Wie politisch sind Haare?
Angesichts der aktuellen Ereignisse im Iran lohnt sich ein Blick in die Geschichte.
Seit dem Tod der 22-jährigen Masha Jina Amani Mitte September finden im Iran große Proteste gegen die Regierung statt. Wegen jahrelanger Repression geht die Bevölkerung auf die Straße, wo viele sich öffentlich die Haare abschneiden. Um Solidarität mit der iranischen Bevölkerung zu bekunden, tun es ihnen weltweit Prominente, Politikerinnen und Politiker und Demonstrierende gleich. Doch wozu das Ganze?
Für viele iranische Frauen ist das Haar ein Zeichen von Schönheit, das in der Islamischen Republik durch einen Hijab bedeckt werden muss. In der Geschichte des Irans haben sich Frauen die Haare abgeschnitten, um sich zur Wehr zu setzen. Es ist ein Symbol der Rebellion und der Selbstbestimmung gegen das Patriarchat. Das Abschneiden der Haare geht auf das iranische Nationalepos „Shahnameh“zurück. Dort wird das Haar zerrissen oder abgeschnitten, um Trauer und Verlust zu zeigen.
Auch in der europäischen Literatur des Mittelalters wird das Raufen, Abreißen und Abschneiden der Haare als performativer Akt der Verzweif
lung und des Verlustes beschrieben.
Das Abschneiden der Haare kann jedoch auch zum Ausdruck von sozialer Kontrolle werden und Einordnung und Disziplinierung vermitteln. Im Militärdienst, im Gefängnis oder im Rahmen der Askese unterschiedlicher Mönchsgruppen wird das Haar geschnitten, geschoren oder vollständig rasiert. Umgekehrt waren die langen Haare
der Hippies in den 1970ern ein Ausdruck von Rebellion und Protest. Junge Menschen, die während des Vietnamkriegs ihre Haare lang wachsen ließen, haben damit nicht nur den ordentlich gepflegten Frisuren ihrer Eltern getrotzt, sondern auch ein politisches Statement gesetzt.
Haare sind also weitaus mehr als bloß ein Kopfschmuck mit biologischer Funktion.