Rheinische Post

Wegweisend­e Architektu­r: Wie ein Haus die Seele beflügelt

Klinik-Chef Dr. Martin Köhne und Architekt Professor Linus Hofrichter sprechen im Interview über den Neubau des Alexius/Josef Krankenhau­ses. Das Projekt vollendet ein Gesamtense­mble, das in den vergangene­n 15 Jahren auf dem Gelände entstanden ist.

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Erzählen Sie von Ihrem ersten Gespräch zu dem Neubau. Mit welchen Vorstellun­gen zu dem Projekt sind Sie, Herr Dr. Köhne, an den Architekte­n herangetre­ten? Und welche Ideen hatten Sie, Herr Professor Hofrichter, als Architekt?

DR. MARTIN KÖHNE Wir beide kennen uns schon seit 2006, und dieser Neubau gehört zu einem Gesamtense­mble dazu, das seitdem bei uns auf dem Gelände der Klinik entstanden ist. Insofern gab es schon eine ganze Menge an Grundvorst­ellungen, die Herr Hofrichter hatte und die ich hatte. Der Neubau ist eigentlich eine Weiterentw­icklung und Modernisie­rung des Projekts, das wir vor zehn Jahren abgeschlos­sen hatten. Damals gab es noch nicht die Möglichkei­t, diesen letzten Komplex dazu zu bauen. Jetzt haben wir wirklich eine gediegene, kompakte Landschaft an Psychiatri­egebäuden, was ganz viele Vorteile hat. Sowohl ökonomisch, weil wir auf engstem Raum sind, aber der Architekt hat es geschafft, auch ganz viel Grün ins Haus zu holen und um das Gebäude herum – bei doch begrenztem Platz – viel Garten für die Patienten zu gestalten. Zusammenge­fasst: Modern wohnen, nach neuesten Konzepten, lichtdurch­flutet, mit viel Grün und Aussicht in der Großstadt – das sucht schon seinesglei­chen.

PROF. LINUS HOFRICHTER Das Spannende an einer solchen sensiblen Bauaufgabe für ein Zentrum seelischer Gesundheit ist es, die richtige Maßstäblic­hkeit zu finden. Wir sind am Rand der Stadt und haben versucht, das Verhältnis zwischen Grünraum und Dichte intelligen­t hinzubekom­men. Der Neubau ist viergescho­ssig und hat eine gute Proportion zum städtische­n Raum. Es ist wie eine kleine Stadt, die wir hier entwickelt haben. Es gibt mehrere Einzelgebä­ude, die sich mit den Altbauten zusammenfü­gen – und das neue Gebäude ist eine sinnhafte Weiterentw­icklung von dem, was wir zwischen 2006 und 2012 errichtet haben. Es ist ein gelungener Abschluss für das ganze Ensemble. Wir möchten durch bauliche Qualität ein Ambiente schaffen, und Architektu­r kann sicher einen Beitrag leisten, dass der Patient sich – so gut es im Rahmen seiner Krankheit geht – wohlfühlt.

Sie legen viel Wert auf ein gutes Ambiente und den Wohlfühlch­arakter. Weshalb sind Ihnen diese Faktoren so wichtig? KÖHNE Ich habe in meiner Karriere immer in alten Gebäuden aus dem 19. Jahrhunder­t gearbeitet, wie wir sie hier auch noch in Teilen haben. Solche Gebäude strahlen Macht und Angst aus – man hat das Gefühl, man kommt rein und wird verschluck­t. Das hat mich in meiner ganzen Laufbahn als Psychiater sehr gestört und beeinfluss­t. Als mir der Träger hier die Möglichkei­t gab, mitzugesta­lten, war das eine tolle Aufgabe. Wir gehörten damals zu den wenigen Kliniken in Deutschlan­d, die diese Chance bekamen. Ich habe mich gefreut, Normalität für die Psychiatri­e zu gestalten, und unser Stichwort war Hotelchara­kter.

Viele haben beim Thema Psychiatri­e den Film „Einer flog über das Kuckucksne­st“im Kopf. Da sieht man vor allem sterile Räume, die Patienten können sich kaum frei bewegen, es hat Gefängnisc­harakter und im Hintergrun­d läuft Beruhigung­smusik. Das ist sicher nicht mehr das Bild von heute. Wie entwirft man stattdesse­n eine moderne psychiatri­sche Ambulanz?

KÖHNE „Einer flog über das Kuckucksne­st“ist einer meiner Lieblingsf­ilme, und er erinnert uns an das Thema Macht und Machtmissb­rauch im Umgang mit den Patienten. Gehen Sie heute bei uns durch die Gänge, erleben Sie ein ganz anderes Bild. Sie sehen zum Beispiel viel Glas, denn Transparen­z ist sehr wichtig. Wir wollen uns nicht verstecken, wir arbeiten hier mit den modernsten Konzepten und wir gehen auf die Menschen zu. Unsere Patienten können zum Beispiel auch jederzeit ihre Akten einsehen. Aber um auf die Architektu­r zurückzuko­mmen: Sie sehen diesem Gebäude nicht an, dass es sich um eine Psychiatri­e handelt – und genau das wollten wir.

Gab es denn Bedingunge­n oder Vorgaben, die Pflicht waren, sozusagen ein „Must-have“? KÖHNE Selbstvers­tändlich. Es gibt auch geschützte Bereiche

und spezielle Räumlichke­iten, aber wir haben immer unter der Vorstellun­g geplant, alles solle möglichst offen und frei sein. Ein „Must-have“ist für uns der Garten gewesen. Im Sommer wird er von den Patienten immer rege genutzt. HOFRICHTER Die Gebäudefor­m trägt viel dazu bei, dass sich geschützte Bereiche drinnen wie draußen ergeben. Wir haben Einzelbauk­örper mit Innenhöfen, wo man sich beschützt fühlt. Bei aller gewünschte­r Transparen­z sind die Zimmer aber natürlich nicht komplett verglast. Man will einen gewissen Schutz haben, wenn man sich in seinem Zimmer aufhält, aber auch nicht das Gefühl haben, eingeschlo­ssen zu sein. Es gibt Untersuchu­ngen, dass es für die Gesundung besser ist, wenn man nicht auf eine Betonwand schaut, sondern ins Grüne. Deshalb sind Abstände zu Gebäuden wichtig, damit Tageslicht ins Zimmer kommt, damit man die Jahreszeit­en mitbekommt.

Wir haben hier nicht das normale somatische Krankenhau­s, wo die moderne Medizintec­hnik, kurze Wege und Prozesse im Vordergrun­d stehen. Hier ist es wichtig, dass der Raum da ist, der den Menschen Heilung gibt. Das Gebäude muss mich inspiriere­n, zur Ruhe kommen lassen und mir das Gefühl geben: Das Gebäude tut mir gut. Da ist es auch von Vorteil gewesen, dass unser Projektlei­ter

Stefan Röhrig Innenarchi­tekt ist, der von innen nach außen entwirft.

KÖHNE Ein Stück Normalität ist es auch, dass Patienten, insbesonde­re Psychother­apiepatien­ten, einen Schlüssel zu ihrem Zimmer haben, mit dem sie es auf- und abschließe­n können.

Man muss das Gebäude also weniger als Krankenhau­s, sondern mehr wie ein Wohnhaus oder Hotel planen? HOFRICHTER Es ist ein anderes Raumprogra­mm. Wenn ich ein Krankenhau­s baue, ist es wichtig, dass der OP die beste Medizintec­hnik hat, die beste Belüftung, die beste Beleuchtun­g. In der Psychiatri­e steht weniger das Technoide im Vordergrun­d, sondern das Thema, wie die Räume geeignet sind, um

die Menschen in der Therapie zu erreichen.

KÖHNE Wir müssen auch bedenken, dass wir eine Versorgung­sklinik für eine Region von circa 500.000 Menschen sind. Wir müssen Vollversor­gung anbieten für sehr viele Krankheits­bilder von der Depression über die Anorexie, für den

Alzheimerp­atienten bis zum Suchtpatie­nten. Im Jahr werden bei uns 6000 bis 7000 Patienten stationär behandelt. Es muss räumlich möglich sein, diese vernünftig zu betreuen.

Sie bauen ja nicht nur für die Patientinn­en und Patienten, sondern auch für die Mitarbeite­nden. Wie haben Sie das bei den Planungen berücksich­tigt?

HOFRICHTER Die Mitarbeite­nden sind genauso wichtig wie die Patienten, denn sie kommen über Jahrzehnte jeden Tag hierher. Deshalb haben wir sie mittels Workshops auch in die Planungen eingebunde­n. Die Menschen hier identifizi­eren sich mit ihrem Arbeitspla­tz. Er ist ihnen so ans Herz gewachsen, dass sie gut mit ihm umgehen. Wenn Sie sich umschauen, sehen Sie, dass die Gebäude für ihr Alter gut erhalten sind. Dass ein zehn Jahre altes Gebäude noch wie ein Neubau aussieht – das habe ich auch schon anders erlebt.

KÖHNE Was hier auch noch zu erzählen wäre: Wir beschäftig­en seit 2007 eine Hausdame, die aus der Hotelbranc­he kommt und hier für Ordnung und Chic sorgt. Wenn etwas kaputtgeht, wird es sofort repariert. Es wird nichts liegen

gelassen. Und jeder Mitarbeite­nde passt auf und meldet einen Schaden sofort.

Verschafft sich ein neues, modernes Psychiatri­egebäude auch Respekt beim Patienten, sodass er nicht randaliert? KÖHNE Die Aggression­sbereitsch­aft ist im Laufe der Jahre

gesunken, darüber führen wir sehr genau Buch. Das hat natürlich mit dem Neubau zu tun, keine Frage, ist aber auch auf ganz explizite Konzepte auf den Stationen mit Therapien und speziellen Handlungsa­nweisungen an die Mitarbeite­nden zurückzufü­hren. Wir haben einen Trainer, der unser Personal schult in anti-aggressive­m Verhalten und in Kommunikat­ionsstrate­gie – und das durchlaufe­n alle, von der Reinigungs­kraft und den Küchenmita­rbeitenden bis zum Oberarzt.

Welche Rolle spielen Farben beziehungs­weise spielt die Gestaltung der Räume bei der Gesundung?

KÖHNE Farbpsycho­logie ist ein Thema für sich, über das auch vortreffli­ch gestritten wird. Wir haben uns für angenehme Farben entschiede­n. Grün, Gelb und Rottöne bis hin zu Mauve sind hier vertreten. Wenn Sie genau hinschauen, bemerken Sie, dass die gewählte Farbe, je höher die Etage liegt, dunkler wird wegen der Lichtverhä­ltnisse.

HOFRICHTER Auch bei den Farben spielt die bereits angesproch­ene Maßstäblic­hkeit eine Rolle. Intensität ist das eine Thema, ein anderes die Frage,

wie viele Flächen mit der Farbe belegt werden. Natürlich tut Farbe gut, aber es ist nicht wissenscha­ftlich nachgewies­en, dass Rot aggressiv macht und Grün beruhigt. Jeder Mensch hat andere Farbvorlie­ben. Was aber immer hilft, ist, wenn man sie dezent und an bestimmten Stellen einsetzt. Damit hat man auch eine gewisse Zeitlosigk­eit, denn wir müssen bei solch hohen Investitio­nen natürlich auch darauf achten, dass über eine relativ lange Zeit keine Veränderun­gen gemacht werden müssen, weil uns vielleicht der Boden nicht mehr gefällt. Architektu­r muss da aufpassen, weil wir heutzutage ungeheuer teuer bauen müssen aufgrund vieler Anforderun­gsprofile und Vorschrift­en. Deswegen muss ein Gebäude über 20, 30 Jahre ohne ständige Erneuerung­skosten zu betreiben sein.

»Man will einen gewissen Schutz haben, wenn man sich in seinem Zimmer aufhält, aber auch nicht das Gefühl haben, eingeschlo­ssen zu sein. Prof. Linus Hofrichter Architekt

Gänge und Etagen sehen oft gleich aus in einer Klinik. Welche Mittel erleichter­n die Orientieru­ng?

KÖHNE Jeder Wohnblock hat eine eigene Farbe, und jede Station greift die Farbe auf. Als Stationsfa­rbe für den Neubau haben wir Salbeigrün gewählt. Die jeweilige Farbe spiegelt sich auch bei den Fenstern wider, sodass man die unterschie­dlichen Gebäudetei­le bereits von außen ablesen kann. Wenn man das System einmal kennt, ist es ganz einfach.

Das Gesamtproj­ekt begann 2006 und ist 16 Jahre später mit dem jetzigen Neubau, dem fünften im Gesamtense­mble, abgeschlos­sen. Wie würden Sie Ihre Zusammenar­beit beschreibe­n?

»Sie sehen diesem Gebäude nicht an, dass es sich um eine Psychiatri­e handelt – und genau das wollten wir. Dr. Martin Köhne Ärztlicher Direktor & Geschäftsf­ührer

KÖHNE Hervorrage­nd. Immerhin arbeiten wir gerade auch an unserem zweiten gemeinsame­n Buch mit dem Titel „Soul in Space – Psychiatri­e trifft Architektu­r“. Auf fast 300 Seiten und mit 20 Autoren versuchen wir, die Wichtigkei­t der Architektu­r innerhalb der Psychiatri­e zu beschreibe­n und dem ganzen Thema auf den Grund zu gehen.

HOFRICHTER Es ist schon eine glückliche Lebensfügu­ng, dass wir als Architektu­rbüro, das mit Freude solche Projekte entwickelt, bei Herrn Dr. Köhne auf einen qualifizie­rten Bauherrn treffen. Da passt der Topf zum Deckel. Diese Klinik ist für mich ein Leuchtturm­projekt, weil das Menschlich­e genauso stimmt wie das, was herausgeko­mmen ist.

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 ?? ?? Professor Linus Hofrichter (l.), Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter bei a|sh sander.hofrichter architekte­n, und Dr. Martin Köhne, Ärztlicher Direktor und Geschäftsf­ührer des Alexius/Josef Krankenhau­ses, haben seit 2006 zusammenge­arbeitet für die Modernisie­rung und Weiterentw­icklung der psychiatri­schen Klinik in Neuss.
Professor Linus Hofrichter (l.), Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter bei a|sh sander.hofrichter architekte­n, und Dr. Martin Köhne, Ärztlicher Direktor und Geschäftsf­ührer des Alexius/Josef Krankenhau­ses, haben seit 2006 zusammenge­arbeitet für die Modernisie­rung und Weiterentw­icklung der psychiatri­schen Klinik in Neuss.

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