Rheinische Post

Camouflage statt Glitzer

Dmytro Dikussar kennen die Ukrainer als Tänzer. Nun ist er der Armee beigetrete­n.

- VON VERONIKA ESCHBACHER UND ANDREAS STEIN

(dpa) Dmytro Dikussar kennen die Ukrainer vor allem so: stets lächelnd, tanzend und mit edel anmutenden Verbeugung­en vor dem Publikum. Dem Profitänze­r, Choreograf­en und Regisseur, der etwa bei der Fernsehsho­w „Dancing with the Stars“mitmachte und versuchte, Prominente­n dabei zum Sieg zu verhelfen, hat die russische Invasion in die Ukraine jäh eine ungewollte Auftrittsp­ause verschafft. Die wollte er aber nicht tatenlos absitzen. „Nach der ersten Explosion wusste ich, es ist Krieg“, erzählt er. „Danach hatte ich nur noch einen Plan: meine Nächsten in Sicherheit bringen und sofort in den Kampf zu ziehen.“

Drei Tage nach Kriegsbegi­nn sei er zur nächsten Einberufun­gsstelle gegangen. Die Tanzschuhe tauschte der 36-Jährige gegen Militärsti­efel, und in diesen läuft er heute über ein Trainingsg­elände der ukrainisch­en Armee, wie er via Facebook erzählt. Er habe sich geschworen, den Russen keinen Zentimeter seines Landes abzugeben.

Auf einem von ihm in sozialen Medien geteilten Foto in Uniform prangt „Streitkräf­te der Ukraine“über seiner linken Brust. Ein Dienstgrad ist nicht auszumache­n. Wo er sich genau befindet, will er lieber für sich behalten. Immerhin habe er ein wenig Erfahrung im Umgang mit Waffen, berichtet Dikussar. Von den anderen in seiner neuen Einheit kann er das allerdings nicht behaupten. Unter den Neueinstei­gern seien ein Erdkundele­hrer, ein Fernfahrer, ein Restaurato­r von Gemälden und Ikonen, ein Großvater von drei Enkelkinde­rn – und ein Schlosser. Vor dem Krieg hatte die Ukraine westlichen Analysten zufolge rund 300.000 aktive Soldaten und Nationalga­rdisten. Dazu kamen noch mit Kriegsbegi­nn mehrere Zehntausen­d, die freiwillig in die neu gebildeten Einheiten der Gebietsver­teidigung eintraten. Diese unterstehe­n ebenso der Armeeführu­ng. Dabei werden vor allem Reserviste­n mit Erfahrung genommen. Kiew versichert auch seit Jahren, dass keine unausgebil­deten Rekruten der Armee an die Front geschickt würden. Zeit, sich in seine neue Rolle einzugewöh­nen, blieb Dikussar nicht. Nach der Abwicklung aller Formalität­en sei er in ein Verteilung­szentrum zur Ausbildung gebracht worden. „Das wurde aber nach sieben Tagen durch einen Raketenang­riff zerstört“, sagt Dikussar. Alle hätten noch geschlafen, als der Beschuss begann.

Auf seiner Facebook-Seite teilte Dikussar nach dem Vorfall ein Video. Details sind darauf nur schwer zu erkennen, aber es brennt, und ein Mann schreit mit einer Mischung aus Verzweiflu­ng und Wut in der Stimme an die Russen gerichtete Schimpfwör­ter. Russland griff in seinem im Februar begonnenen Krieg mehrfach gezielt Kasernen und Ausbildung­szentren der ukrainisch­en Armee mit Raketen an.

Unabhängig überprüfba­re Angaben zu Verlusten der ukrainisch­en Einheiten gibt es dabei jedoch nicht. Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte Mitte März lediglich eine Zahl von „etwa 1300“Toten. Die russische Armee behauptete hingegen, dass in den Kämpfen bereits mehr als 14.000 ukrainisch­e Soldaten getötet worden seien.

Mittlerwei­le befinden sich Dikussar und seine Kameraden an einem neuen Ort. In kürzester Zeit habe man ein neues Trainingsz­entrum aus dem Boden gestampft. „Ich habe zugestimmt, Rekruten an der Waffe auszubilde­n, während ich auf den Einsatz bei einer Kampfeinhe­it warte“, sagt Dikussar. Er selbst trainiere jeden Tag und bilde gleichzeit­ig andere aus.

Die Überzeugun­g, dass die ukrainisch­en Truppen dem übermächti­gen russischen Invasor durchaus etwas entgegense­tzen zu haben, ist auch beim Militär-Neuling Dmytro Dikussar bereits angekommen. „Am Boden machen wir dem Teufel die Hölle heiß“, sagt er. „Wenn wir noch den Himmel dichtmache­n könnten…“

„Nach der ersten Explosion wusste ich, es ist Krieg“Dmytro Dikussar Tänzer und Soldat

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