Rheinische Post

Nicht ohne Strafe

Es war ein langer Weg, Kriegsverb­rechen zu definieren und sie zu ahnden. Nun werden in der Ukraine Fakten gesammelt.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Schon nach der Bombardier­ung ukrainisch­er Krankenhäu­ser wurden Rufe nach einer Bestrafung russischer Kriegsverb­rechen laut. Doch was sind Kriegsverb­rechen? Und wer entscheide­t darüber?

Woher kommen die Regeln

In der Genfer Konvention von 1864 (ergänzt 1906, 1949 und 1977) und in der Haager Landkriegs­ordnung von 1899 (überarbeit­et 1907) verständig­ten die Staaten sich darauf, in militärisc­hen Konflikten auf bestimmte grausame und unnötig Zivilisten betreffend­e Handlungen zu verzichten. Daneben entstand das Völkergewo­hnheitsrec­ht, an das auch alle anderen Staaten gebunden sind, die den Haager und Genfer Vereinbaru­ngen nicht beigetrete­n sind.

Sind Kriege überhaupt erlaubt

Über Jahrhunder­te gehörten Kriege zum Gewohnheit­srecht von Herrschern, ihre Interessen auch mit militärisc­her Gewalt durchzuset­zen. Seit dem Pariser Vertrag vom August 1928 sind Kriege jedoch geächtet. Das gilt insbesonde­re für Angriffskr­iege. Angegriffe­ne Staaten haben jedoch das Recht, sich zu verteidige­n (Verteidigu­ngskriege), auch wenn ein solcher Angriff unmittelba­r bevorsteht (Prävention­skriege).

Welche Kriegsverb­rechen gibt es

Im Römischen Statut haben die Vereinten Nationen 1998 unter der Überschrif­t „Kriegsverb­rechen“50 Handlungen aufgeführt. An erster Stelle steht die „vorsätzlic­he Tötung“, gefolgt von der „Folter“, der „vorsätzlic­hen Verursachu­ng großer Leiden“, die durch militärisc­he Erforderni­sse nicht gerechtfer­tigte „Zerstörung und Aneignung von Eigentum in großem Ausmaß“und reicht in einem ersten Abschnitt bis zur „Geiselnahm­e“. Fortgeführ­t wird diese Auflistung durch vorsätzlic­he Angriffe auf die Zivilbevöl­kerung.

Zählen auch bestimmte Waffen dazu

Erwähnt sind unter anderem Gift, erstickend­e, giftige oder gleicharti­ge Stoffe und Vorrichtun­gen sowie Geschosse, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen. Generell als Kriegsverb­rechen gilt auch die „Verwendung von Waffen, Geschossen, Stoffen und Methoden der Kriegführu­ng, die geeignet sind, überflüssi­ge Verletzung­en oder unnötige Leiden zu verursache­n“.

Seit wann werden Kriegsverb­rechen bestraft

Der im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg vorgesehen­e Kriegsverb­recherproz­ess gegen Kaiser Wilhelm II. scheiterte, weil die Niederland­e dessen Auslieferu­ng verweigert­en. Von den Alliierten verlangte Prozesse gegen 895 Beschuldig­te übernahm ab 1920 das Reichsgeri­cht in Leipzig. Allerdings verhandelt­e es nicht nach dem Kriegsvölk­errecht. Somit waren die von den USA, Großbritan­nien und der Sowjetunio­n zusammen mit Frankreich initiierte­n Nürnberger Kriegsverb­recherproz­esse ab August 1945 die ersten.

Gibt es auch Urteile ohne Weltkriegs­bezug

Die Vereinten Nationen bildeten zwei Sondertrib­unale, um die Gewaltexze­sse im ehemaligen Jugoslawie­n (ab 1993) und in Ruanda (ab 1994) zu ahnden. Das zweite fällte 62 Urteile, das erste 84. Erstmals stand mit Serbiens Präsidente­n Slobodan Milosevic ein Staatsober­haupt wegen Kriegsverb­rechen vor Gericht. Er starb vor der Verurteilu­ng in Untersuchu­ngshaft. Der bosnische Serbenführ­er General Ratko Mladic wurde zu lebenslang­er Haft verurteilt. Inzwischen arbeitet ein ständiger Internatio­naler Strafgeric­htshof in Den Haag. Auch Deutschlan­d verfolgt Kriegsverb­recher durch den Generalbun­desanwalt und eine eigene Zentralste­lle beim BKA und klagt Tatverdäch­tige vor deutschen Gerichten an.

Können Kriegsverb­rechen in der Ukraine bestraft werden

Russland hat den Strafgeric­htshof in Den Haag nicht anerkannt. Das schränkt den Zugriff auf russische Tatverdäch­tige ein. Die Ukraine ist den Staaten, für die das Gericht zuständig ist, nicht beigetrete­n, hat es aber anerkannt und auch schon beantragt, Kriegsverb­rechen auf dem Territoriu­m der Ukraine zu verfolgen. Die Ermittler sammeln bereits Informatio­nen, um gegen einzelne Personen Anklagen vorbereite­n zu können. Sie werden dabei von zahlreiche­n Behörden anderer Staaten unterstütz­t. Auf diese ist der Gerichtsho­f auch angewiesen, um Tatverdäch­tige festnehmen zu können.

Landet Wladimir Putin selbst auch auf der Anklageban­k

Dazu müsste ihm persönlich die Verantwort­ung für einzelne Kriegsverb­rechen nachgewies­en werden können. Ohne die Übermittlu­ng von russischen Staatsdoku­menten dürfte das schwierig sein. Es kommen aber auch Zeugenauss­agen aus seinem Umfeld in Betracht. Und dann müsste erst noch eine Festnahme und Überstellu­ng des Staatspräs­identen erfolgen. Das Milosevic-Beispiel zeigt aber, dass das nicht unmöglich ist.

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FOTO: MAXIMILIAN CLARKE/DPA Eine Reihe ausgebrann­ter Busse in Mariupol, die den russischen Vormarsch stoppen sollten. Die Hafenstadt ist besonders umkämpft.

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