Scholz fordert industrielle Revolution
Ein weltweiter Klimaclub soll laut Bundeskanzler helfen, die Wirtschaft umzubauen.
SCHARM EL SCHEICH/BERLIN Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat auf der Weltklimakonferenz für seine Idee eines globalen Klimaclubs von Ländern mit ehrgeizigen Zielen bei der Bekämpfung der Erderwärmung geworben. Er lud dazu am Dienstag im ägyptischen Scharm el Scheich alle Staaten weltweit ein. Viele Industriezweige müssten dringend klimafreundlich umgebaut werden, etwa die Zement- und Stahlproduktion. Die Idee sei, gemeinsam Regeln und Standards zu verabreden, damit es angesichts der hohen Investitionen nicht zu Verzerrungen des Wettbewerbs komme. „Die Zeit wird knapp. Die nächste industrielle Revolution muss nun starten“, forderte der Kanzler.
Beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau hatten sich im Sommer bereits die anderen großen demokratischen Wirtschaftsmächte hinter die Idee des Klimaclubs gestellt. Er soll noch in diesem Jahr formal gegründet werden und auch offen für Länder wie China oder Saudi-Arabien sein, die nicht zur Gemeinschaft westlicher Demokratien gehören.
Ein Schutzschirm zur Abfederung von Klimarisiken soll in der zweiten Woche der Klimakonferenz offiziell gegründet werden. Das Büro dafür soll in Frankfurt am Main entstehen, Deutschland stellt 170 Millionen Euro als Anschubfinanzierung zur Verfügung. Welche Länder sich sonst noch mit wie viel Geld beteiligen, ist unklar.
Scholz setzte sich zudem beim ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi für die Freilassung des inhaftierten Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah ein. Er zählte 2011 während der ägyptischen Revolution zu den Führungsfiguren, aus Protest gegen seine Haftbedingungen ist er seit Monaten im Hungerstreik. Und seit Sonntagfrüh verzichtet er auch auf Wasser. Seitdem hängt sein Leben seiner Familie zufolge am seidenen Faden. Scholz sagte dazu: „Es ist bedrückend zu sehen, dass ein Menschenleben gefährdet ist.“
Der renommierte Klimaforscher und Leiter des New-Climate-Insituts Niklas Höhne warnte unterdessen vor einer dramatischen Entwicklung des Klimas und übte scharfe Kritik an der Bundesregierung. „Derzeit steuert die Welt auf eine Erwärmung um zwei Grad Celsius bis 2050 und 2,7 Grad Celsius bis 2100 zu. In dieser Welt werde ich nicht leben wollen, weil die Folgen des Klimawandels nicht mehr beherrschbar sein werden“, sagte Höhne unserer Redaktion. „Ganze Staaten mit Millionen Menschen werden sich auflösen und umsiedeln müssen. Es geht um deren nackte Existenz und unmittelbar um unsere Lebensgewohnheiten und unsere Sicherheit.“
Er betonte, man steuere sehenden Auges auf eine immer größere Klimakatastrophe zu, deren Auswirkungen bereits in diesem Jahr von Millionen Menschen spürbar gewesen seien. „Wenn ein Drittel der Landesfläche von Pakistan überschwemmt war oder Waldbrände in Kalifornien und Australien nicht beherrschbar waren, sind das unmittelbare Folgen des Klimawandels“, sagte Höhne.
Er warf der Bundesregierung Unglaubwürdigkeit vor. „Die aktuelle Energiekrise hat zu einem Goldrausch bei fossilen Energieträgern geführt. Dieser Rausch wird auch angeheizt durch die deutsche Shoppingtour für Erdgas und Flüssiggas. Damit macht Deutschland sich unglaubwürdig, wenn der Kanzler gleichzeitig andere Länder vor einer fossilen Renaissance warnt“, sagte er. Höhne sieht die Menschen in Deutschland in der Pflicht, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. „Es gibt in Deutschland viele Menschen, die es sich leisten könnten, ihr klimaschädliches Verhalten umzustellen. Jeder muss einen Beitrag leisten, weil es wirklich einen Unterschied macht, wie viel wir Auto fahren, mit dem Flugzeug fliegen oder Fleisch essen“, sagte er.