Sekundenkleber, bis die Polizei kommt
Aktivisten der „Letzten Generation“legen bei einem Klimaprotest eine Berliner Kreuzung lahm. Zuschauer reagieren sehr gemischt.
BERLIN Die Ampel springt auf Grün, doch die Autos bleiben stehen. Mehrstimmiges Dauerhupen ertönt, dann eine Polizeisirene, die sich nähert. Es ist 8 Uhr am Freitagmorgen. Die Kreuzung Frankfurter Tor im Berliner Osten ist blockiert. In allen vier Fahrtrichtungen beginnen Aktivisten, ihre Hände mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn zu kleben. „Was, wenn die Regierung das nicht im Griff hat?“, steht auf einem Banner, daneben ist das Logo der „Letzten Generation“abgebildet.
Sie seien die Letzten, die die Klimakatastrophe noch abwenden können, davon sind die Aktivistinnen und Aktivisten überzeugt – deshalb der Name. Es blieben noch zwei bis drei Jahre, bis der Kipppunkt erreicht sei, sagen sie. Um die Politik zu einem schnelleren Handeln zu bewegen, leisten sie gewaltfreien Widerstand.
„Haut ab, ihr Idioten!“, ruft ein Autofahrer und reißt einem Aktivisten
das Banner aus der Hand. „Glaubt ihr, das verändert irgendwas?“, fragt ein anderer.
Polizeiwagen nähern sich. Das Hupkonzert lässt nach. Eine sonst viel befahrene Kreuzung ist plötzlich still. Schweigend sitzen die Aktivisten auf der Straße. Die Schienen der Straßenbahn sind nicht
blockiert, eine Tram überquert die Kreuzung. Dann kommt ein Notarztwagen, Autos bilden eine Rettungsgasse, irgendwie kommt das Fahrzeug vorbei.
Doch genau wegen solcher Notarzteinsätze werden die Aktivisten harsch kritisiert. Ein Spezialfahrzeug der Berliner Feuerwehr stand in der vergangenen Woche aufgrund einer Blockade im Stau und gelangte nur mit Verzögerung zu einem Unfall. Eine Radfahrerin wurde von einem Betonmischer überrollt und starb später. Dieses Thema bewegt auch die Schaulustigen. „Wegen euch haben wir jemanden nicht gerettet“, ruft ein Fußgänger. Tatsächlich
ist es umstritten, ob das Fahrzeug die Radfahrerin wirklich hätte retten können. In einem internen Vermerk der Feuerwehr heißt es, ein Anheben des Betonmischers sei erwogen worden, hätte aber auch ohne Stau zu lange gedauert.
Neben den teilweisen groben Beschimpfungen bekommen die Aktivisten aber auch Zuspruch. Eine Frau mit Baby bedankt sich bei den Aktivisten. Ein Radfahrer ruft: „Ihr macht das Richtige, weitermachen!“
Die Aktivisten fordern ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen und ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket.
„Ich bin nicht freiwillig hier, ich möchte diese Störung nicht. Aber es ist unbedingt nötig“, sagt Christian Bläul, dessen linke Hand festgeklebt ist. Bläul ist Physiker und fühlt sich dazu verpflichtet, an dem Protest teilzunehmen. Carla Rochel, durch einen Auftritt in der TV-Sendung „Markus Lanz“gerade bundesweit bekannt geworden, sitzt ebenfalls auf der Kreuzung. Sie hat Verständnis für die Wut der Menschen: „Ich kann das gut verstehen, gerade wenn Menschen nicht zur Arbeit kommen oder einen Arzttermin verpassen.“Aber auch sie sieht keine andere Lösung. Sie könne nicht weiter zuschauen, wenn nicht mal die einfachsten Maßnahmen umgesetzt würden.
Die ersten Hände werden um 9.04 Uhr mit Rapsöl, Pinseln und Spachteln vom Asphalt gelöst. „Sind Sie verletzt?“, fragt der Polizist einen Aktivisten, während ein anderer Polizist die Hand filmt. Alles wird dokumentiert. Weil Rochel nicht aufstehen will, schleifen Polizisten sie zum Straßenrand. Rochel wehrt sich nicht. „Bitte keine Schmerzgriffe. Von den Demonstranten geht keine Gefahr aus“, ruft ein Passant.
Aktuell findet im ägyptischen Scharm el Scheich die UN-Klimakonferenz (COP) statt. Rochel hat wenig Hoffnung, was die COP betrifft. „Da wird viel geredet und es werden viele Versprechungen gemacht, aber am Ende führt es nicht dazu, dass sich etwas ändert“, stellt sie fest.