ANALYSE Ein Stresstest für die Grünen
Mit keiner Technologie liegt die Partei so über Kreuz wie mit der Atomenergie. Deshalb tut sie sich so schwer mit einer rationalen Strategie in der jetzigen Energiekrise, wo jede Kilowattstunde zählt.
Der tragische Held Don Quijote steht sinnbildlich für die deutsche Energiepolitik. Denn diese mutet bisweilen an wie der bizarre Kampf des Ritters gegen Windmühlen. Das gilt besonders für die jahrzehntelange Auseinandersetzung um die Kernkraft, die für eine der führenden Wirtschaftsnationen geradezu grotesk wirkte. Das Bild trifft aber auch auf die Energiewende zu: Eine sichere, günstige und nachhaltige Versorgung des Landes mit diesem Treibstoff der Wirtschaft war das Ziel. Doch bislang wurde eher das Gegenteil erreicht: Die Energieversorgung ist unsicher, teurer denn je und klimaschädlich obendrein. Und als dickes Ende tritt mit dem UkraineKrieg die fatale Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von russischen Gaslieferungen ans Tageslicht.
Inmitten dieser Don-Quijoterie stehen die Grünen – teils aus eigener, teil aus fremder Schuld. Die Partei wurde auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Nutzung der Kernkraft gegründet. In den 70er-Jahren machten unzählige Bürgerinitiativen gegen die Folgen des Einsatzes dieser neuen Technologie mobil, die damals von Union, SPD und Liberalen als Lösung aller Energieprobleme angesehen wurde. Endlos Strom zum Nulltarif hieß damals die Devise. Sie war schon in den 70erJahren falsch. Mit dem Protest der Bürgerinitiativen und später der Grünen erst recht. Vor allem die politischen Kosten stiegen ins Unermessliche.
Dabei haben die Grünen den Kampf eigentlich gewonnen – zumindest in Deutschland. Erst verabschiedete die rot-grüne Bundesregierung 2001 im Einvernehmen mit der Energiewirtschaft einen Plan, in einem Zeitraum von 20 Jahren aus dieser Form der Stromgewinnung auszusteigen. Als
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Konsens 2005 kündigte, kam nach dem Unfall von Fukushima 2011 die zweite Wende. Ende dieses Jahres sollte mit allen Anlagen Schluss sein. Ausgerechnet die Atom-Enthusiastin Merkel setzte das Aus durch. Jetzt windet sich der Wirtschaftsminister und Grünen-Politiker Robert Habeck, den Betrieb der umstrittenen Meiler noch einmal zu verlängern.
Der oberste Energiepolitiker der AntiAtom-Partei weiß, dass kaum ein Thema die Grünen so umtreibt wie die Kernkraft. Vor allem die ältere Generation in der Öko-Bewegung, die noch selbst an den Demonstrationen gegen die Anlagen in Biblis, Brokdorf oder Gorleben teilgenommen hat, würde Habeck einen Wackelkurs in dieser Frage nie verzeihen. Und die stellt inzwischen einen nicht unerheblichen Teil der Stammwähler. Geschickt versuchte der Bundeswirtschaftsminister nun, sich mit seinem Notreserve-Plan aus der Affäre zu ziehen. Die Anlagen sollten Ende 2022 endgültig von Netz gehen und somit nicht im Widerspruch zu einem der zentralen Programmpunkte der Partei stehen. Weil aber niemand aus ideologischen Gründen frieren oder auf lebenswichtige Güter verzichten will, braucht er in der gefährlichsten Energiekrise der Nachkriegsgeschichte einen Plan B. Die verbleibenden Meiler Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern sollten bis April 2023 in der Notfallreserve bleiben. Dabei unterstellt Habeck – ohne ausreichende Rücksprache mit Experten – die beliebige Ein- und Ausschaltbarkeit von Grundlastkraftwerken, die in Wirklichkeit Wochen in Anspruch nimmt oder im Streckbetrieb höchst unsicher ist. Die Quittung erhielt er prompt vom Chef des Energieversorgers Preussenelektra: Eine solche Mogellösung ist technisch nicht machbar.
Die Grünen haben sich im Gehedder der irrationalen deutschen Energiepolitik verfangen. Habecks mutiger Kurs, die aus Klimagründen gleichfalls umstrittenen Kohlekraftwerke weiter zu betreiben, scheint nun völlig ausgebremst. Denn mit dem Nein zu einem auch nur wenige Monate längeren Betrieb der restlichen drei Atommeiler setzt sich Habeck der Gefahr aus, in der Wirtschaft wieder als Öko-Chefideologe zu gelten.
Es rührt freilich ans Selbstverständnis der Grünen, nun ausgerechnet die Partei zu sein, die das Atom-Aus der politischen Gegnerin Merkel korrigiert. Schließlich hat nichts so sehr die Parteifreunde mobilisiert wie der hartnäckige Kampf gegen die aus Sicht der Grünen toxische Kernkraft – die Friedensbewegung vielleicht ausgenommen.
In Sachen Kohle haben sich die Grünen bewegt. Aber ein verantwortungsvoller Einsatz der Kernkraft, um einige der Härten des von Russland verursachten Energiepreisschocks abzumildern, ist nun eine der Drehungen zu viel, auf die sich die Partei Habecks nicht einlassen will. Rationale Gründe für einen begrenzten Einsatz helfen hier kaum weiter. Dabei ändert die Verlängerung des Betriebs um einige Monate oder auch ein ganzes Jahr, wie sie der Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, vorschlägt, nichts am grundsätzlichen Ausstieg aus dieser umstrittenen Technologie. Und wenn die Grünen von einer unverantwortlichen Hochrisiko-Technologie sprechen, müssten sie sofort alle Meiler stilllegen. Der Ertrag aus einem längeren Betrieb, selbst wenn er nicht entscheidend für die Überwindung der Energiekrise sein sollte, wiegt die Kosten und Risiken auf.
Habecks Notreserveplan – gedacht als Rettung der grünen Seele – ist längst ein Rohrkrepierer. Er sollte ihn aufgeben und den Grünen auch jenen Frosch zumuten, der einer Situation geschuldet ist, die unvorhergesehen über die Ukraine und auch Deutschland hereingebrochen ist. Die Realität richtet sich eben nicht nach den Wünschen einer Partei.
Habecks Notreserve-Plan zur Rettung der grünen Seele ist längst ein Rohrkrepierer