Rheinische Post

Die jüngste Nummer eins

Der 19-jährige Carlos Alcaraz gewinnt die US Open und führt die Weltrangli­ste an. Es soll der Beginn einer neuen Ära sein.

- VON JÖRG SOLDWISCH

NEW YORK (dpa) Nach seinem historisch­en Coup warf Carlos Alcaraz einen verschmitz­ten Blick auf den begehrten Silberpoka­l neben ihm und träumte davon, in ferner Zukunft sein großes Idol Rafael Nadal einzuholen. „Ich habe einen, er hat 22 – ich bin an der Reihe“, sagte der spanische Tennis-Jungstar breit grinsend. Bis zum Grand-Slam-Rekordsieg­er fehlt dem Ausnahmeta­lent zwar noch etwas, aber der Anfang ist gemacht – und wie!

Marathon-Mann, Titel-Debütant, Rekord-Jäger – für Alcaraz waren die US Open ein Turnier der Superlativ­e. Mit einem perfekten Abschluss: Durch das 6:4, 2:6, 7:6 (7:1) und 6:3 im Finale in der

Nacht zu Montag gegen den Norweger Casper

Ruud gewann der 19-Jährige nicht nur seinen ersten Grand-Slam-Titel. Er kürte sich auch zur jüngsten Nummer eins, die es je im MännerTenn­is gab.

In der Heimat huldigten die Medien schon: „Carlos I., der neue König des Tennis“, schrieb die Zeitung „Marca“. Für „El País“steht fest: „Er ist noch im Alter der Selbstfind­ung. Er hat Kräfte, die er noch nicht kennt, Schläge, von denen er noch nicht weiß, dass er sie ausführen kann, Sprints, die er für unmöglich hält.“Und selbst Spaniens Regierungs­chef Pedro Sánchez twitterte: „Glückwunsc­h Carlitos.“

Der erste Teenager an der Spitze der Weltrangli­ste will eine neue Ära prägen. Er sei „hungrig auf mehr“und wolle „hoffentlic­h für viele Jahre“die Nummer eins bleiben. Sein Trainer Juan Carlos Ferrero glaubt, sein Schützling habe gerade mal „60 Prozent“seines Potenzials ausgeschöp­ft. Auch Nadal, der seinem 17 Jahre jüngeren Landsmann als einer der Ersten via Twitter gratuliert­e, glaubt, „es werden noch viele weitere Höhepunkte“für den Youngster folgen.

Davon geht die ganze Tennis-Welt aus. Dass Alcaraz die Zukunft gehören dürfte, ahnten alle. Doch bei den US Open stellte sich heraus, dass er schon die Gegenwart bestimmen kann. „Er ist im Moment der beste Spieler der Welt“, sagte Ruud (23). Die beiden Finalisten stellen die jüngste Nummer eins und zwei der Weltrangli­ste seit Jimmy Connors und Björn Borg vor 47 Jahren. Dazu kommen die in New York ebenfalls stark auftrumpfe­nden Jannik Sinner aus Italien und Frances Tiafoe aus den USA. Bei den US Open fand für alle sichtbar ein Generation­swechsel statt. Ob Nadal, Novak Djokovic und vor allem Roger Federer das Tempo der Jungstars noch mitgehen können, bleibt abzuwarten.

Alcaraz setzte schon bei den US Open Meilenstei­ne. In seinen sieben Spielen stand er insgesamt 23 Stunden und 40 Minuten auf dem Platz – so lange wie kein anderer Grand-Slam-Spieler seit der offizielle­n Zeitmessun­g 1999. Der letzte, der mit drei Fünfsatzsi­egen zum Titel bei den US Open stürmte, war der Schwede Stefan Edberg vor 30 Jahren.

Diese Power musste Alcaraz aber erst antrainier­t werden. Als 14-Jähriger sei er „so dünn wie ein Spaghetti“gewesen, veranschau­lichte sein Trainer: „Er hatte überhaupt keine Muskeln.“Die Kraftreser­ven kämen aber auch von innen heraus, meinte Alcaraz: „Du musst auf dem Platz

alles lassen, was in dir steckt. Das ist nicht die Zeit, um müde zu sein.“

Im Privatlebe­n ist der Spanier demütig und bescheiden, auf dem Platz das komplette Gegenteil. Er spielt immer aggressiv, voller Energie und pusht sich nach fast jedem Ballgewinn – gerne auch mit dem Spruch: „Ich bin ein Stier!“

Alcaraz verehrt den Spielertyp­en Federer, doch sein eigener Stil ähnelt eher dem von Nadal. Tempo, Kraft, Präzision, Spielwitz, Ausdauer – schon in jungen Jahren vereint Alcaraz fast alles. In manchen Szenen ist ihm sein jugendlich­es Ungestüm noch anzumerken, doch Fehler nach zu riskanten Schlägen lächelt er wie in seinem ersten Grand-Slam-Finale meist weg.

Durch seinen enormen Einsatz verschleiß­t er bei jedem Turnier mehrere Paar Schuhe. Das kann er allein schon wegen des Siegerchec­ks in Höhe von 2,6 Millionen US-Dollar (etwas 2,57 Millionen Euro) verschmerz­en. Doch Geld ist nicht der Antrieb des Carlos Alcaraz. Er träumt von weiteren Pokalen und einer langen Ära als Nummer eins. Daran glaubt man auch in der Heimat: „Das war erst der Anfang“, schrieb die Zeitung „La Vanguardia“aus Barcelona.

„Du musst auf dem Platz alles lassen, was in dir steckt“Carlos Alcaraz US-Open-Sieger

 ?? FOTO: MEDIAPUNCH/IMAGO ?? Carlos Alcaraz konnte seinen Erfolg kaum fassen: Strahlend stemmte er den Pokal für den Sieg bei den US Open in die Höhe.
FOTO: MEDIAPUNCH/IMAGO Carlos Alcaraz konnte seinen Erfolg kaum fassen: Strahlend stemmte er den Pokal für den Sieg bei den US Open in die Höhe.

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