Neue Abgasnorm mit Folgen
Mehrfach verschoben, weil von allen Seiten Zweifel kamen, hat die EU-Kommission nun einen Vorschlag für die neue Abgasnorm Euro 7 auf den Tisch gelegt. Klimaschützer sind enttäuscht, Verkehrspolitiker alarmiert. Worum es geht.
BRÜSSEL Binnenmarktkommissar Thierry Breton hat am Donnerstag seinen Vorschlag zur neuen Euro-7-Abgasnorm noch nicht mal ganz präsentiert, da bekommt er es schon mit einer doppelten Ablehnung zu tun: Michael Bloss, der Grünen-Experte für Luftreinhaltung im Europa-Parlament, nennt es ein „Armutszeugnis“; er sagt Nein zu diesem „Einknicken vor der Autolobby“. Zugleich lehnt auch Jens Gieseke, der CDU-Verkehrsexperte im Europaparlament, das Vorhaben strikt ab, will dieses „falsche Signal“und die „Verschärfung der Grenzwerte durch die Hintertür“unbedingt verhindern. Wenn es dem einen nicht weit genug geht, dem anderen zu weit, hat dann also nicht die EU-Kommission den goldenen Mittelweg gefunden?
Breton jedenfalls ist sich sicher, eine „extrem wichtige Transformation“auf den Tisch gelegt zu haben. Seine Hauptmotivation: „Wir sprechen über die Luftqualität.“Die Luft sei nach wie vor derart stark belastet, dass pro Jahr rund 70.000 Menschen in Europa deswegen vorzeitig ihr Leben ließen. Und daher will die Kommission die Grenzwerte der derzeit geltenden Euro-6-Norm verbreitern, vertiefen und verstetigen: 60 Milligramm Stickoxid je Kilometer sollen nicht nur für Benziner, sondern auch für Diesel (bislang 80 Milligramm) gelten, die Einhaltung auch bei starkem Frost, großer Hitze und kurzen Strecken vorgeschrieben werden. Für Lkw und Busse sollen ebenfalls Verschärfungen kommen und die Lebenszyklen der Fahrzeuge mehr in den Blick genommen werden. Schließlich, so Breton, würden Fahrzeuge nach ihrer Erstnutzung oft ein zweites, vor allem in Osteuropa sogar drittes oder viertes Leben vor sich haben.
Was also ab Mitte 2025 für neue Pkw und neue Vans Zulassungsvoraussetzung ist, soll auch noch gelten, wenn sie alt geworden sind. Statt bisher fünf Jahre und 100.000 Kilometer müssen die Grenzwerte nun mindestens zehn Jahre und 200.000 Kilometer eingehalten werden. Und erstmals bezieht die Kommission auch Elektrofahrzeuge mit ein. Denn für das tückische Mikroplastik und den gefährlichen Feinstaub, der durch Brems- und Reifenabrieb entsteht, sind auch sie mitverantwortlich – wegen der schweren Antriebsbatterie an Bord oft sogar noch mehr als Benziner. Längst tüfteln Autohersteller und Zulieferer an besseren Reifenzusammensetzungen und am Absaugen von Partikeln. Das will die Kommission bereits in die neue Norm integrieren und hier auch Grenzwerte vorgeben.
Zudem will Breton – gleichsam im Vorbeifahren – auch Vorbehalte gegenüber E-Fahrzeugen minimieren, indem er die Haltbarkeit der Elektrotechnik mit aufnimmt: Nach fünf Jahren oder 100.000 gefahrenen Kilometern, soll die Batterie noch mindestens 80 Prozent ihrer Qualität haben müssen. Durch das komplette Paket könnten nach Kommissionsberechnungen die Stickoxidemissionen durch Autos bis 2035 um 35 Prozent, bei Lkw und Bussen um 50 Prozent sinken. Auf der anderen Seite erwartet Breton, dass sich Pkw durch die dafür nötigen Maßnahmen um 120 Euro und Lkw um 2700 Euro verteuern.
Für die Grünen macht die EU aus Sicht von Bloss mit „diesem unambitionierten Vorschlag“den Weg frei für „dreckigere Produkte von überall“, statt auf Innovation zu setzen. Weil es keine neuen Standards für Pkw gebe, nehme die Kommission der europäischen Autoindustrie einen weiteren Wettbewerbsvorteil gegenüber China.
Das sieht die Autoindustrie selbst deutlich anders. Bereits mit Euro 6 verfüge die EU über die „umfassendsten und strengsten Standards der Welt“, hält der Verband europäischer Automobilhersteller (Acea) fest. Verbandspräsident Oliver Zipse, Vorstandschef von BMW, etwa sieht den Umweltnutzen des Kommissionsvorschlags als „sehr gering“an, während die Fahrzeugkosten dadurch „sehr erhöht“würden. Euro 7 konzentriere sich auf extreme Fahrbedingungen, die kaum einen realen Bezug hätten. Der Vorschlag falle für Lkw „besonders hart“aus und vernachlässige vollständig die sich schnell beschleunigende Umstellung auf emissionsfreie Fahrzeuge. Um die Vorgaben erfüllen zu können, müssten Lkw-Bauer „erhebliche technische und finanzielle Ressourcen von Batterie- und Brennstoffzellen.Elektrofahrzeugen zurück zum Verbrennungsmotor verlagern“, klagt Zipse. Zum Vorschlag der Kommission werden jetzt sowohl das Parlament als auch der Rat der Regierungen eigene Positionen entwickeln.