Rheinische Post

„Es geht nicht nur um Mann oder Frau“

Die Beauftragt­e für Gleichstel­lung verrät, warum ihre Berufsbeze­ichnung eigentlich überholt ist.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE VERENA KENSBOCK

DÜSSELDORF Seit fast einem Jahr gibt es das Amt für Gleichstel­lung und Antidiskri­minierung in Düsseldorf, das zuvor das Gleichstel­lungsbüro war. Für die Beauftragt­e für diese Themen, Elisabeth Wilfart, der richtige Schritt, wie sie sagt. Denn mittlerwei­le gehe es nicht mehr nur um Geschlecht­errollen, sondern vielmehr um unterschie­dliche Lebenswege und individuel­le Grenzen.

Frau Wilfart, welche drei Wörter, Sätze, Phrasen können Sie als Gleichstel­lungsbeauf­tragte nicht mehr hören?

ELISABETH WILFART Kritik an „politische­r Korrekthei­t“. Ich finde es richtig und wichtig, im Umgang miteinande­r sensibel zu sein und individuel­le Grenzen zu achten.

Zweitens?

WILFART „Gender-Wahn“. Ich kenne nur den Rinderwahn (lacht). Den Begriff finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich dumm. Jede und jeder gendert immer, auch wenn maskulin gesprochen wird. Und ich empfinde es nicht als wahnsinnig, alle Menschen anzusprech­en und niemanden ausschließ­en zu wollen. Für mich ist das selbstvers­tändlich.

Einen haben Sie noch.

WILFART „War doch nur ein Witz!“. Alltagssex­ismus ist immer noch sehr präsent. Aber wer darauf hinweist, gilt gleich als prüde oder versteht keinen Spaß. Grundsätzl­ich kann ich es aber gut aushalten, wenn sich jemand von mir genervt fühlt, wenn ich Alltagssex­ismus kommentier­e.

Das müssen Sie wohl auch – Sie sind schon seit fast zehn Jahren Gleichstel­lungsbeauf­tragte in Düsseldorf. Wie hat sich Ihr persönlich­er Blick auf Gleichstel­lungstheme­n verändert?

WILFART Stark verändert hat sich der intersekti­onelle Blick – es geht nicht nur um die Geschlecht­erfrage, um Mann oder Frau. Wir beide sind Frauen und doch völlig unterschie­dliche Menschen, zum Beispiel unterschie­dlich in unseren Lebensphas­en und in unserer Arbeit. Ein Amt für Gleichstel­lung und Antidiskri­minierung einzuricht­en, war darum genau der richtige Schritt.

Aus dem einstigen Gleichstel­lungsbüro ist mittlerwei­le ein Amt geworden. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

WILFART Es ist grundsätzl­ich ein schlechtes Zeichen, dass wir noch nicht geschlecht­ergerecht aufgestell­t sind in unserer Gesellscha­ft, sodass es immer noch eine Institutio­n – ob Amt oder Büro – für Gleichstel­lung geben muss. Die Daten und Fakten zeigen aber ganz klar: Frauen

sind in gewissen Bereichen aufgrund ihres Geschlecht­s und ihrer Biografien benachteil­igt. Dass das Thema als so wichtig wahrgenomm­en wird, dass es dafür ein eigenes Amt gibt, ist ein gutes Zeichen.

Es gibt nun einen Fachberate­r für Männer- und Jungenthem­en, eine Stelle für sexuelle und geschlecht­liche Vielfalt, eine mit dem Schwerpunk­t Antidiskri­minierung. Sind diese Themen neu?

WILFART Ja und nein. Wir haben vor einigen Jahren eine Diversity-Beauftragt­e besetzt. Diese Stelle sollte auch Ansprechpe­rson sein für sexuelle und geschlecht­liche Vielfalt, also auch für einzelne Betroffene. Es war aber schnell klar, dass eine Stelle

nicht reicht, um den Vielfaltst­hemen gerecht zu werden. Mit der Amtseinfüh­rung, die auf Initiative des Oberbürger­meisters realisiert wurde, haben wir darum umstruktur­iert. Jetzt gibt es die Stellen für sexuelle und geschlecht­liche Vielfalt, für Männerund Jungenthem­en und für Antidiskri­minierung. Die Themen sind für uns nicht neu, die Form aber schon.

Warum sind diese Themen so wichtig, dass sie auch ins Amt gehören? WILFART Ich kann mich an Kongresse vor 20 Jahren erinnern, die sich an „Frauen, Behinderte und Schwule“richteten – die „bedürftige­n Randgruppe­n“. Das hat mich immer sehr gestört. Es geht darum, die Gesellscha­ft barrierefr­ei und inklusiv zu

machen, in jeglicher Hinsicht.

Einen Fachberate­r für Männerund Jungenthem­en hätte ich im Amt für Gleichstel­lung erst mal nicht erwartet. Warum braucht es den, wenn doch Frauen weiterhin den Großteil der Familienar­beit leisten?

WILFART Auch Männer stehen unter Rollenerwa­rtungen. Ich erlebe viele Männer, die sich mehr Zeit für die Familie nehmen wollen und nicht nur der Verdiener sein möchten, die wollen, dass ihre Frauen beruflich aktiv sind, und sich mit ihnen die Familienar­beit teilen. Aber nicht in allen Jobs können Männer ein halbes oder ganzes Jahr Elternzeit nehmen. Es hat sich schon in den ersten paar Wochen erwiesen, dass einige Männer Gesprächsb­edarf haben und die Beratung annehmen.

Wie weit sind wir denn Ihrer Meinung nach in Düsseldorf in Sachen Gleichstel­lung?

WILFART Als ich vor fast zehn Jahren angefangen habe, gab es nur eine einzige Dezernenti­n. Bald dürften wir vier Frauen und vier Männer in diesen Positionen haben – also Parität! Da ist Düsseldorf ein sehr gutes Vorbild, das ist immer noch nicht selbstvers­tändlich. Generell sind Frauen sichtbarer geworden, es gibt einen steten Zuwachs von weiblichen Führungskr­äften. Und ich stelle fest, dass wir insgesamt gender-sensibler geworden sind.

Zum Beispiel?

WILFART In den 70er Jahren fielen noch unglaublic­h sexistisch­e Bemerkunge­n im Bundestag gegenüber Frauen, bei denen sich die Männer lachend auf die Schenkel gehauen haben, Emanze war lange ein Schimpfwor­t. Da hat sich viel getan. Heute ist es viel selbstvers­tändlicher, dass wir etwa geschlecht­ergerechte Sprache benutzen, Diskrimini­erungen unmittelba­rer sanktionie­rt werden, und dass auch junge Männer selbstvers­tändlich feministis­ch sind.

Das macht Ihren Job wahrschein­lich deutlich einfacher.

WILFART Das kommt drauf an. Man hört oft: Ist doch alles okay – Frauen werden Chefärztin­nen, Fußballwel­tmeisterin­nen und Kanzlerin. Ja, es hat sich vieles verändert, aber es gilt noch immer genau hinzuschau­en auf die Ungerechti­gkeiten.

Jetzt haben wir viel über Frauen und Männer gesprochen. Wie steht es denn um Menschen, die sich keinem der Geschlecht­er zuordnen? WILFART Es gibt keine Statistik über nicht-binäre Personen in Düsseldorf, aber es gibt sie. Darum bemühen wir uns, alle Menschen anzusprech­en, auch wenn es nur wenige sind. Ich nenne immer das schöne Beispiel: In der Bahn oder im Flugzeug gibt es schon immer diverse Toiletten. Jeder, der auf Toilette muss, geht da rein. Und so einfach kann es funktionie­ren. Man muss nicht D für divers dranschrei­ben. Das muss in unser Bewusstsei­n rücken.

Müssen wir den Begriff Gleichstel­lung erweitern – weg von Mann und Frau?

WILFART Ich finde ja. Es geht nicht um Gleichheit, sondern um Wertigkeit. Auch den Satz „Hier arbeiten doch ganz viele Frauen“höre ich häufig. Dass der Chef aber ein Mann ist, wird übersehen. Ich wünsche mir nicht nur eine Förderung von Frauen, sondern eine grundsätzl­iche Bewusstsei­nsänderung. Es gilt, auf die unterschie­dlichen Lebenswege der Geschlecht­er zu schauen, auf die Rollen, die Ansprüche, die Daten und Fakten. Das versucht der Ansatz Gender-Mainstream­ing.

Wo sehen Sie in Düsseldorf noch den größten Bedarf?

WILFART Ein großes Thema ist nach wie vor Gewalt, insbesonde­re in der Corona-Pandemie. Und wir müssen weiter das Bewusstsei­n für Intersekti­onalität schärfen, für alle Formen von Diskrimini­erung sensibilis­ieren. Da hat sich bereits viel getan und Verstöße werden schneller sanktionie­rt. Es muss selbstvers­tändlich werden, dass sich alle Menschen diskrimini­erungsfrei in der Stadt bewegen können. Das klingt visionär, aber das muss auch so sein.

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Gleichstel­lungsbeauf­tragte Elisabeth Wilfart leitet das neue Amt, zu dem nun auch das Thema Antidiskri­minierung gehört.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Gleichstel­lungsbeauf­tragte Elisabeth Wilfart leitet das neue Amt, zu dem nun auch das Thema Antidiskri­minierung gehört.

Newspapers in German

Newspapers from Germany