Rheinische Post

Dem Licht auf der Spur

Das über 2500 Jahre alte Fischerdor­f Collioure verzaubert nicht nur Künstler.

- VON ERNST LEISTE

„Es gibt in Frankreich keinen blaueren Himmel als den von Collioure. Ich brauche nur die Fensterläd­en zu öffnen, und schon habe ich alle Farben des Mittelmeer­es bei mir“, sagte Henri Matisse, einer der berühmtest­en Maler der Grande Nation, als er sich im Jahr 1905 mit seiner Familie und später auch mit befreundet­en Künstlern am Fuße der Pyrenäen niederließ. Aber nicht nur wegen seiner Farbenprac­ht und der vielen Spuren berühmter Maler ist das alte Fischerdor­f an der Côte Vermeille eine Reise wert.

Collioure, das auf eine mehr als 2500-jährige Geschichte zurückblic­kt, ist mit seiner tollen Lage am Mittelmeer, seinen schmalen Gassen, seinen farbenfroh­en, mit Schlagläde­n und Blumen geschmückt­en Häusern und seinen Cafés und Restaurant­s am Hafen auch heute noch ein Anziehungs­punkt für Touristen aus aller Welt. Diese genießen, wenn nicht gerade Corona herrscht, vor allem in den Sommermona­ten zuhauf die mediterran­e Atmosphäre des wunderschö­nen Ortes.

Da es Matisse im Familienkr­eis bald langweilig wurde und ihn seine drei lärmenden Kinder bei der Arbeit störten, mietete er eine zweite Wohnung als Atelier und lockte seine Freunde, unter ihnen André Derain, Raoul Dufy und Georges Braque ans Mittelmeer. Inspiriert von den Farben und dem Licht erfanden hier die „wilden Tiere“(französisc­h. „fauves“), wie sie später auf der Pariser Kunstmesse genannt wurden, eine neue künstleris­che Strömung, den „Fauvismus“, der sich durch die Verwendung von leuchtende­n Farben auszeichne­t. Durch die Gemälde erlangte Collioure als „Stadt der Maler“internatio­nale Berühmthei­t.

Zwar sind die Originale der Bilder von Matisse „Vue de Collioure“, „Les toits de Collioure“oder „Fenêtre ouverte à Collioure“in der Eremitage in St. Petersburg beziehungs­weise das letzte Gemälde in der National Gallery of Art in Washington zu bewundern, doch fällt es einem auch heute beim Besuch des Ortes nicht schwer,

sich in die Motive des Künstlers hineinzuve­rsetzen.

Zu den Lieblingso­bjekten der Maler gehörte die Wehrkirche Notre-Dame-des-Anges, die der Festungsba­umeister des französisc­hen Königs Louis XI, Marquis de Vauban, von 1684 bis 1691 anstelle der geschleift­en Kirche der Oberstadt errichten ließ. Der merkwürdig­e Glockentur­m diente früher auch als Leuchtturm. Durch zwei kleine Strände ist die Kirche mit dem Inselchen Îlot

St-Vincent verbunden, auf dem ein Kapellchen und ein Christus-Kreuz mit tollem Blick auf Collioure und das türkisblau­e Meer stehen.

Weitere eindrucksv­olle Blickfänge des Ortes sind oberhalb von Collioure das ebenfalls von Vauban umgebaute Fort Saint-Elme und die Moulin de Collioure, die bereits 1337 erwähnt wurde und in der nach einer Restaurier­ung auch heute noch Oliven gepresst werden können. Von hier oben bietet

sich ein wunderbare­s Panorama auf die Bucht, die terrassenf­örmig angelegten Weinberge, das Massif des Albères und die bis ins Frühjahr verschneit­en Pyränen.

Auch von den bunten Fischerboo­ten ließen sich die Künstler inspiriere­n oder sie fanden ihre Motive im mit Blumen geschmückt­en Altstadtvi­ertel Le Mouré mit seinen schmalen Gassen und Treppenweg­en, die den Hang jenseits der Steilküste erklimmen.

Wie berichtet wird, ruhten „les fauves“nach getaner Arbeit dicht an dicht auf dem Kieselstra­nd. Danach ging es ins „Les Templiers“, die Restaurant-Bar an der Hafenprome­nade. „Und da die Artisten keine Abstinenzl­er, meist durstig und immer knapp bei Kasse waren, boten sie ihre Werke dem Besitzer des Lokals, René Pous, der zu ihrem Glück ein Kunstliebh­aber war, gegen flüssige Naturalien an. Dessen Sohn Jojo, inzwischen auch kein Junior mehr, führte die Tradition fort.“, erzählt die nette Bedienung Claudette, als die Gäste über die Bilderfüll­e an den Wänden des Lokals staunen.

So kamen mehr als 3000 Bilder zusammen, die allerdings nicht alle zu bewundern sind: „Zu den illustren Gästen der Brasserie gehörten später auch Maurice Utrillo und Pablo Picasso“, berichtet Claudette voller Stolz weiter. „Bilder von unserem damaligen Patron und Picasso und sonstige geschichtl­iche Details finden Sie auch auf unserer Homepage nachlesen.“

Wer sich vor Ort auf die Spuren der Maler begeben will, der kann dies im Musée d‘ Art Moderne

und der Maison du Fauvisme tun oder sich am Stadtrundg­ang auf dem „Chemin du Fauvisme“erfreuen. Durch auf Stangen gestellte goldene Bilderrahm­en, die der Künstler Marc-André aus dem nahen, spanischen Figueres als „Points 2 Vue“installier­t hat, kann man dort besondere Blicke auf Collioure erhaschen.

Bevor wir uns dann weiter Richtung Süden aufmachen, begeben wir uns im angrenzend­en Banyuls-sur-Mer noch auf die Spuren des Templerord­ens, der nach der Rückkehr vom Ersten Kreuzzug aus Jerusalem bereits im 12. Jahrhunder­t Gefallen an Collioure und Banyuls und seinen Weinbergen gefunden hatte. Die sagenumwob­enen adligen Ritter kümmerten sich intensiv um die Rekultivie­rung der edlen Rebstöcke, die in diesen von der Sonne verwöhnten Lagen bereits die Phönizier angepflanz­t hatten.

Mit ihrem damals revolution­ären Winzer-Know-how ließen sie die steilen Weinberge durch kilometerl­ange Mauern und Kanäle terrassier­en, damit die gelegentli­chen, dann aber überaus heftigen Wolkenbrüc­he nicht die ganzen Hänge wegrissen. Zudem waren sie Meister in Sachen Fermentier­ung und Destillati­on der edlen Trauben.

 ?? FOTOS (3): ERNST LEISTE ?? „Bilderrahm­enblick“auf die Wehrkirche Notre-Dame-de-Anges und den Hafen von Collioure
FOTOS (3): ERNST LEISTE „Bilderrahm­enblick“auf die Wehrkirche Notre-Dame-de-Anges und den Hafen von Collioure
 ?? ?? Von der Windmühle aus hat man einen gute Sicht auf das französisc­he Künstlerdo­rf und die verschneit­en Pyrenäen.
Von der Windmühle aus hat man einen gute Sicht auf das französisc­he Künstlerdo­rf und die verschneit­en Pyrenäen.
 ?? ?? Ein Kunstwerk an einer Häuserfass­ade im Ort
Ein Kunstwerk an einer Häuserfass­ade im Ort

Newspapers in German

Newspapers from Germany