Ärzte sehen Patientenversorgung gefährdet
Um die Kassen zu stabilisieren, plant das Gesundheitsministerium eine Regeländerung für Neupatienten. Mediziner warnen davor.
BERLIN/DÜSSELDORF „Es tut uns leid, aber wir nehmen keine neuen Patienten mehr an.“Jeder, der schon einmal auf der Suche nach einem Arzt war, wird diesen Satz schon einmal gehört haben. Der Grund: Die Überlastung der Praxen. Die Wartezimmer sind überfüllt, es fehlt an Personal – und die Bürokratie belastet die Praxen zusätzlich.
Um diesen Problemen entgegenzuwirken, führte das Bundesgesundheitsministerium 2019 das Terminserviceund Versorgungsgesetz (TSVG) ein. Doch schon drei Jahre später plant das Ministerium bereits eine Abschaffung der darin enthaltenen Neupatientenreglung – zum Entsetzen von Ärzten und Therapeuten in Nordrhein-Westfalen, die dieser Schritt genauso treffen würde wie ihre Kollegen in den anderen Bundesländern. Sie warnen vor verheerenden Folgen für Patienten und Praxen. Doch was besagt die Regelung überhaupt? Und warum soll sie abgeschafft werden? Ein Überblick.
Was ist die Neupatientenregelung?
Die Regel wurde als Teil des TSVG eingeführt und besagt, dass die Behandlung eines neuen Patienten extrabudgetär finanziert wird. Das heißt: Die Ausgaben sind nicht gedeckelt und werden in voller Höhe bezahlt. Die Behandlung neuer Patienten muss dementsprechend nicht auf das Gesamtbudget gerechnet werden, das den Praxen für die Behandlung ihrer Patienten zur Verfügung steht. Ein Patient gilt als „neu“, wenn er erstmals in der Praxis
behandelt wird oder sein letzter Besuch dort mehr als zwei Jahre zurückliegt. Die Regierung wollte damit einen Anreiz für die Praxen schaffen, mehr Termine anzubieten und mehr Menschen zu behandeln.
Warum soll die Regelung nun gestrichen werden?
Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwarten die gesetzlichen Krankenkassen (GKV ) im kommenden Jahr ein Defizit von 17 Milliarden Euro – so hoch wie nie zuvor. Um die GKV finanziell wieder zu stabilisieren, will Lauterbach zu Beginn des nächsten Jahres das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz einführen. Es sieht auch die Streichung der Neupatientenregelung vor. Denn: Die Zahl der Neupatienten sei nicht gestiegen, auch eine schnellere Terminvermittlung sei nicht bekannt, erklärte ein Sprecher des GKV-Spitzenverbandes.
Wie reagieren Ärzte auf die geplante Streichung?
In den Praxen herrscht „massiver Frust und große Wut“, wie Andreas Gassen, der aus Düsseldorf stammende und in der Landeshauptstadt praktizierende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV ), berichtet. Die geplante Streichung der Neupatientenregel werde von den Ärzten als Wort- und Vertrauensbruch des jetzigen Gesundheitsministers wahrgenommen. Dass die Regelung nichts gebracht habe, sei falsch, betont Gassen mit Blick auf den Anstieg der Zahl an Neupatienten seit ihrer Einführung. Und: „Es geht mitnichten um das
Einkommen der Ärzte, sondern um die Struktur der ambulanten Versorgung der Bürger in Deutschland“, erklärte der stellvertretende KBVVorstandschef Stephan Hofmeister.
Was sind die Folgen für Patienten und Praxen?
„Wir sehen eine Gefahr für die Versorgung der Menschen“, sagt Gassen. Unter den herrschenden Bedingungen – steigende Energie-, Personal- und Materialkosten – würden die Praxen ihr bisheriges Angebot nicht aufrechterhalten können. Ohne eine ausreichende Finanzierung wird jede zweite Praxis in Deutschland laut Gassen gezwungen sein, ihre Leistungen zu kürzen. Im Falle einer Abschaffung der Neupatientenregel warnen die Ärzte zudem vor längeren Wartezeiten und möglichen Aufnahmestopps.