GOTT8UND8DIE8WELT Beschämende Wahrheiten
Die Sicherheiten, auf die sich viele lange verlassen haben, sind ins Wanken geraten.
Geht es Ihnen auch so, dass Sie die Welt um sich herum derzeit irgendwie als unwirklich und seltsam ungleichzeitig wahrnehmen? Da ist einerseits der beginnende Frühling, das Aufblühen der Natur und bei vielen schon die Vorfreude auf den Osterurlaub. Andererseits sind da Krieg und Zerstörung, Flucht und Vertreibung, Hunger und Not ganz in unserer Nähe. Das in Kopf und Herz zusammenzubringen, fällt schwer. Irgendwie funktionieren wir zwar, versuchen, unseren Alltag „normal“weiterzuleben. Aber über alles hat sich ein Mehltau aus Melancholie und Resignation, aus Ohnmacht, Angst und Aussichtslosigkeit gelegt.
Jede von uns hat inzwischen sicher ganz persönliche Bewältigungsstrategien gefunden. Was uns eint, ist aber wohl die Ahnung, dass drastische Veränderungen bevorstehen werden, dass Sicherheiten, auf die wir uns lange verlassen haben, ins Wanken geraten – und, ja, dass wir bereit sein müssen, Opfer zu bringen oder zumindest Verzicht zu leisten. Noch versuchen die Verantwortlichen in der Politik, alles zu tun, um Einschränkungen möglichst sanft abzufedern, wohl auch, um die Gunst der Wählerinnen und Wähler nicht zu verlieren.
Ich würde mir wünschen, dass sie uns ernster nähmen und die Wahrheit offen auf den Tisch legten. Allerdings: Was ist in diesen Zeiten die Wahrheit? Und: Würden wir sie überhaupt verkraften? Joachim Gauck meinte kürzlich, dass wir um der Freiheit willen auch einmal frieren können müssten. Wenn ich in die Gesichter der ukrainischen Familie schaue, die – Großmutter, Töchter und Enkelinnen – jetzt bei uns im Kloster lebt, dann treibt es mir tatsächlich die Schamesröte ins Gesicht. Müssten wir nicht alle Energieimporte aus Russland stoppen? Oder kommt Putin uns mit einem Lieferstopp zuvor? Was würde das alles für uns bedeuten? Wie weit geht unsere Solidarität? Es gibt verwirrend viele Unwägbarkeiten. Unendlich viele Fragen bohren in mir und bleiben wohl vorerst unbeantwortet.
Unsere Autorin ist Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen und stammt aus Ratingen. Sie wechselt sich hier mit der evangelischen Pfarrerin Friederike Lambrich, Rabbi Jehoschua Ahrens und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ab.