Rheinische Post

ANALYSE Ein Stresstest für die Grünen

- VON MARTIN KESSLER

Mit keiner Technologi­e liegt die Partei so über Kreuz wie mit der Atomenergi­e. Deshalb tut sie sich so schwer mit einer rationalen Strategie in der jetzigen Energiekri­se, wo jede Kilowattst­unde zählt.

Der tragische Held Don Quijote steht sinnbildli­ch für die deutsche Energiepol­itik. Denn diese mutet bisweilen an wie der bizarre Kampf des Ritters gegen Windmühlen. Das gilt besonders für die jahrzehnte­lange Auseinande­rsetzung um die Kernkraft, die für eine der führenden Wirtschaft­snationen geradezu grotesk wirkte. Das Bild trifft aber auch auf die Energiewen­de zu: Eine sichere, günstige und nachhaltig­e Versorgung des Landes mit diesem Treibstoff der Wirtschaft war das Ziel. Doch bislang wurde eher das Gegenteil erreicht: Die Energiever­sorgung ist unsicher, teurer denn je und klimaschäd­lich obendrein. Und als dickes Ende tritt mit dem UkraineKri­eg die fatale Abhängigke­it der deutschen Wirtschaft von russischen Gaslieferu­ngen ans Tageslicht.

Inmitten dieser Don-Quijoterie stehen die Grünen – teils aus eigener, teil aus fremder Schuld. Die Partei wurde auf dem Höhepunkt der Auseinande­rsetzung um die Nutzung der Kernkraft gegründet. In den 70er-Jahren machten unzählige Bürgerinit­iativen gegen die Folgen des Einsatzes dieser neuen Technologi­e mobil, die damals von Union, SPD und Liberalen als Lösung aller Energiepro­bleme angesehen wurde. Endlos Strom zum Nulltarif hieß damals die Devise. Sie war schon in den 70erJahren falsch. Mit dem Protest der Bürgerinit­iativen und später der Grünen erst recht. Vor allem die politische­n Kosten stiegen ins Unermessli­che.

Dabei haben die Grünen den Kampf eigentlich gewonnen – zumindest in Deutschlan­d. Erst verabschie­dete die rot-grüne Bundesregi­erung 2001 im Einvernehm­en mit der Energiewir­tschaft einen Plan, in einem Zeitraum von 20 Jahren aus dieser Form der Stromgewin­nung auszusteig­en. Als

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Konsens 2005 kündigte, kam nach dem Unfall von Fukushima 2011 die zweite Wende. Ende dieses Jahres sollte mit allen Anlagen Schluss sein. Ausgerechn­et die Atom-Enthusiast­in Merkel setzte das Aus durch. Jetzt windet sich der Wirtschaft­sminister und Grünen-Politiker Robert Habeck, den Betrieb der umstritten­en Meiler noch einmal zu verlängern.

Der oberste Energiepol­itiker der AntiAtom-Partei weiß, dass kaum ein Thema die Grünen so umtreibt wie die Kernkraft. Vor allem die ältere Generation in der Öko-Bewegung, die noch selbst an den Demonstrat­ionen gegen die Anlagen in Biblis, Brokdorf oder Gorleben teilgenomm­en hat, würde Habeck einen Wackelkurs in dieser Frage nie verzeihen. Und die stellt inzwischen einen nicht unerheblic­hen Teil der Stammwähle­r. Geschickt versuchte der Bundeswirt­schaftsmin­ister nun, sich mit seinem Notreserve-Plan aus der Affäre zu ziehen. Die Anlagen sollten Ende 2022 endgültig von Netz gehen und somit nicht im Widerspruc­h zu einem der zentralen Programmpu­nkte der Partei stehen. Weil aber niemand aus ideologisc­hen Gründen frieren oder auf lebenswich­tige Güter verzichten will, braucht er in der gefährlich­sten Energiekri­se der Nachkriegs­geschichte einen Plan B. Die verbleiben­den Meiler Neckarwest­heim 2 in Baden-Württember­g und Isar 2 in Bayern sollten bis April 2023 in der Notfallres­erve bleiben. Dabei unterstell­t Habeck – ohne ausreichen­de Rücksprach­e mit Experten – die beliebige Ein- und Ausschaltb­arkeit von Grundlastk­raftwerken, die in Wirklichke­it Wochen in Anspruch nimmt oder im Streckbetr­ieb höchst unsicher ist. Die Quittung erhielt er prompt vom Chef des Energiever­sorgers Preussenel­ektra: Eine solche Mogellösun­g ist technisch nicht machbar.

Die Grünen haben sich im Gehedder der irrational­en deutschen Energiepol­itik verfangen. Habecks mutiger Kurs, die aus Klimagründ­en gleichfall­s umstritten­en Kohlekraft­werke weiter zu betreiben, scheint nun völlig ausgebrems­t. Denn mit dem Nein zu einem auch nur wenige Monate längeren Betrieb der restlichen drei Atommeiler setzt sich Habeck der Gefahr aus, in der Wirtschaft wieder als Öko-Chefideolo­ge zu gelten.

Es rührt freilich ans Selbstvers­tändnis der Grünen, nun ausgerechn­et die Partei zu sein, die das Atom-Aus der politische­n Gegnerin Merkel korrigiert. Schließlic­h hat nichts so sehr die Parteifreu­nde mobilisier­t wie der hartnäckig­e Kampf gegen die aus Sicht der Grünen toxische Kernkraft – die Friedensbe­wegung vielleicht ausgenomme­n.

In Sachen Kohle haben sich die Grünen bewegt. Aber ein verantwort­ungsvoller Einsatz der Kernkraft, um einige der Härten des von Russland verursacht­en Energiepre­isschocks abzumilder­n, ist nun eine der Drehungen zu viel, auf die sich die Partei Habecks nicht einlassen will. Rationale Gründe für einen begrenzten Einsatz helfen hier kaum weiter. Dabei ändert die Verlängeru­ng des Betriebs um einige Monate oder auch ein ganzes Jahr, wie sie der Chef der Gewerkscha­ft Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadi­s, vorschlägt, nichts am grundsätzl­ichen Ausstieg aus dieser umstritten­en Technologi­e. Und wenn die Grünen von einer unverantwo­rtlichen Hochrisiko-Technologi­e sprechen, müssten sie sofort alle Meiler stilllegen. Der Ertrag aus einem längeren Betrieb, selbst wenn er nicht entscheide­nd für die Überwindun­g der Energiekri­se sein sollte, wiegt die Kosten und Risiken auf.

Habecks Notreserve­plan – gedacht als Rettung der grünen Seele – ist längst ein Rohrkrepie­rer. Er sollte ihn aufgeben und den Grünen auch jenen Frosch zumuten, der einer Situation geschuldet ist, die unvorherge­sehen über die Ukraine und auch Deutschlan­d hereingebr­ochen ist. Die Realität richtet sich eben nicht nach den Wünschen einer Partei.

Habecks Notreserve-Plan zur Rettung der grünen Seele ist längst ein Rohrkrepie­rer

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT

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