Rheinische Post

Magische Canyons mit Groove

Das Dream House Quartet bot bei einem fulminante­n Konzert in der Tonhalle süchtig machende Musik. Angeleitet wurde es von Bryce Dessner.

- VON HEIKO SCHMITZ Info Weitere Infos zum Festival unter www.approximat­ion-festival.de.

DÜSSELDORF Musikalisc­he Grenzgänge­r auf der Suche nach neuen Nischen im Musikmarkt gibt es viele. Auch Auftrittsm­öglichkeit­en für neue und experiment­elle Musik sind keine Seltenheit mehr – auch dank mutiger Intendante­n, Kuratoren und Kommunen sowie großartige­n Künstlern wie Volker Bertelmann alias Hauschka, dem Kurator des Approximat­ion-Festivals, das nun vielverspr­echend begann. Das Programm des Festivals, das in die MTV European Music Awards eingebette­t ist, ist so außergewöh­nlich wie der US-Amerikaner Bryce Dessner, dem „Composer in Residence“des Festivals, der sogar einen Komponiera­uftrag erhielt und im Konzert sein Werk „Sonic Wires“uraufführt­e. Das hat er für sein Dream House Quartet geschriebe­n, einer ungewöhnli­chen Kombinatio­n aus Dessner und David Chalmin als EGitarrist­en und den auch KlassikFan­s bekannten Schwestern Katia und Marielle Labèque am Flügel.

„Wir sind wohl das einzige Quartett in dieser Besetzung“, sagt Dessner zu Beginn und schmunzelt. Die vier kennen sich aus ihrer gemeinsame­n französisc­hen Wahlheimat und fanden 2018 zusammen – sein Debüt feierte das Quartett 2019 in der Pariser Philharmon­ie mit dem Sänger Thom Yorke von der britischen Band Radiohead. Inzwischen sind sie ein eingespiel­tes, fulminante­s Team, das die Tonhalle, deren intime Beleuchtun­g eher an einen überdimens­ionalen Jazz-Club erinnert, zwei Stunden lang mit hypnotisch­em, opulenten Klavier- und Gitarrenkl­ang flutet.

Das Quartett ist ein verhältnis­mäßig junges Projekt des 1976 geborenen musikalisc­hen Multitalen­ts: Bekannt geworden ist Dessner als Gitarrist, Pianist, Keyboarder und vor allem Songwriter der Indie-Rock-Gruppe The National, doch sein Horizont reicht viel weiter. Er komponiert klassische Musik, entwirft Soundtrack­s zu Filmen (zum Beispiel „The Revenant“) und kuratiert Festivals. Vor allem aber spielt und komponiert er hinreißend­e moderne Musik, die ähnlich schwer zu verorten ist wie er selber, auch wenn er reichlich Vorbilder zitiert: Sein Dream House Quartet macht vor einem

nicht allzu großen, aber extrem aufmerksam­en und am Ende restlos begeistert­en Publikum aus Elementen von Klassik, Rock und Jazz ein harmonisch­es Ganzes in der Tradition der „Minimal Music“. Die lebt von sich wiederhole­nden, meist einfachen Motiven und Mustern, die fortlaufen­d variiert werden, und bleibt harmonisch in der Regel harmlos und eingängig, was sie vielfach verwendbar für Film und Fernsehen gemacht hat.

Dass Dessner hier anknüpft, ist kein Zufall. Namhafte Vertreter dieses Stils wie Philipp Glass und Steve Reich sind für ihn gute Bekannte:

Glass lernte er in New York kennen, Reich bezeichnet er als Freund und Mentor. Dessner aber schafft etwas Neues, was sich schon durch die ungewöhnli­che Besetzung ergibt: Die beiden Labèque-Schwestern dominieren das musikalisc­he Geschehen an den mächtigen Flügeln und bekommen reichlich Raum zur virtuosen Entfaltung: „Sonic Wires“, eine Anspielung auf die Saiten des Klaviers, ist den temperamen­tvollen Pianistinn­en auf den Leib geschriebe­n und technisch anspruchsv­oll – wie auch die Sätze aus Philip Glass‘ „Movements for Two Pianos“, die vor der Pause gespielt werden.

In „Ellis Island“von Meredith Monk und „El Chan“, einem Dessner-Stück über einen magischen Canyon, sind die E-Gitarren bestenfall­s Beiwerk und wenig zu hören. Das ändert sich im zweiten Teil mit Dessners dreisätzig­em neuen Stück und dem ebenfalls dreiteilig­en „Eclipse“von David Chalmin, der dabei ausnahmswe­ise singt. Jetzt kommen die Gitarren zur Geltung, bringen eine neue Farbe ins Spiel und erzeugen zusammen mit den stürmische­n Klaviersät­zen einen sphärische­n Klangteppi­ch, der süchtig macht. Mit Dessners groovigem „Haven“und der Zugabe von Chalmin ziehen die vier noch mal alle Soundregis­ter – und beweisen eindrucksv­oll, wie viel Spaß neue Musik machen kann.

Dessner spielt und komponiert hinreißend­e moderne Musik, die ähnlich schwer zu verorten ist wie er selber

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FOTO: JONATHAN MCCALLUM Das Dream House Quartet (v. l.): Bryce Dessner, Katia und Marielle Labèque sowie David Chalmin.

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