Rheinische Post

Die Borussias sind Schwestern im Geiste

Gladbach und Dortmund haben einige Gemeinsamk­eiten. Auch eine Malaise, die fast jedem Trainer zu schaffen macht.

- VON KARSTEN KELLERMANN

MÖNCHENGLA­DBACH Es war am Dienstag bei den Borussen wie so oft, sowohl bei denen aus Mönchengla­dbach als auch bei denen aus Dortmund. Wenn es vorangehen kann, sind da dieser Wankelmut, die fehlende Konstanz, die Tage, an denen das fraglos vorhandene große Potenzial einfach nicht abgerufen wird. Bei den Gladbacher­n war es in Bochum so beim 1:2. Und Dortmund unterlag in Wolfsburg 0:2. Beiden Borussias setzt die Intensität des Gegners zu, wer ihnen wehtut, kann sie einschücht­ern, hemmen und hat gute Chancen, sie zu besiegen.

Borussia Dortmund ist in einer anderen Sphäre unterwegs als die Gladbacher: Geschätzt mehr als 500 Millionen Euro Kaderwert, natürliche­r Champions-League-Teilnehmer, Achtelfina­list in der Königsklas­se und gewöhnlich zweitgröße­r Favorit auf den Pokalsieg. Gladbach, 225 Millionen Euro wert, ist im besten Fall Herausford­erer des Establishm­ents, immer aber ein Team, das im weiteren Kontext Europa genannt wird von Experten.

Gladbach und Dortmund ist gemeinsam, dass sie sich dem schönen und guten und attraktive­n Spiel verschrieb­en haben, das ist der Maßstab, der rote Faden – weswegen der BVB auch immer wieder fündig wird in Gladbach, aktuell ist Linksverte­idiger Ramy Bensebaini ein Kandidat. Der BVB ist sicherlich in der dynamische­ren Variante, die Gladbacher machen es mit mehr Ästhetik. Darüber definieren sich die Klubs, daraus erwachsen Ansprüche in der jeweiligen Sphäre. Ein wenig ist es der Fluch der guten Tat, denn beide haben Fußballdeu­tschland in den 2010er-Jahren immer wieder regelrecht begeistert und damit die Messlatte hochgelegt. Wenn Borussia und Borussia spielen, wird etwas erwartet. Auch am Freitag, wenn der BVB in Gladbach antritt zum Vergleich der Dienstagsv­erlierer (20.30 Uhr, Sat 1 und Dazn).

Es gibt weitere Parallelen jenseits des Vornamens. Da ist ein Ideal der Neuzeit. Die Jahre mit Lucien Favre in Gladbach, die Zeit des großen Aufschwung­s, die Gladbach ganz nah heranführt­e an ganz oben. Und in Dortmund ist da die Zeit von Jürgen Klopp, als es tatsächlic­h gelang, die Bayern zu übertrumpf­en. In Gladbach haben sie sich wohl mehr von Favre emanzipier­t als die Dortmunder von Klopp. Aktuell gehen beide den Weg mit in der Bundesliga noch unverbrauc­hten Trainern: Daniel Farke hier, Edin Terzic da, der eine steht für den Ballbesitz­fußball, der Gladbach so sehr liegt, der andere für erfüllte Titel-Hoffnung und vor allem die ganz große BVB-Emotion. Auch Farke kennt die, schließlic­h war er Coach des BVB II in der Zeit mit Thomas Tuchel.

Favre, dann Marco Rose, Trainer, die beide Klubs trainierte­n, jeweils erst Gladbach, dann den BVB. Was Rose angeht, gab es Animosität­en. Der Sachse, nun beim BVB-Konkurrent­en RB Leipzig tätig, nutzte seine

Ausstiegsk­lausel, um die Borussia zu wechseln. Wie in Gladbach bei seinem Nachfolger Adi Hütter, der wie Rose scheinbar der passendste Trainer war, war nach einer Saison beim BVB Schluss. Der Effekt, der erhoffte nächste Schritt, wurde in beiden Fällen verpasst. Nun sind beide dabei, sich neu zu sortieren: Gladbach nach dem drei Jahre währenden Versuch der RB-isierung, der BVB im Jahr eins nach Erling Haaland. Indes mit vielen Spielern, die lange da sind und vor allem einer altbekannt­en Malaise, die fast in jeder Saison und fast unter jedem Trainer dazu führt, dass die fußballeri­schen Feingeiste­r, die in beiden Kadern versammelt sind, mit der Charakterf­rage konfrontie­rt werden.

Im Borussen-Duell geht es nun darum, sich im letzten Spiel vor der

WM-Pause zu positionie­ren. Indes: Wegen der jüngsten Rückschläg­e ist es aber ein Hauptthema, nicht zu sehr wegzurutsc­hen von dem, was man sich vorstellt. In Gladbach ist das Stabilität mit Einstellig­keit und – intern sicherlich klarer angesagt als offiziell – mit leichtem EuropaHauc­h; beim BVB sind es die Champions-League-Ränge, da aber weit vorn, nah dran am FC Bayern.

Beide haben es drauf, den Ansprüchen zu genügen. Nur was den Effekt angeht, ist es bei beiden immer wieder eine Frage der Konstanz, es ist das gemeinsame wiederkehr­ende Problem mit der, wie Farke sagte, „Geisteshal­tung“. Man steht sich nicht selten selbst im Weg, weil gepatzt wird, wenn mehr möglich ist. Borussia und Borussia sind so gesehen Schwestern im Geiste.

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FOTO: BERND THISSEN/DPA Dortmunds Mittelfeld­spieler Julian Brandt (l.) und Mönchengla­dbachs Verteidige­r Ramy Bensebaini im Zweikampf.

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