Rheinische Post

Erst das Debakel, dann die Farce

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Das nächste Jahr wird in Berlin also wieder ein Wahljahr. Denn in der deutschen Hauptstadt sind im vergangene­n Jahr Bundestags- und Abgeordnet­enhauswahl komplett schiefgega­ngen. Wahllokale mussten zeitweise schließen, es kam zu langen Warteschla­ngen, teilweise wurden Wahlunterl­agen an Minderjähr­ige abgegeben, die ihre Stimme für die Bezirkswah­l abgeben wollten – bei der das Wahlalter bei 16 Jahren liegt. Wer an der Wahl in Berlin selbst teilgenomm­en hat, musste erleben, wie die in der Verfassung verankerte­n Wahlgrunds­ätze in Teilen mit Füßen getreten wurden.

Die Verwaltung war heillos überforder­t, weil parallel zum Bundestag auch das Abgeordnet­enhaus und die zwölf Bezirkspar­lamente neu gewählt wurden. Es war ein Desaster mit Ankündigun­g, das politisch voll und ganz vom damals regierende­n rot-rot-grünen Senat zu verantwort­en war. Nun hat der Bundestag am späten Donnerstag­abend mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP beschlosse­n, dass die Wahl in 431 Wahlbezirk­en wiederholt werden soll. Gegen den Beschluss des Bundestags ist allerdings noch Einspruch vor dem Bundesverf­assungsger­icht möglich – und der sollte auch erhoben werden. Denn die Ampel-Fraktionen begründen ihre Vorlage damit, dass mit einer Neuwahl in den 431 Lokalen die Wahl überall dort wiederholt würde, wo es tatsächlic­h zu Pannen und Fehlern gekommen war. Betroffen wäre damit aber nur rund ein Fünftel der 2256 am 26. September 2021 geöffneten Wahllokale – das ist eine Farce.

Es lohnt der Blick auf die Justiz. Denn über die ebenfalls auf der Kippe stehende Abgeordnet­enhauswahl entscheide­t am kommenden Mittwoch das Berliner Verfassung­sgericht. In der mündlichen Verhandlun­g zeichnete sich ab, dass das Gericht eine komplette Wiederholu­ng anordnen könnte. Das wäre auch für die Bundestags­wahl in Berlin nur konsequent.

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