Abstandhalten! Trotzdem war das total schön, damals im Supermarkt. Weil man in Ruhe Leute gucken konnte, ein bisschen mit anderen sein und sich was Gutes tun: neben Klopapier, Mehl und Spaghetti einfach mal Mon Chéri einpacken.
Supermärkte sind systemrelevant, seit Corona ist das notariell beglaubigt, und da verwundert es kaum, dass die Popkultur diesen Ort nun als Schauplatz für Geschichten entdeckt. Wiederentdeckt, muss man eigentlich sagen, denn die Faszination war immer schon da. Der Supermarkt hat sich etabliert als durchgerockter Cousin des mondänen Kaufhauses. Er wurde in Filmen, Büchern und Songs als Paradies des kleinen Mannes beschrieben. Bruce Springsteen, der ja wie wenige andere weiß, wonach working class heroes sich sehnen, formuliert es in seinem Lied „Queen Of The Supermarkt“so: „There‘s a wonderful world where all you desire / And everything you‘ve longed for is at your fingertips / Where the bittersweet taste of life is at your lips.“
Der Supermarkt als eigener Kosmos also, als Durchgangsort, an dem sich die allermeisten versorgen müssen, der angefüllt ist mit Emotionen und Projektionen. Von dem Vorrat an Zwischenmenschlichkeit, die der Supermarkt bietet, profitiert auch die deutsche Fernsehserie „Die Discounter“. Man kann sie bei Amazon Prime schauen, und wer eine kleine Erheiterung sucht, die ihn nach der Nachrichtenlektüre kurz vorm Schlafengehen aufmuntert, ist bei diesen zehn rund 20-minütigen Folgen gut aufgehoben.
Es geht in „Die Discounter“um die Altonaer Filiale von Feinkost Kolinski, wobei der Begriff „Feinkost“
für dieses Geschäft wie ein Witz klingt. Der Laden ist ziemlich runtergewirtschaftet, das Personal verschnarcht und die Kundschaft flegelhaft, aber gerade diese Mischung macht es. Die Produktion kommt als „Mockumentary“daher, wie bei „Stromberg“tun alle so, als begleite ein Kamerateam die Belegschaft bei der Arbeit. Manche geben kurze Interviews, und darin verkaufen sie sich selbstverständlich besser als in den kurz darauf aufgenommenen Szenen aus der freien Wildbahn. Produziert wurde die Sendung von Christian Ulmen, und einer der vielen schönen Dialoge hört sich so an: „Eigentlich geht Kernobst gerade gut.“– „Nee, eigentlich nicht so.“– „Hm. Komisch, oder?“
Das Populäre ist ästhetisch in all seiner Absurdität, das Alltägliche in
seiner Angeranztheit beinahe poetisch, und die Gegenwart durch das Verfahren, das sich als Dokumentation tarnt, unmittelbar. Als „Museum der Dinge und Marken“bezeichnet der Schriftsteller David Wagner den Supermarkt in seinem Buch „Vier Äpfel“. Er sei der „zeitgenössische Ausstellungsraum überhaupt“. Und wer das hört, muss natürlich gleich an Andreas Gurskys Millionen-Fotoarbeit „99 Cent“denken: Im Bild des Minikonsums schnurren alle Versprechen und Widersprüche des Kapitalismus wie in einem Emblem zusammen.
Das Schöne an „Die Discounter“ist das Improvisierte. Es gibt kein ausformuliertes Drehbuch, sondern lediglich Handlungspunkte wie „Party“und „Küsse“als Richtlinie. Etablierte Akteure wie Doris Kunstmann improvisieren gemeinsam mit neuen Gesichtern, das macht die Serie so erfrischend. Ein Vorbild für die Autoren Bruno Alexander und die Zwillinge Oskar und Emil Belton dürfte die amerikanische Reihe „Superstore“gewesen sein. Sechs Staffeln wurden seit 2015 produziert; die erste drehten sie in einem echten Walmart, während der Betrieb weiterlief, man kann sie bei Netflix sehen. Und auch dort ist der Kniff, dass ein Neuer zu einer eingefahrenen Gruppe stößt und all das als gaga entlarvt, was als Übereinkunft
gilt. Natürlich wird der Neue dann bald Teil des Systems, er wird Teil des Wahnsinns, und natürlich stehen die, die sich zunächst unsympathisch geben, in Wirklichkeit auf der guten Seite.
Der Regisseur George A. Romero verwendete den Supermarkt einst als Hintergrund für seinen Horrorfilm „Dawn Of The Dead“. Die Zombies stehen in diesem GenreKlassiker für die verdummten Konsumenten. „Das Supermarkt-Regal ist eine Lüge“, schimpft der ebenfalls um Aufklärung bemühte Iggy Pop in seinem Song „Supermarket“. Und auch bei Bruce Springsteen findet sich Kritik an jenem Ort, der einzig existiert, um seine Besucher zum Geldausgeben zu verführen. Als „Narrenschiff“bezeichnet er ihn in „Queen Of The Supermarket“. Was ihn dennoch immer wiederkommen lässt, ist die Angestellte in Gang Nummer zwei: „For one moment her eyes meet mine / I’m lifted up, lifted up, lifted up, lifted up.“
Im Supermarkt bekommt jeder, wonach er sich sehnt.
Autor David Wagner bezeichnet den Supermarkt als „Museum der Dinge und Marken“