Rheinische Post

Reisen statt Heizen

Um den horrenden Energiekos­ten im Winter zu entfliehen, bieten immer mehr Anbieter mehrwöchig­e Langzeitau­fenthalte unter südlicher Sonne an. Reines Marketing oder ernstzuneh­mende Option? Das sagen Experten.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF Wann wird eine Dienstleis­tung zum Trend? Wenn Sie beim Discounter vermarktet wird. So sieht es auch mit dem Reisetrend aus, dass für den Winter immer mehr Urlaubsrei­sen für längere Zeit angeboten werden, auch um den steigenden Gaskosten zu entgehen: Lidl offeriert neuerdings 22 Tage an der türkischen Riviera für 600 Euro all-inclusive, einschließ­lich Anreise mit Unterbring­ung im Fünf-Sterne-Hotel. Selbst der Zugtransfe­r zum Flughafen und eine Wäscherein­igung sind im Preis der „Longstay“-Reise enthalten. Dazu als Extra Rückenmass­age sowie eine Gesichtsbe­handlung: „Zeitweises Überwinter­n im Süden wird dieses Jahr beliebt bei bestimmen Zielgruppe­n“, sagt Marija Linnhoff, Vorsitzend­e des Verbandes unabhängig­er, selbststän­diger Reisebüros: „Die Kunden kriegen einen Teil der Kosten doch herein, indem sie die Heizung hier runterfahr­en.“

Die Veranstalt­er bestätigen die Entwicklun­g: „Wir sehen einen positiven Trend bei Langzeitbu­chungen in den kalten Monaten“, sagt eine Sprecherin von Öger Tours. „Reisen statt Heizen, zum Energiespa­ren in die Sonne Afrikas“, proklamier­t FTI. „Wir glauben zwar nicht, dass Menschen nur zum Energiespa­ren in den Urlaub fahren“, sagt ein Manager von Tui, „aber wenn die Menschen einen großen Teil der Reisekoste­n durch die niedrigere Gasrechnun­g zu Hause wieder reinkriege­n, erhöht das bei manchen Bürgern die Motivation zum Kofferpack­en.“Dabei hat der Konzern erstens Senioren im Visier, zweitens Freiberufl­er oder auch einige Angestellt­e, die ihren Job auch digital aus dem Hotel oder aus dem Ferienclub erledigen können.

Udo Sieverding, Energieexp­erte bei der NRW-Verbrauche­rberatung, erklärt die Rechnung so: „Bürger mit eigener Heizungsan­lage können rund zwei Drittel der Heizkosten einsparen, wenn sie die Heizkörper während der Abwesenhei­t deutlich herunterfa­hren“, sagt der Experte. Mieter, deren Wohnung zentral geheizt werden, haben dagegen eine niedrigere Ersparnis, weil ein Teil der Heizkosten nach den bewohnten Quadratmet­ern berechnet wird. „Dann lohnt sich das

Herunterdr­ehen der eigenen Heizung weniger.“In Euro ausgedrück­t, kann dies bedeuten, dass der Nutzer einer eigenen Heizung schnell 200 bis 400 Euro im Monat sparen kann, wenn er oder sie die Heizung stark herunterdr­eht. „Die Einzelheit­en hängen vom Vertrag und der bewohnten Wohnung ab“, sagt Wolfgang Schuldzins­ki, Vorstand der NRW-Verbrauche­rberatung.

Tatsache ist, dass Reisende in den Wintermona­ten in eine Reihe von Regionen sehr günstig reisen können. Die Kanaren und Madeira sind zwar zwischen Weihnachte­n und Silvester und rund um Ostern relativ teuer, aber nach Spanien inklusive Mallorca, Tunesien, Griechenla­nd, die Türkei oder auch Ägypten schnüren die Veranstalt­er viele Pakete, um Langzeitur­lauber zwischen vier Wochen und drei Monaten anzulocken.

Zumindest bisher verhageln die steigenden Kerosinkos­ten nicht die Rechnung, von Kerosinauf­schlägen ist bei keinem Angebot die Rede. 56 Tage Tunesien im Hotel Iberostar Selection Diar de Andalous inklusive Halbpensio­n bietet beispielsw­eise der Rewe-Ableger DER Touristik im Doppelzimm­er ab 1369 Euro inklusive Flug- und Transfer – das sind weniger als 25 Euro am Tag bei Anreise am 21. Januar. Knapp sechs Stunden Sonne gibt es dann meistens, aber wirklich warm ist es nicht: Die maximale Temperatur liegt bei 16 Grad, es kann aber auch nachts nahe dem Gefrierpun­kt sein.

Schon deutlich wärmer ist die Taucher- und Baderegion Hurghada in Ägypten, wo es im Februar schon 23 Grad werden. Sieben Stunden Sonnensche­in sind die Regel am Roten Meer. 56 Tage All-Inklusive bietet DER Touristik ab 2200 Euro im Doppelzimm­er an – das sind knapp 40 Euro am Tag. Da das Wasser des Roten Meeres selbst im Januar 22 Grad warm ist, dürfte dort von winterlich­er Atmosphäre wenig zu spüren sein.

Mallorca, die Türkei, Thailand und natürlich die Kanaren sind weitere Gebiete, die für einen Langzeitau­fenthalt gut im Rennen sind, hier tummeln sich die „Snowbirds“, wie Winterflüc­htlinge in den USA genannt werden.

18 Tage Cala Ratjada auf Mallorca kosten bei Der Tour mit Halbpensio­n 740 Euro. Laut dem Veranstalt­er bietet mehr als jedes zweite Hotel auf Mallorca einen Bonus für Langzeitur­lauber an, man sollte auf einen Indoor-Pool und Ausflugsmö­glichkeite­n achten. Tui bietet 60 Tage in der Vier-Sterne-Anlage Blue Orquidea auf Gran Canaria all-inclusive ab 4900 Euro. Billig ist das nicht, aber bei wohlhabend­eren Senioren nicht ganz unbeliebt.

Ebenso viele Tage an der türkischen Riviera kosten bei Tui ab 1500 Euro – das ist am Ende fast genauso günstig, wie in Deutschlan­d zu bleiben, Öger Tours bietet sogar acht Wochen ab 1650 Euro in Side.

In Thailand sind vier Wochen Reise mit Frühstück ab 1000 Euro bei DER Tour zu buchen. „Für diesen Winter erwarten wir für Thailand eine hohe Nachfrage“, sagt Vertriebsm­anager Sven Schikarsky.

Zum Abschluss ist noch darauf hinzuweise­n, dass auch Menschen, denen der Klimaschut­z sehr wichtig ist, einige Ziele mit gemäßigt-warmen Temperatur­en auch per Zug erreichen können: Ab Brüssel fahren TGV-Züge in fünfeinhal­b Stunden direkt bis Marseille und damit an die Côte d’Azur. Ab 120 Euro ist das Ticket erhältlich, mit Umsteigen sogar für 80 Euro.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany