Wirtschaftsweise verteidigen Energie-Soli
Der Sachverständigenrat versteht die Kritik an der Forderung nach Mehrbelastungen für Spitzenverdiener nicht: Irgendjemand müsse die Zeche für die Folgen des Ukraine-Kriegs zahlen, so die Ratsvorsitzende Monika Schnitzer.
BERLIN Die sogenannten Wirtschaftsweisen haben ihren umstrittenen Vorschlag verteidigt, Spitzenverdiener zur Finanzierung von Entlastungen in der Energiekrise steuerlich stärker zu belasten. Die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung seien nicht zielgenau genug und deshalb nicht sozial ausgewogen, sagte die Vorsitzende Monika Schnitzer am Mittwoch bei der Vorstellung des neuen Jahresgutachtens. Es würden auch diejenigen entlastet, die es nicht nötig hätten. Es werde deswegen „zu viel Geld ins System“gegeben. Der Staat müsse noch mehr Schulden aufnehmen und die Inflation werde weiter angeheizt.
Es gehe um ein Gesamtpaket aus Ent- und Belastungen, das wirklich solidarisch sei und damit zielgenau. Dies diene auch der Generationengerechtigkeit, so Schnitzer. „Unsere Kinder sollen nicht alles zahlen müssen.“Deutschland werde durch die vom Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise ärmer. „Irgendjemand muss das zahlen.“Höhere Belastungen für Besserverdienende sollten so lange andauern, bis die Entlastungsmaßnahmen wirkten. Deshalb sei der Vorschlag des Rates bis Frühjahr 2024 befristet.
In seinem neuen Jahresgutachten empfiehlt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) der Bundesregierung einen befristeten Energie-Solidaritätszuschlag für Besserverdienende oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Dies hatte scharfe Kritik bei Union und FDP, aber auch bei Wirtschaftsverbänden ausgelöst. So sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben, eine vorgeschlagene temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes wäre für die Millionen von mittelständischen Unternehmen ein „Schlag ins Kontor“.
Ratsmitglied Achim Truger wies den Hinweis vieler Kritiker zurück, wonach ein einmal erhöhter Spitzensteuersatz von der Politik hinterher in der Regel nicht wieder zurückgenommen werde. Er gehe nicht davon aus, dass ein Bundesfinanzminister von der FDP vor den nächsten Wahlen den erhöhten Spitzensteuersatz nicht wieder senken würde, sagte Truger. Schnitzer warb auch dafür, den geplanten Abbau der kalten Steuerprogression um ein Jahr auf 2024 zu verschieben. Dadurch gewinne der Staat 2023 einen zweistelligen Milliardenbetrag an zusätzlichem Spielraum. Grundsätzlich sei der Abbau der inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen zwar richtig, aber der Zeitpunkt mitten in der Energiekrise sei falsch gewählt. Die Ampelkoalition erhört die Wirtschaftsweisen an dieser Stelle allerdings nicht: Die Steuerentlastungen im Rahmen des Abbaus der kalten Progression werden an diesem Donnerstag vom Bundestag beschlossen.
Sie rechne, Stand heute, nicht mit einer „breiten Deindustrialisierung“in Deutschland, sagte Schnitzer. Ratsmitglied Veronika Grimm, die die Gaspreis-Kommission der Bundesregierung geleitet hatte, warnte vor einer Gasmangellage in diesem und im kommenden Winter als größtes Konjunkturrisiko. Die EU-Länder müssten sich zusammentun und gemeinsam Energie bei deutlich mehr Ländern als bisher einkaufen. Sich von „unfreundlichen Staaten“abkoppeln zu wollen, sei die falsche Strategie, denn auch auf die werde Europa weiter angewiesen sein.
In seiner Konjunkturprognose ist der Rat etwas optimistischer als die Bundesregierung: Er erwartet im laufenden Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent, die Regierung von nur 1,4 Prozent. 2023 soll die Wirtschaft laut SVR um 0,2 Prozent schrumpfen, die Regierung geht von minus 0,4 Prozent aus. Die Inflationsrate werde 2022 um 8,0 und 2023 um 7,4 Prozent steigen, so der Rat.