Rheinische Post

Der gordische Knoten der Koalition

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

So vehement wie die Koalition mit der Opposition derzeit über das Bürgergeld streitet, gerät der große interne Atom-Krach der AmpelRegie­rung etwas in Vergessenh­eit. Doch der Bundestag diskutiert­e am Mittwoch erstmals über die geplante Laufzeitve­rlängerung für die verblieben­en drei deutschen Atomkraftw­erke. Sie sollen wegen der Energiekri­se nicht wie ursprüngli­ch geplant nur bis zum Jahreswech­sel, sondern noch bis Mitte April laufen. Zur Erinnerung: In diesem Streit über die Laufzeitve­rlängerung der AKW musste Bundeskanz­ler Olaf Scholz das schärfste Schwert eines Kanzlers, seine Richtlinie­nkompetenz, ziehen. Aber ist das Thema mit dem Bundestags­beschluss, der am Freitag erfolgen soll, beigelegt? Deutschlan­d ist in diesem Winter und im nächsten Winter voraussich­tlich noch viel stärker auf jede Kilowattst­unde Strom angewiesen. Kann man auf die AKW verzichten?

Das hängt von vielen Fragen ab, die – Stand jetzt – noch nicht abschließe­nd beantworte­t sind. Wie kommt der Ausbau der Erneuerbar­en voran? Klappt die Anlandung von Flüssiggas, wie viele LNG-Terminals sind einsatzber­eit? Liefern Norwegen und die Niederland­e weiter nach Deutschlan­d? Werden die AKW in Frankreich wieder anlaufen, oder braucht es nach wie vor Gas zur Verstromun­g? Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne) betonte im Bundestag, Atomkraft könne „einen Beitrag leisten, besser über den Winter zu kommen – einen kleinen Beitrag“. Ihr Gesetzentw­urf mache zugleich deutlich, „dass es beim Atomaussti­eg in Deutschlan­d bleibt, Punkt“. Man muss nun nicht besonders prophetisc­h veranlagt sein, um Folgendes zu prognostiz­ieren: Der Beschluss hat eine Laufzeit bis zum Frühjahr. Und dann wird der Streit von Neuem beginnen, wenn sich die Energiever­sorgung bis dahin nicht entschiede­n gebessert hat. Der gordische Knoten der Koalition ist noch nicht durchschla­gen.

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