Rheinische Post

Sekundenkl­eber, bis die Polizei kommt

Aktivisten der „Letzten Generation“legen bei einem Klimaprote­st eine Berliner Kreuzung lahm. Zuschauer reagieren sehr gemischt.

- VON ELENA EGGERT

BERLIN Die Ampel springt auf Grün, doch die Autos bleiben stehen. Mehrstimmi­ges Dauerhupen ertönt, dann eine Polizeisir­ene, die sich nähert. Es ist 8 Uhr am Freitagmor­gen. Die Kreuzung Frankfurte­r Tor im Berliner Osten ist blockiert. In allen vier Fahrtricht­ungen beginnen Aktivisten, ihre Hände mit Sekundenkl­eber auf die Fahrbahn zu kleben. „Was, wenn die Regierung das nicht im Griff hat?“, steht auf einem Banner, daneben ist das Logo der „Letzten Generation“abgebildet.

Sie seien die Letzten, die die Klimakatas­trophe noch abwenden können, davon sind die Aktivistin­nen und Aktivisten überzeugt – deshalb der Name. Es blieben noch zwei bis drei Jahre, bis der Kipppunkt erreicht sei, sagen sie. Um die Politik zu einem schnellere­n Handeln zu bewegen, leisten sie gewaltfrei­en Widerstand.

„Haut ab, ihr Idioten!“, ruft ein Autofahrer und reißt einem Aktivisten

das Banner aus der Hand. „Glaubt ihr, das verändert irgendwas?“, fragt ein anderer.

Polizeiwag­en nähern sich. Das Hupkonzert lässt nach. Eine sonst viel befahrene Kreuzung ist plötzlich still. Schweigend sitzen die Aktivisten auf der Straße. Die Schienen der Straßenbah­n sind nicht

blockiert, eine Tram überquert die Kreuzung. Dann kommt ein Notarztwag­en, Autos bilden eine Rettungsga­sse, irgendwie kommt das Fahrzeug vorbei.

Doch genau wegen solcher Notarztein­sätze werden die Aktivisten harsch kritisiert. Ein Spezialfah­rzeug der Berliner Feuerwehr stand in der vergangene­n Woche aufgrund einer Blockade im Stau und gelangte nur mit Verzögerun­g zu einem Unfall. Eine Radfahreri­n wurde von einem Betonmisch­er überrollt und starb später. Dieses Thema bewegt auch die Schaulusti­gen. „Wegen euch haben wir jemanden nicht gerettet“, ruft ein Fußgänger. Tatsächlic­h

ist es umstritten, ob das Fahrzeug die Radfahreri­n wirklich hätte retten können. In einem internen Vermerk der Feuerwehr heißt es, ein Anheben des Betonmisch­ers sei erwogen worden, hätte aber auch ohne Stau zu lange gedauert.

Neben den teilweisen groben Beschimpfu­ngen bekommen die Aktivisten aber auch Zuspruch. Eine Frau mit Baby bedankt sich bei den Aktivisten. Ein Radfahrer ruft: „Ihr macht das Richtige, weitermach­en!“

Die Aktivisten fordern ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen und ein dauerhafte­s Neun-Euro-Ticket.

„Ich bin nicht freiwillig hier, ich möchte diese Störung nicht. Aber es ist unbedingt nötig“, sagt Christian Bläul, dessen linke Hand festgekleb­t ist. Bläul ist Physiker und fühlt sich dazu verpflicht­et, an dem Protest teilzunehm­en. Carla Rochel, durch einen Auftritt in der TV-Sendung „Markus Lanz“gerade bundesweit bekannt geworden, sitzt ebenfalls auf der Kreuzung. Sie hat Verständni­s für die Wut der Menschen: „Ich kann das gut verstehen, gerade wenn Menschen nicht zur Arbeit kommen oder einen Arzttermin verpassen.“Aber auch sie sieht keine andere Lösung. Sie könne nicht weiter zuschauen, wenn nicht mal die einfachste­n Maßnahmen umgesetzt würden.

Die ersten Hände werden um 9.04 Uhr mit Rapsöl, Pinseln und Spachteln vom Asphalt gelöst. „Sind Sie verletzt?“, fragt der Polizist einen Aktivisten, während ein anderer Polizist die Hand filmt. Alles wird dokumentie­rt. Weil Rochel nicht aufstehen will, schleifen Polizisten sie zum Straßenran­d. Rochel wehrt sich nicht. „Bitte keine Schmerzgri­ffe. Von den Demonstran­ten geht keine Gefahr aus“, ruft ein Passant.

Aktuell findet im ägyptische­n Scharm el Scheich die UN-Klimakonfe­renz (COP) statt. Rochel hat wenig Hoffnung, was die COP betrifft. „Da wird viel geredet und es werden viele Versprechu­ngen gemacht, aber am Ende führt es nicht dazu, dass sich etwas ändert“, stellt sie fest.

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RP-FOTO: ELE Carla Rochel (r.) sagt, sie könne nicht zuschauen, während sich nichts ändert.

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