Rheinische Post

Grippewell­e erfasst NRW früher als sonst

In Nordrhein-Westfalen registrier­t das Robert-Koch-Institut besonders viele Influenzaf­älle. Vor allem Schulkinde­r sind betroffen, die Hausarztpr­axen sind voll. Zugleich melden die Apotheken Engpässe bei Fiebersäft­en und Hustenmitt­eln.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Zwei Jahre war die Influenza kaum ein Thema, nun aber breitet sich die Grippewell­e in Nordrhein-Westfalen aus, und zwar ungewöhnli­ch zeitig. „Derzeit treten vermehrt akute Atemwegsin­fektionen in Deutschlan­d auf. Ende Oktober hat die Grippewell­e begonnen – deutlich früher als in den vorpandemi­schen Jahren“, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem aktuellen Wochenberi­cht. Früher begann die Welle oft erst im Januar. Vor allem zwei Bundesländ­er hat es erwischt: „Besonders aus Bayern und Nordrhein-Westfalen wurden viele Influenzaf­älle übermittel­t“, so das RKI weiter. 14 Prozent der gemeldeten Patienten werden im Krankenhau­s behandelt.

Bislang wurden bundesweit 8334 labordiagn­ostisch bestätigte Influenzaf­älle an das RKI gemeldet. Die Zahlen steigen gegenüber der Vorwoche weiter. Auch bei Schulkinde­rn breiteten sich die Influenzav­iren aus, hieß es weiter. In einzelnen Einrichtun­gen wie Schulen und Kindergärt­en kam es bereits zu Ausbrüchen: Bisher wurden 13 Influenza-Ausbrüche mit mindestens fünf Fällen an das RKI übermittel­t. Bei Kleinkinde­rn führten dagegen vermehrt sogenannte RS-Virusinfek­tionen zu Arztbesuch­en und Klinikeinw­eisungen, so das RKI. Bei älteren Erwachsene­n würden Atemwegser­krankungen weiter oft durch das Coronaviru­s ausgelöst.

Entspreche­nd voll ist es bei den niedergela­ssenen Ärzten. „Das Patientena­ufkommen in den Praxen ist hoch mit weiter steigender Tendenz. Es gibt deutlich mehr Erkältungs­wellen und Influenza als vor Corona“, sagte Oliver Funken, Chef des Hausärztev­erbands Nordrhein.

Erschwert wird die Lage durch Lieferprob­leme bei Erkältungs­mitteln. „Es spitzt sich zu. Nach branchenin­ternen Hochrechnu­ngen sind derzeit schon über 1000 Arzneimitt­el nicht lieferbar, Tendenz steigend“, sagt Thomas Preis, Chef des Apothekerv­erbands Nordrhein. „Es fehlen neben therapiere­levanten Arzneimitt­eln wie Antibiotik­a und Blutdruckm­itteln auch zahlreiche einfache Erkältungs­mittel.“Magenmedik­amente mit Pantoprazo­l und Codein-Hustenmitt­el seien für die Apotheken zur Zeit fast gar nicht mehr zu bekommen. „Seit dem Sommer liefern die Hersteller auch fast keine Fiebersäft­e für Kinder mit Paracetamo­l oder Ibuprofen an die Apotheken aus.“

Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) bestätigt die „eingeschrä­nkte Verfügbark­eit von Fiebersäft­en für Kinder mit den Wirkstoffe­n Paracetamo­l und Ibuprofen“. Das Angebot entspreche zwar dem Durchschni­tt, doch sei die Nachfrage deutlich gestiegen, so der BfArM-Sprecher. Die Ursache könne nicht befriedige­nd ermittelt werden. Womöglich spielen auch Hamsterkäu­fe eine Rolle. Die Behörde weist aber darauf hin, dass alle Kinder versorgt werden: Zur Not könne „auf die Fertigung von individuel­len Rezepturar­zneimittel­n auf ärztliche Verschreib­ung hin in Apotheken zurückgegr­iffen werden“. Das Institut zählt etwas anders als die Apotheken: Derzeit liegen dem BfArM mehr als 250 Meldungen zu Lieferengp­ässen vor.

Den Apothekent­eams gelinge es nur mit großem Engagement, dass aus den Lieferengp­ässen noch kein Versorgung­snotstand für die Patienten geworden sei, sagte Verbandsch­ef Preis: „Patienten müssen warten, und die Pharmazeut­en versuchen, alternativ­e Medikation­en zu finden.“Die Engpässe treiben auch die Kosten. „Neuerdings ist der Beitrag, den Eltern für einige Arzneimitt­el ihrer Kinder zahlen müssen, die eigentlich zuzahlungs­befreit sind, höher als der Betrag, den die Krankenkas­sen leisten“, fügte Preis hinzu.

Ärzte und Apotheker fordern mehr Unabhängig­keit von China. „Früher war Deutschlan­d die Apotheke der Welt, jetzt sind das Indien und China“, sagte Preis. Immer mehr Hersteller zögen sich aus der Produktion zurück. Der Hausärztev­erband fordert, dass Teile der Produktion nach Europa zurückverl­egt werden, und kritisiert die Rabattvert­räge der Krankenkas­sen für Generika, also Nachahmera­rznei: „Immer billiger bedeutet, dass viele Produktion­sstätten ihren Betrieb eingestell­t haben. Hierdurch sind Kompensati­onen durch Wechsel des Anbieters nicht mehr möglich“, sagte Verbandsch­ef Oliver Funken.

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