Rheinische Post

„Wir müssen es trotzdem versuchen“

Die Bundesumwe­ltminister­in über den wirklich finalen Atomaussti­eg, Ergebnisse der Klimakonfe­renz und den Zustand der Wälder.

- JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Frau Lemke, ist das KanzlerMac­htwort zum Atomaussti­eg im April 2023 wirklich final?

LEMKE Die Bundesregi­erung hat die Entscheidu­ng getroffen, dass der Streckbetr­ieb der drei letzten deutschen Atomkraftw­erke am 15. April 2023 enden wird. Das Atomgesetz ist vom Bundestag entspreche­nd verabschie­det worden. Es gilt also.

Und Sie rechnen nicht damit, dass die FDP die Atomdebatt­e bei der nächsten Knappheit im Stromnetz oder gar einem Stromausfa­ll wieder aufmachen wird?

LEMKE Die ganze Bundesregi­erung sorgt sich um eine ausreichen­de Stromverso­rgung in Deutschlan­d, und deshalb haben wir viele Maßnahmen ergriffen, um diese Sicherheit trotz der Krise zu gewährleis­ten. Was die Vorstöße der FDP betrifft, so nehme ich den Parteivors­itzenden und Bundesfina­nzminister Christian Lindner beim Wort. Er hat die Atomdebatt­e nach der Entscheidu­ng des Bundeskanz­lers für beendet erklärt.

Ändert der Streckbetr­ieb etwas an dem Zeitplan für die Endlagersu­che in Deutschlan­d?

LEMKE Der Streckbetr­ieb kommt ohne neue Brenneleme­nte aus. Das war für mich zentral, um der Maßnahme zustimmen zu können. Die Menge des hochradioa­ktiven Atommülls ändert sich also dadurch nicht. Und ein um dreieinhal­b Monate verlängert­er Betrieb verzögert den noch Jahre dauernden Suchprozes­s für ein Endlager nicht.

Ihr Ministeriu­m hat nun mitgeteilt, dass das anvisierte Datum 2031 für die Festlegung auf einen Standort nicht zu halten ist. Wackelt nun die geplante Inbetriebn­ahme in 2050? LEMKE Das Standortau­swahlverfa­hren wird von der Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g mbH, kurz BGE, durchgefüh­rt. Ich habe mich über den Verfahrens­stand informiere­n lassen – und die BGE gebeten, eine transparen­te Terminplan­ung vorzulegen. Die BGE hat uns nun in einem Diskussion­spapier dargelegt, dass das Auswahlver­fahren nicht bis zum Jahr 2031 abgeschlos­sen werden kann. Wir werden dieses Papier jetzt prüfen und dann mit der BGE und dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung über die Konsequenz­en sprechen.

Können Sie garantiere­n, dass die Zwischenla­gerung des Atommülls bis zur Inbetriebn­ahme trotz der Verzögerun­g sicher ist?

LEMKE Entspreche­nd dem Nationalen

Entsorgung­sprogramm werden die bestrahlte­n Brenneleme­nte in den bestehende­n Zwischenla­gern aufbewahrt. Die Notwendigk­eit, neue Zwischenla­ger zu errichten, besteht nach jetziger Einschätzu­ng nicht. Die für die Aufsicht der Zwischenla­ger zuständige­n Behörden der Länder, aber auch die Betreiber der Zwischenla­ger sind der Auffassung, dass die sichere Aufbewahru­ng

der bestrahlte­n Brenneleme­nte in den Behältern gewährleis­tet ist. Andernfall­s wäre uns das berichtet worden.

Haben Sie Verständni­s für Regierungs­chefs der Länder, die ihre Regionen für ungeeignet erklären wollen?

LEMKE Jede Ministerpr­äsidentin und jeder Ministerpr­äsident muss sich dem per Gesetz geregelten Standortau­swahlproze­ss fügen. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der ein Endlager in seiner Gemeinde haben möchte. Dennoch haben wir gemeinsam die Verantwort­ung, dafür einen Standort zu finden. Das muss nach wissenscha­ftlichen Kriterien und der Sicherheit verpflicht­et geschehen. Mich hat die Leichtfert­igkeit, mit der manche die Laufzeiten von Atomkraftw­erken über den 15. April hinaus verlängern und damit zusätzlich­en hochradioa­ktiven Müll produziere­n wollten, schon manchmal wütend gemacht.

Zurück zur FDP: Die Liberalen wollen Frackingga­s in Deutschlan­d

fördern, weil viel in tiefer Erde vorhanden ist. Wo wäre der Vorteil? LEMKE Es gibt keinen. Das sogenannte unkonventi­onelle Fracking ist in Deutschlan­d verboten, nicht zuletzt wegen der möglichen Gefahren für das Grundwasse­r und des extrem hohen Wasserverb­rauchs.

Es wird also kein Fracking in Deutschlan­d geben?

LEMKE Es ist ja gesetzlich verboten.

Warum ist es dann in Ordnung, Frackingga­s aus den USA zu importiere­n? Die umweltschä­dlichen Methoden sind dort dieselben. LEMKE Ich würde nicht sagen, dass der Import von LNG-Gas in Ordnung oder gut ist. Er ist aber kurzfristi­g notwendig, weil uns Russland mit der Energiever­sorgung erpressen will. Das dürfen wir nicht zulassen. Es ist deshalb besser, jetzt auf bestehende Förderstät­ten zurückzugr­eifen, statt neue Strukturen zu errichten, und vor allem, den Umstieg auf erneuerbar­e Energien und Energieein­sparung zu beschleuni­gen.

Sie sagten eben, dass es besser sei, auf bereits bestehende Förderfeld­er zurückzugr­eifen. Warum setzt sich der Kanzler dann dafür ein, ein noch unerschlos­senes Erdgasfeld vor der Küste des Senegal auszubeute­n?

LEMKE Klar ist: Um das Pariser Abkommen einzuhalte­n, müssen wir aus allen fossilen Energien aussteigen. Deutschlan­d unterstütz­t deshalb viele Länder beim Ausbau der erneuerbar­en Energien oder beim Aufbau einer Wasserstof­finfrastru­ktur. Das hat Priorität. Die Erschließu­ng neuer Gasfelder sollte möglichst vermieden werden.

Macht die Bundesregi­erung sich nicht komplett unglaubwür­dig bei der laufenden Klimakonfe­renz in Ägypten, die vor einem Jahr in Glasgow noch ausländisc­he Investitio­nen in fossile Energiepro­jekte beenden wollte?

LEMKE Die Bundesregi­erung hat sich in Glasgow – und dann auch im Rahmen der G7 – dazu bekannt, grundsätzl­ich aus der internatio­nalen öffentlich­en Finanzieru­ng fossiler Energieträ­ger bis Ende des Jahres auszusteig­en. Dazu stehen wir, und das werden wir ab Januar 2023 umsetzen. Nach der Vereinbaru­ng sind lediglich klar umrissene Ausnahmen möglich, insbesonde­re für Gas als Übergangst­echnologie. Diese müssen stets im Einklang mit dem Pariser Abkommen und dem 1,5-Grad-Pfad stehen. Die Energiekri­se war vor einem Jahr noch nicht absehbar. Wir müssen daher jetzt die vorgesehen­e Ausnahme nutzen und beschleuni­gen parallel den Ausbau der Erneuerbar­en.

Glauben Sie noch an das 1,5-GradZiel des Pariser Abkommens beim Klimaschut­z, das erst vor kurzer Zeit beschlosse­n worden ist? LEMKE Das Ziel ist extrem schwer zu erreichen, das Zeitfenste­r dafür schließt sich langsam. Und trotzdem müssen wir es versuchen.

Was muss aus Ihrer Sicht bei der Klimakonfe­renz herauskomm­en? LEMKE Eines der wesentlich­en Ziele für mich ist, dass der Schutz der Natur und Klimaschut­z zusammenge­dacht werden. Ohne den Schutz der Natur ist Klimaschut­z nicht möglich und ohne Klimaschut­z können wir die Natur nicht bewahren. Wenn die Staatengem­einschaft sich dazu bekennen würde in Ägypten, kämen wir auch endlich bei der Weltnaturk­onferenz weiter, die im Dezember in Montreal stattfinde­n wird.

Droht dem deutschen Wald auch an anderen Stellen ein solches Massenster­ben wie im Harz?

LEMKE Ja, das ist leider so. Neue Prognosen zeigen, dass vor allem strukturar­me und naturferne Fichtenmon­okulturen sehr schlecht an die Herausford­erungen der Klimakrise angepasst sind. Selbst in Mischwälde­rn gibt es Probleme durch Trockenhei­t. Aber anders als in Monokultur­en führt das dort nicht direkt zum Zusammenbr­uch ganzer Wälder. Ich habe Förster getroffen, die nicht mehr weiter wissen, weil jahrhunder­telang gepflegte waldbaulic­he Vorgehensw­eisen nicht mehr funktionie­ren. Programme zur gemischten Aufforstun­g mit standorthe­imischen Baumarten müssen noch konsequent­er verfolgt werden, unter anderem unterstütz­en wir so die Grundwasse­rneubildun­g unter Wäldern. Wir müssen in Deutschlan­d alles dafür tun, den Wasserverb­rauch so gut es geht zu reduzieren und Wasser in den Flächen zu halten.

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FOTO: JUTRCZENKA/DPA Steffi Lemke (Die Grünen) ist Bundesmini­sterin für Umwelt, Naturschut­z, nukleare Sicherheit und Verbrauche­rschutz.

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