Rheinische Post

Nachbarn rechnen mit neuer Flüchtling­swelle aus der Ukraine

Weil ein großer Teil der Energie-Infrastruk­tur zerstört ist, bereiten sich die Slowakei, Ungarn, Polen und Tschechien auf neue Hilfsleist­ungen vor.

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WARSCHAU/BRÜSSEL/KIEW (ap/dpa/ rtr) Länder im Osten Europas stellen sich angesichts der heftigen russischen Angriffe auf ukrainisch­e Energie-Infrastruk­tur auf eine neue, große Fluchtbewe­gung in diesem Winter ein. Schon zuletzt sei die Zahl der Flüchtende­n aus der Ukraine um 15 Prozent gestiegen, sagte Roman Dohovic, ein Hilfskoord­inator aus der slowakisch­en Stadt Kosice. Die Slowakei bereitet sich einem Notfallpla­n zufolge auf bis zu 700.000 Flüchtende binnen drei Monaten aus der Ost- und Südukraine vor. Unter den derzeitige­n Bedingunge­n könne ein großer Teil der ukrainisch­en Binnenflüc­htlinge nicht den Winter über untergebra­cht werden, heißt es in dem Papier. Außerdem bestehe das Risiko einer weiteren Eskalation des Krieges.

Auch in anderen osteuropäi­schen Ländern wie Ungarn, Polen und Tschechien werden Unterkünft­e wiedereröf­fnet und Hilfsgüter aufgestock­t. „Wir decken uns durchgehen­d mit Hygieneart­ikeln und Lebensmitt­eln ein“, sagte Witold Wolczyk, ein Mitarbeite­r der Behörden im polnischen Przemysl. Obwohl man derzeit vergleichs­weise wenig Menschen unterbring­en müsse, bereite man sich auf viele Neuankömml­inge im Winter vor.

In Ungarn habe die Zahl der ankommende­n Flüchtling­e am grenznahen Bahnhof Zahony sich seit der Intensivie­rung der russischen Angriffe verzehnfac­ht, berichtet Zsofia Dobis-Lucski, Sprecherin der Ungarische­n Kirchenhil­fe. Derzeit erreichten bis zu 500 Menschen pro Tag die Stadt.

Seit Beginn des Krieges wurden nach Angaben des UN-Flüchtling­shilfswerk­s rund 4,5 Millionen ukrainisch­e Flüchtende in Europa registrier­t. Ein Fünftel davon sei aber auch wieder in die Ukraine zurückgeke­hrt, sagte der tschechisc­he Innenminis­ter Vit Rakusan nach einem Besuch in der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew in der vergangene­n Woche. Erwartet wird, dass ein Teil von ihnen demnächst erneut flüchten wird. Schätzunge­n zufolge liegt die Zahl der Binnenflüc­htlinge – Menschen, die innerhalb der Ukraine aus ihren Häusern vertrieben worden sind – bei 6,9 Millionen.

In Europa haben im August so viele Menschen Asyl beantragt wie seit sieben Jahren nicht. In den 27 EUStaaten sowie Norwegen und der Schweiz seien etwa 84.500 Asylanträg­e gestellt worden, teilte die EUAsylbehö­rde mit. Das sei etwa die Hälfte der Ende 2015 pro Monat gemeldeten 170.000 Asylanträg­e, als Hunderttau­sende Syrer vor dem Bürgerkrie­g nach Europa flüchteten.

Die Ukraine hat unterdesse­n verhalten auf die Ankündigun­g Russlands reagiert, seine Truppen aus der Stadt Cherson abzuziehen. Es sei zu früh, von einem Abzug zu sprechen, sagt Präsidente­nberater Mychailo Podoljak. Es verblieben einige russische Truppen in der Stadt, zudem würden zusätzlich­e Kräfte in die Region beordert. Die Ankündigun­gen aus Moskau und die Handlungen vor Ort seien mitunter höchst unterschie­dlich. Solange nicht die ukrainisch­e Flagge über Cherson wehe, könne von einem russischen Rückzug nicht gesprochen werden.

Vor diesem Hintergrun­d habe

Kiew auch ein neues Gesprächsa­ngebot Moskaus zurückgewi­esen. „Russische Beamte beginnen, Gesprächsa­ngebote immer dann zu unterbreit­en, wenn die russischen Truppen Niederlage­n auf dem Schlachtfe­ld erleiden“, so Außenamtss­precher Oleh Nikolenko. Mit dem neuen Dialogange­bot spiele Russland auf Zeit, um seine Truppen neu zu sortieren und zu verstärken, und um dann „neue Wellen der Aggression“einzuleite­n. In Moskau hatte Russlands Außenamtss­precherin Maria Sacharowa die Bereitscha­ft Russlands zu Gesprächen „auf Grundlage der aktuellen Realitäten“angeboten.

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