„Noch im Griff?“– Aktionstag in den Suchtberatungsstellen
In der Zeit von 11 bis 18 Uhr stehen am Donnerstag die Berater für all jene bereit, die befürchten, in irgendeiner Form abhängig zu sein.
FLINGERN Am bundesweiten Aktionstag Suchtberatung öffnen am heutigen Donnerstag auch alle Düsseldorfer Beratungsstellen ihre Anlaufpunkte. In der Zeit von 11 bis 18 Uhr stehen die Mitarbeiter für all jene bereit, die befürchten, in irgendeiner Form abhängig zu sein. Die Angebote sind niedrigschwellig, man kann einfach vorbeikommen.
„Es kann sich durchaus herausstellen, dass doch keine Abhängigkeit besteht“, sagt Denise Schalow, Sachgebietsleiterin der Diakonie. Für wahrscheinlich hält sie das allerdings nicht. Wie Kathleen Otterbach von der Drogenhilfe Perspektive und Patrick Plötzke von der Drogenberatungsstelle komm-pass, macht auch Denise Schalow meist diese Erfahrung: Wer zur Drogenberatung kommt und um Hilfe bittet, dessen Leben ist meist schon unter der Sucht zusammengebrochen.
Deshalb möchten die Beratungsstellen dafür sensibilisieren, sich frühzeitig zu melden. Die Krux: Dafür müssten Betroffene erkennen, dass sie ein Problem haben.
Unter dem Motto „Noch im Griff?“lenken die Beratungsstellen den Blick zunächst auf jene, die im Beruf hocheffizient sind und im Alltag weiterhin bestens funktionieren, deren Konsum legaler wie illegaler Drogen aber bedenklich ist. Einer von ihnen ist Joachim. Der 62-Jährige war Banker, arbeitete viel, hatte Erfolg und gleichsam Stress. Mit dem Druck kam die Angst vor dem nächsten Tag. Joachim suchte Entspannung, Ablenkung. Er fand beides beim Alkohol, anfangs ab und zu. Schnell aber bestimmte der Alkohol sein Leben. Dabei beteuert Joachim, nur abends getrunken zu haben. Allerdings jeden Abend. Und so viel, dass seine Frau ihn zur Rede stellte. Am Ende verließ sie ihn, die erwachsenen Kinder gingen auf Distanz.
Bei Melanie (48) war es auch der Stress. Erst, weil sie, die aus dem Ausland kam, ums Arbeitsvisum kämpfen musste. Sie nahm etwas, um ruhig zu werden. Später, als sie verheiratet ist, mit ihrem Mann eine Tochter und eine Patchwork-Familie hat, empfindet sie wieder Druck. Abends trank sie mit ihrem Mann auf Firmenessen und Veranstaltungen regelmäßig. Was nicht einmal ihr Mann ahnte: Sie hatte an manchen Tagen schon früh zwei Flaschen Wein intus. Sie habe das gebraucht, um lustig zu sein, um zu funktionieren.
Die Menge allein sei nicht immer entscheidend, sagen die Experten. Wesentlicher sei letztlich, welche Funktionen die Drogen oder der Alkohol haben. Will man sich durch den Konsum aufpushen oder beruhigen? Und welchen Stellenwert nehmen Suchtmittel im Leben ein? Betroffene wie Joachim und Melanie berichten, dass sie irgendwann nur noch an das nächste Glas denken konnten. Die psychologische Komponente bestimme den Verlauf, so Schalow. Hinweis auf eine Abhängigkeit könne, so Plötzke, der allmähliche Kontrollverlust sein – über die Menge und über die sonstigen Aktivitäten. Viele Betroffene vernachlässigten nach und nach Freunde und Hobbys. Wer bemerkt, dass er immer mehr braucht, um den Pegel
zu halten, und dann auch noch Entzugssymptome hat, der sollte sich umgehend Hilfe suchen.
Wann aber gestehen Betroffene sich ehrlich ein, dass etwas aus dem Ruder gelaufen ist? Joachim sagt, als er abends irgendwann anfing, leere Flaschen vor seiner Frau zu verstecken. Und bei Melanie? „Das erste Mal ein Glas Wein am Vormittag, ganz alleine.“Da habe sie es spätestens gewusst.
Heute sind Melanie und Joachim trocken. Die Abstinenz sei letztlich auch das Ziel jeder Therapie, sagt Schalow. Rund 400 Menschen begleiteten die Beratungsstellen derzeit – nicht nur Alkoholkranke. Auch wer mutmaßlich unter Spielsucht leidet, kann sich an eine Beratungsstelle wenden. Gleiches gilt für Konsumenten illegaler Drogen und Angehörige, denn unter der Sucht leiden nicht nur die Betroffenen.