Camouflage statt Glitzer
Dmytro Dikussar kennen die Ukrainer als Tänzer. Nun ist er der Armee beigetreten.
(dpa) Dmytro Dikussar kennen die Ukrainer vor allem so: stets lächelnd, tanzend und mit edel anmutenden Verbeugungen vor dem Publikum. Dem Profitänzer, Choreografen und Regisseur, der etwa bei der Fernsehshow „Dancing with the Stars“mitmachte und versuchte, Prominenten dabei zum Sieg zu verhelfen, hat die russische Invasion in die Ukraine jäh eine ungewollte Auftrittspause verschafft. Die wollte er aber nicht tatenlos absitzen. „Nach der ersten Explosion wusste ich, es ist Krieg“, erzählt er. „Danach hatte ich nur noch einen Plan: meine Nächsten in Sicherheit bringen und sofort in den Kampf zu ziehen.“
Drei Tage nach Kriegsbeginn sei er zur nächsten Einberufungsstelle gegangen. Die Tanzschuhe tauschte der 36-Jährige gegen Militärstiefel, und in diesen läuft er heute über ein Trainingsgelände der ukrainischen Armee, wie er via Facebook erzählt. Er habe sich geschworen, den Russen keinen Zentimeter seines Landes abzugeben.
Auf einem von ihm in sozialen Medien geteilten Foto in Uniform prangt „Streitkräfte der Ukraine“über seiner linken Brust. Ein Dienstgrad ist nicht auszumachen. Wo er sich genau befindet, will er lieber für sich behalten. Immerhin habe er ein wenig Erfahrung im Umgang mit Waffen, berichtet Dikussar. Von den anderen in seiner neuen Einheit kann er das allerdings nicht behaupten. Unter den Neueinsteigern seien ein Erdkundelehrer, ein Fernfahrer, ein Restaurator von Gemälden und Ikonen, ein Großvater von drei Enkelkindern – und ein Schlosser. Vor dem Krieg hatte die Ukraine westlichen Analysten zufolge rund 300.000 aktive Soldaten und Nationalgardisten. Dazu kamen noch mit Kriegsbeginn mehrere Zehntausend, die freiwillig in die neu gebildeten Einheiten der Gebietsverteidigung eintraten. Diese unterstehen ebenso der Armeeführung. Dabei werden vor allem Reservisten mit Erfahrung genommen. Kiew versichert auch seit Jahren, dass keine unausgebildeten Rekruten der Armee an die Front geschickt würden. Zeit, sich in seine neue Rolle einzugewöhnen, blieb Dikussar nicht. Nach der Abwicklung aller Formalitäten sei er in ein Verteilungszentrum zur Ausbildung gebracht worden. „Das wurde aber nach sieben Tagen durch einen Raketenangriff zerstört“, sagt Dikussar. Alle hätten noch geschlafen, als der Beschuss begann.
Auf seiner Facebook-Seite teilte Dikussar nach dem Vorfall ein Video. Details sind darauf nur schwer zu erkennen, aber es brennt, und ein Mann schreit mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut in der Stimme an die Russen gerichtete Schimpfwörter. Russland griff in seinem im Februar begonnenen Krieg mehrfach gezielt Kasernen und Ausbildungszentren der ukrainischen Armee mit Raketen an.
Unabhängig überprüfbare Angaben zu Verlusten der ukrainischen Einheiten gibt es dabei jedoch nicht. Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte Mitte März lediglich eine Zahl von „etwa 1300“Toten. Die russische Armee behauptete hingegen, dass in den Kämpfen bereits mehr als 14.000 ukrainische Soldaten getötet worden seien.
Mittlerweile befinden sich Dikussar und seine Kameraden an einem neuen Ort. In kürzester Zeit habe man ein neues Trainingszentrum aus dem Boden gestampft. „Ich habe zugestimmt, Rekruten an der Waffe auszubilden, während ich auf den Einsatz bei einer Kampfeinheit warte“, sagt Dikussar. Er selbst trainiere jeden Tag und bilde gleichzeitig andere aus.
Die Überzeugung, dass die ukrainischen Truppen dem übermächtigen russischen Invasor durchaus etwas entgegensetzen zu haben, ist auch beim Militär-Neuling Dmytro Dikussar bereits angekommen. „Am Boden machen wir dem Teufel die Hölle heiß“, sagt er. „Wenn wir noch den Himmel dichtmachen könnten…“
„Nach der ersten Explosion wusste ich, es ist Krieg“Dmytro Dikussar Tänzer und Soldat