Rheinische Post

„Die Couch des Psychother­apeuten ist ein Klischee“

Das Alexius/Josef Krankenhau­s wird auch von Patienten aufgesucht, die nach jeder Behandlung wieder nach Hause gehen. Man spricht hier von einer ambulanten Versorgung. Professor Dr. Dr. Ulrich Sprick, Chefarzt des Ambulanten Zentrums und der Tagesklini­ken,

-

Herr Professor Sprick, das Alexius/Josef Krankenhau­s hat auch ein Ambulantes Zentrum. Wer kommt hierher? PROF. ULRICH SPRICK Damit uns die Menschen aus dem gesamten Rhein-Kreis Neuss gut erreichen können, betreiben wir insgesamt sechs Tagesklini­ken und sieben Ambulanzen – in Dormagen, Grevenbroi­ch, Korschenbr­oich und vier in Neuss. In allen Ambulanzen können sämtliche Erkrankung­en aus dem Fachbereic­h Psychiatri­e und Psychother­apie behandelt werden. Jede einzelne hat sich auch auf ein Gebiet besonders spezialisi­ert, zum Beispiel auf Depression­en, Suchtkrank­heiten, auf ältere Patienten oder Kinder und Jugendlich­e. In den Neubau hier am Alexius/Josef Krankenhau­s zieht das sogenannte Ambulante Zentrum ein, eine große allgemeinp­sychiatris­che Ambulanz. Im Sommer wird hier außerdem eine psychosoma­tische Ambulanz eingericht­et, die bislang noch am Johanna Etienne Krankenhau­s angebunden ist. Somit richten wir uns an eine breite Zielgruppe: an Menschen, die an einer psychische­n Erkrankung leiden.

Und wer arbeitet hier?

SPRICK Als psychiatri­sche Institutsa­mbulanz integriere­n wir mehrere Berufsgrup­pen: Ärzte, Psychologe­n, ärztliche und psychologi­sche Psychother­apeuten, Sozialarbe­iter und Medizinisc­he Fachangest­ellte. Außerdem beschäftig­en wir Fachleute für Körper- und Bewegungst­herapien. Ein solches Angebot gibt es in dieser Breite selten. Worauf wir besonders stolz sind, ist unsere große fremdsprac­hige Ambulanz. Hier bieten Therapeuti­nnen und Therapeute­n in ihrer Mutterspra­che Therapien an, zurzeit in Türkisch, Serbokroat­isch, Russisch, Rumänisch, Italienisc­h, Persisch und Ukrainisch sowie auch in Englisch und Französisc­h. Das vereinfach­t nicht nur die Verständig­ung, sondern unterstrei­cht auch das kulturelle Verständni­s für die Patientinn­en und Patienten.

Wie sehen die Behandlung­en bei einer ambulanten Versorgung aus?

SPRICK Es ist vergleichb­ar mit einer niedergela­ssenen Praxis: Der Patient macht einen Termin aus, zu dem es dann ein Gespräch mit dem Psychiater oder Psychother­apeuten gibt. Manchmal wird auch ein Sozialarbe­iter hinzugezog­en, oder es können Hausbesuch­e vereinbart werden – zum Beispiel bei Patienten, die etwa in einer Einrichtun­g für psychisch Erkrankte oder für Senioren. Eine weitere Behandlung­sform ist die Pharmakoth­erapie mit Medikament­en. Ansonsten bieten wir viele der Behandlung­smethoden an, die es auch in der stationäre­n Versorgung gibt, zum Beispiel die Lichtthera­pie bei saisonalen Depression­en oder ganz neu auch die Hirnstimul­ation mit Transkrani­eller Pulsstimul­ation – kurz TPS – bei Demenz. Auch haben wir seit einiger Zeit die Therapie mit Virtual Reality einführt, beispielsw­eise zur Behandlung von Ängsten. Dafür haben wir ein ganz besonderes Computereq­uipment mit einer speziellen 3D-Brille angeschaff­t.

Relativ neu ist auch die internetge­stützte Psychother­apie, bei der die ambulante Versorgung von zu Hause aus stattfinde­t. Therapeut und Patient sprechen dann per Videosprec­hstunde miteinande­r, etwa, wenn der Patient beruflich unterwegs ist, oder die Kommunikat­ion erfolgt in schriftlic­her Form. Online-gestützte Therapieve­rfahren können wir aber nicht mit jeder beliebigen Software durchführe­n. Dafür gibt es besonders sichere und von der Ärztekamme­r und Kassenärzt­lichen Vereinigun­g zugelassen­e Verfahren.

Ist die ambulante Versorgung immer eine Weiterbeha­ndlung nach einer stationäre­n Behandlung?

SPRICK In der Regel folgt auf die stationäre Behandlung noch eine ambulante Versorgung, aber bei der großen Mehrheit der Patientinn­en und Patienten reicht eine ambulante Behandlung auch ohne eine vorherige stationäre Therapie aus. Generell unterschei­den wir zwischen stationäre­r, teilstatio­närer und ambulanter Versorgung. Stationär in der Klinik werden besonders schwere Erkrankung­en behandelt, die eine intensive Therapie erfordern. Bei der teilstatio­nären Versorgung muss gewährleis­tet sein, dass der Patient abends und am Wochenende zu Hause selbst gut zurechtkom­mt. Und bei einer ambulanten Therapie muss die Stabilität schon so weit vorhanden sein, dass Patienten ihren Alltag alleine bewältigen können.

Was sind die häufigsten Erkrankung­en in der psychiatri­schen Ambulanz?

SPRICK Die häufigsten Störungsbi­lder sind Depression­en,

Angststöru­ngen, Traumata, Belastungs­und Anpassungs­störungen sowie Psychosen. Ein weiteres Behandlung­sfeld sind psychosoma­tische Erkrankung­en, wenn zum Beispiel bei Krebs, chronische­m Schmerz, Darm- oder Herzerkran­kungen auch die Psyche mit erkrankt. Dann wird neben einer pharmakolo­gischen Behandlung eine Psychother­apie verordnet und durchgefüh­rt. Das werden wir jetzt auch verstärkt beim Post-Covid-Syndrom erleben. Deshalb wollen wir bald eine Sprechstun­de einrichten mit einer Spezialist­in, die sich ganz besonders mit diesem Krankheits­bild auskennt.

Wie hilft die Psychother­apie letztlich den Patienten?

SPRICK Durch die Psychother­apie setzt eine Umstruktur­ierung von Denkprozes­sen ein, zum Beispiel wenn man kaum noch über ein positives Selbstwert­gefühl verfügt und dieses zurückgewi­nnen will.

Das Spannende ist: In der Forschung konnte gezeigt werden, dass man diese Effekte sogar messen kann, indem man beispielsw­eise mit einer funktionel­len Kernspinto­mografie ein Vorher-nachher-Bild macht. Hier kann man sehen, wie bestimmte Strukturen im Gehirn nach der Psychother­apie wieder besser funktionie­ren. Psychother­apie hilft, mit negativen Gedanken oder schwierige­n kritischen Lebenserei­gnissen besser umzugehen. Psychother­apie und Medikament­e unterstütz­en sich gegenseiti­g und sind die wichtigste­n Bestandtei­le von Interventi­onen bei psychische­n Erkrankung­en.

Als letzte Frage muss ein beliebtes Klischee angesproch­en werden: Beim Psychother­apeuten auf der Couch zu liegen, hat das tatsächlic­h einen Sinn und Zweck?

SPRICK Es ist heute vor allem ein Klischee und ein altes Bild der Psychother­apie. Der Gedanke dabei ist, dass der Patient in der Liegeposit­ion frei assoziiere­n kann, weil der Therapeut, der hinter ihm sitzt, nicht in seinem Blickfeld ist. Die Couch gibt es noch in der Psychoanal­yse, die allerdings gegenwärti­g einen Anteil von deutlich weniger als fünf Prozent der Behandlung­en ausmacht. Erfreulich­erweise ist unser Haus eine zertifizie­rte Ausbildung­sstätte für Psychoanal­yse. Als häufigstes Psychother­apieverfah­ren kommt heute neben der tiefenpsyc­hologisch fundierten Psychother­apie die Verhaltens­therapie zur Anwendung, und dabei sitzen sich Patient und Therapeut gegenüber.

 ?? ?? Prof. Ulrich Sprick ist Chefarzt des Ambulanten Zentrums und der Tagesklini­ken. Den Patienten kann er ein vielseitig­es Behandlung­sangebot machen. Die Therapie mit der VR-Brille hilft etwa bei Höhenangst.
Prof. Ulrich Sprick ist Chefarzt des Ambulanten Zentrums und der Tagesklini­ken. Den Patienten kann er ein vielseitig­es Behandlung­sangebot machen. Die Therapie mit der VR-Brille hilft etwa bei Höhenangst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany