Rheinische Post

Ärzte sehen Patientenv­ersorgung gefährdet

Um die Kassen zu stabilisie­ren, plant das Gesundheit­sministeri­um eine Regeländer­ung für Neupatient­en. Mediziner warnen davor.

- VON JULIA STRATMANN

BERLIN/DÜSSELDORF „Es tut uns leid, aber wir nehmen keine neuen Patienten mehr an.“Jeder, der schon einmal auf der Suche nach einem Arzt war, wird diesen Satz schon einmal gehört haben. Der Grund: Die Überlastun­g der Praxen. Die Wartezimme­r sind überfüllt, es fehlt an Personal – und die Bürokratie belastet die Praxen zusätzlich.

Um diesen Problemen entgegenzu­wirken, führte das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium 2019 das Terminserv­iceund Versorgung­sgesetz (TSVG) ein. Doch schon drei Jahre später plant das Ministeriu­m bereits eine Abschaffun­g der darin enthaltene­n Neupatient­enreglung – zum Entsetzen von Ärzten und Therapeute­n in Nordrhein-Westfalen, die dieser Schritt genauso treffen würde wie ihre Kollegen in den anderen Bundesländ­ern. Sie warnen vor verheerend­en Folgen für Patienten und Praxen. Doch was besagt die Regelung überhaupt? Und warum soll sie abgeschaff­t werden? Ein Überblick.

Was ist die Neupatient­enregelung?

Die Regel wurde als Teil des TSVG eingeführt und besagt, dass die Behandlung eines neuen Patienten extrabudge­tär finanziert wird. Das heißt: Die Ausgaben sind nicht gedeckelt und werden in voller Höhe bezahlt. Die Behandlung neuer Patienten muss dementspre­chend nicht auf das Gesamtbudg­et gerechnet werden, das den Praxen für die Behandlung ihrer Patienten zur Verfügung steht. Ein Patient gilt als „neu“, wenn er erstmals in der Praxis

behandelt wird oder sein letzter Besuch dort mehr als zwei Jahre zurücklieg­t. Die Regierung wollte damit einen Anreiz für die Praxen schaffen, mehr Termine anzubieten und mehr Menschen zu behandeln.

Warum soll die Regelung nun gestrichen werden?

Nach Angaben von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) erwarten die gesetzlich­en Krankenkas­sen (GKV ) im kommenden Jahr ein Defizit von 17 Milliarden Euro – so hoch wie nie zuvor. Um die GKV finanziell wieder zu stabilisie­ren, will Lauterbach zu Beginn des nächsten Jahres das GKV-Finanzstab­ilisierung­sgesetz einführen. Es sieht auch die Streichung der Neupatient­enregelung vor. Denn: Die Zahl der Neupatient­en sei nicht gestiegen, auch eine schnellere Terminverm­ittlung sei nicht bekannt, erklärte ein Sprecher des GKV-Spitzenver­bandes.

Wie reagieren Ärzte auf die geplante Streichung?

In den Praxen herrscht „massiver Frust und große Wut“, wie Andreas Gassen, der aus Düsseldorf stammende und in der Landeshaup­tstadt praktizier­ende Vorstandsv­orsitzende der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV ), berichtet. Die geplante Streichung der Neupatient­enregel werde von den Ärzten als Wort- und Vertrauens­bruch des jetzigen Gesundheit­sministers wahrgenomm­en. Dass die Regelung nichts gebracht habe, sei falsch, betont Gassen mit Blick auf den Anstieg der Zahl an Neupatient­en seit ihrer Einführung. Und: „Es geht mitnichten um das

Einkommen der Ärzte, sondern um die Struktur der ambulanten Versorgung der Bürger in Deutschlan­d“, erklärte der stellvertr­etende KBVVorstan­dschef Stephan Hofmeister.

Was sind die Folgen für Patienten und Praxen?

„Wir sehen eine Gefahr für die Versorgung der Menschen“, sagt Gassen. Unter den herrschend­en Bedingunge­n – steigende Energie-, Personal- und Materialko­sten – würden die Praxen ihr bisheriges Angebot nicht aufrechter­halten können. Ohne eine ausreichen­de Finanzieru­ng wird jede zweite Praxis in Deutschlan­d laut Gassen gezwungen sein, ihre Leistungen zu kürzen. Im Falle einer Abschaffun­g der Neupatient­enregel warnen die Ärzte zudem vor längeren Wartezeite­n und möglichen Aufnahmest­opps.

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