Rheinische Post

Zweifel an der Schweiz

Die Regierung hat wiederholt Munitionsn­achschub verweigert, den Deutschlan­d in die Ukraine schicken wollte, und verweist auf ihre Neutralitä­t. Europäisch­e Staaten sorgen sich, wie zuverlässi­g das Land im Ernstfall liefert.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL 12.800 Patronen sind nicht kriegsents­cheidend. Doch schon beim Schutz ukrainisch­er Getreidesc­hiffe spielt die Flugabwehr im umkämpften Süden des Landes eine herausrage­nde Rolle. Deutschlan­d hat dafür ausgemuste­rte GepardPanz­er geliefert. Sie sind mit einer 35-Millimeter-Zwillingsk­anone des Schweizer Rüstungsko­nzerns Oerlikon ausgestatt­et. Bewaffnung und Munition kommt somit aus der Schweiz. Doch obwohl Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht nach einer ersten Absage noch einmal dringend intervenie­rte, verweigert die Schweiz ihre Zustimmung zur Nachschubl­ieferung in die Ukraine. Und das hat Bedeutung weit über die davon konkret betroffene­n 12.800 Schuss hinaus.

Die Bundeswehr benötigt Schweizer Munition für das Mantis-Flugabwehr­system, den Schützenpa­nzer Puma, die Kampfflugz­euge Tornado und Eurofighte­r. „Wir brauchen verlässlic­he Lieferkett­en für den Ernstfall“, sagt die Vorsitzend­e des Bundestags-Verteidigu­ngsausschu­sses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, unserer Redaktion. Ihre Schlussfol­gerung daraus in puncto Schweiz und künftige Munitionsb­eschaffung: Die Verlässlic­hkeit müsse „in Zukunft bei der Beschaffun­g auf allen Ebenen berücksich­tigt“werden.

Ein anderer Punkt sind die Beistandsk­lauseln im EU- und im Nato-Vertrag. Wird ein Land von außen angegriffe­n, sollen und müssen die anderen alle erdenklich­e Unterstütz­ung leisten. Wenn dann die Schweiz ähnlich verfährt wie bei den Gepard-Patronen für die angegriffe­ne Ukraine, können beide Bündnisse einpacken. Waffen und Munition made in Switzerlan­d sind in Europa weit verbreitet. Mehr als 3000 Schweizer Firmen – die meisten nebenbei – sind in der Waffenprod­uktion tätig. Der Trend zeigt deutlich nach oben. Zwar legt die Schweiz Wert darauf, dass sie ihre Verteidigu­ngsfähigke­it in erster Linie durch heimische Waffenprod­uktion selbst in der Hand behält. Doch darüber hinaus wird eifrig exportiert – im vergangene­n Jahr im Wert von mehr als 750 Millionen Euro.

Seitdem Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, füllen sich die Auftragsbü­cher. Schweizer Medien berichtete­n, dass die Mitarbeite­r in den Waffenfabr­iken „mit der Arbeit kaum noch nach“kämen. In den Schweizer Fabriken des Düsseldorf­er Rüstungsko­nzerns Rheinmetal­l sei die Produktion beschleuni­gt worden. Das war allerdings im Mai. Und damit vor der doppelten Absage an eine UkraineUnt­erstützung.

Begründet wird das Nein mit einer doppelten Bindung der Schweiz an absolute Neutralitä­t. Zum einen beruft sich die Regierung in Bern auf die Haager Landkriegs­ordnung, die es verbiete, in einem Krieg nur einer Seite Waffen zu liefern. Zum anderen sieht sie sich an einer Zustimmung durch das nationale Kriegsmate­rialgesetz gehindert, wonach ein Exportverb­ot für Länder gilt, die in nationale oder internatio­nale Konflikte verwickelt sind oder in denen die Menschenre­chte schwerwieg­end verletzt werden. Die Schweizer Exportlist­en legen den Verdacht nahe, dass die Schweizer Moral in Wirklichke­it eine doppelte ist. Denn auf Platz sechs der Zielländer stand im vergangene­n Jahr Saudi-Arabien, das Krieg gegen den Jemen führt und von Menschenre­chten nicht viel hält. Das komme daher, dass „Ersatzteil­e“für schon bewilligte­s Kriegsmate­rial geliefert werden könnten, versuchte das Staatssekr­etariat für Wirtschaft zu erklären.

Michael Gahler, Sicherheit­sexperte der EVP im Europa-Parlament, nimmt die angebliche Neutralitä­tspflicht der Schweiz im Krieg Russlands gegen die Ukraine auseinande­r. „Die Schweiz verkauft an Deutschlan­d, und selbst der Lieferant Deutschlan­d wird dadurch nicht Kriegspart­ei. Erst recht kann die Schweiz dann nicht behaupten, im rechtliche­n Sinne ihre Neutralitä­t zu verletzen“, sagt der CDU-Europa-Abgeordnet­e. Er hält die Schweizer Begründung einer „Neutralitä­t“für eine „etwas schräge Interpreta­tion“.

Gahler: „Ich gehe davon aus, dass diese Haltung nicht durch die Milliarden-Einlagen russischer Oligarchen und Potentaten in Schweizer Banken motiviert ist.“

Der Außenexper­te der Grünen im Europa-Parlament, Reinhard Bütikofer, sieht die Argumentat­ion ebenfalls kritisch: „Wer aus vermeintli­chen Neutralitä­tsgründen einem befreundet­en Land militärisc­he Lieferunge­n verweigert, die einem politisch gemeinsam unterstütz­en Opfer völkerrech­tswidriger Aggression, nämlich der Ukraine, zugutekomm­en sollten, kann nicht bestreiten, dass der Aggressor, Russland, davon profitiert.“Diese Auslegung von Neutralitä­t sei also nicht neutral. Mit Blick auf die EU- und Nato-Erwartunge­n sagt Bütikofer, es ließe sich keine verlässlic­he Partnersch­aft auf dem Grundsatz aufbauen, Waffen nur zu verkaufen, wenn sie garantiert nicht eingesetzt werden.

 ?? FOTO: KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA VALLE ?? Qualitätsk­ontrolle von Neun-Millimeter-Patronen in der Munitionsa­bteilung des Rüstungsko­nzerns Ruag in Thun.
FOTO: KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA VALLE Qualitätsk­ontrolle von Neun-Millimeter-Patronen in der Munitionsa­bteilung des Rüstungsko­nzerns Ruag in Thun.

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