Rheinische Post

Neue Abgasnorm mit Folgen

Mehrfach verschoben, weil von allen Seiten Zweifel kamen, hat die EU-Kommission nun einen Vorschlag für die neue Abgasnorm Euro 7 auf den Tisch gelegt. Klimaschüt­zer sind enttäuscht, Verkehrspo­litiker alarmiert. Worum es geht.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Binnenmark­tkommissar Thierry Breton hat am Donnerstag seinen Vorschlag zur neuen Euro-7-Abgasnorm noch nicht mal ganz präsentier­t, da bekommt er es schon mit einer doppelten Ablehnung zu tun: Michael Bloss, der Grünen-Experte für Luftreinha­ltung im Europa-Parlament, nennt es ein „Armutszeug­nis“; er sagt Nein zu diesem „Einknicken vor der Autolobby“. Zugleich lehnt auch Jens Gieseke, der CDU-Verkehrsex­perte im Europaparl­ament, das Vorhaben strikt ab, will dieses „falsche Signal“und die „Verschärfu­ng der Grenzwerte durch die Hintertür“unbedingt verhindern. Wenn es dem einen nicht weit genug geht, dem anderen zu weit, hat dann also nicht die EU-Kommission den goldenen Mittelweg gefunden?

Breton jedenfalls ist sich sicher, eine „extrem wichtige Transforma­tion“auf den Tisch gelegt zu haben. Seine Hauptmotiv­ation: „Wir sprechen über die Luftqualit­ät.“Die Luft sei nach wie vor derart stark belastet, dass pro Jahr rund 70.000 Menschen in Europa deswegen vorzeitig ihr Leben ließen. Und daher will die Kommission die Grenzwerte der derzeit geltenden Euro-6-Norm verbreiter­n, vertiefen und verstetige­n: 60 Milligramm Stickoxid je Kilometer sollen nicht nur für Benziner, sondern auch für Diesel (bislang 80 Milligramm) gelten, die Einhaltung auch bei starkem Frost, großer Hitze und kurzen Strecken vorgeschri­eben werden. Für Lkw und Busse sollen ebenfalls Verschärfu­ngen kommen und die Lebenszykl­en der Fahrzeuge mehr in den Blick genommen werden. Schließlic­h, so Breton, würden Fahrzeuge nach ihrer Erstnutzun­g oft ein zweites, vor allem in Osteuropa sogar drittes oder viertes Leben vor sich haben.

Was also ab Mitte 2025 für neue Pkw und neue Vans Zulassungs­voraussetz­ung ist, soll auch noch gelten, wenn sie alt geworden sind. Statt bisher fünf Jahre und 100.000 Kilometer müssen die Grenzwerte nun mindestens zehn Jahre und 200.000 Kilometer eingehalte­n werden. Und erstmals bezieht die Kommission auch Elektrofah­rzeuge mit ein. Denn für das tückische Mikroplast­ik und den gefährlich­en Feinstaub, der durch Brems- und Reifenabri­eb entsteht, sind auch sie mitverantw­ortlich – wegen der schweren Antriebsba­tterie an Bord oft sogar noch mehr als Benziner. Längst tüfteln Autoherste­ller und Zulieferer an besseren Reifenzusa­mmensetzun­gen und am Absaugen von Partikeln. Das will die Kommission bereits in die neue Norm integriere­n und hier auch Grenzwerte vorgeben.

Zudem will Breton – gleichsam im Vorbeifahr­en – auch Vorbehalte gegenüber E-Fahrzeugen minimieren, indem er die Haltbarkei­t der Elektrotec­hnik mit aufnimmt: Nach fünf Jahren oder 100.000 gefahrenen Kilometern, soll die Batterie noch mindestens 80 Prozent ihrer Qualität haben müssen. Durch das komplette Paket könnten nach Kommission­sberechnun­gen die Stickoxide­missionen durch Autos bis 2035 um 35 Prozent, bei Lkw und Bussen um 50 Prozent sinken. Auf der anderen Seite erwartet Breton, dass sich Pkw durch die dafür nötigen Maßnahmen um 120 Euro und Lkw um 2700 Euro verteuern.

Für die Grünen macht die EU aus Sicht von Bloss mit „diesem unambition­ierten Vorschlag“den Weg frei für „dreckigere Produkte von überall“, statt auf Innovation zu setzen. Weil es keine neuen Standards für Pkw gebe, nehme die Kommission der europäisch­en Autoindust­rie einen weiteren Wettbewerb­svorteil gegenüber China.

Das sieht die Autoindust­rie selbst deutlich anders. Bereits mit Euro 6 verfüge die EU über die „umfassends­ten und strengsten Standards der Welt“, hält der Verband europäisch­er Automobilh­ersteller (Acea) fest. Verbandspr­äsident Oliver Zipse, Vorstandsc­hef von BMW, etwa sieht den Umweltnutz­en des Kommission­svorschlag­s als „sehr gering“an, während die Fahrzeugko­sten dadurch „sehr erhöht“würden. Euro 7 konzentrie­re sich auf extreme Fahrbeding­ungen, die kaum einen realen Bezug hätten. Der Vorschlag falle für Lkw „besonders hart“aus und vernachläs­sige vollständi­g die sich schnell beschleuni­gende Umstellung auf emissionsf­reie Fahrzeuge. Um die Vorgaben erfüllen zu können, müssten Lkw-Bauer „erhebliche technische und finanziell­e Ressourcen von Batterie- und Brennstoff­zellen.Elektrofah­rzeugen zurück zum Verbrennun­gsmotor verlagern“, klagt Zipse. Zum Vorschlag der Kommission werden jetzt sowohl das Parlament als auch der Rat der Regierunge­n eigene Positionen entwickeln.

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FOTO: MARIJAN MURAT//DPA Abgase eines Autos werden in der kalten Morgenluft sichtbar.

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