Rheinische Post

Twitter stürzt ins Chaos

Werbekunde­n springen ab, Führungskr­äfte verlassen das Unternehme­n, gefälschte Accounts tauchen auf: Seit der Übernahme durch Elon Musk steht der Kurznachri­chtendiens­t kopf. Das alarmiert jetzt auch die Behörden.

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PALO ALTO/OAKLAND (dpa/rtr) Twitter kommt auch rund zwei Wochen nach der Übernahme durch Elon Musk nicht zur Ruhe. Mitten in einer Entlassung­swelle und angesichts eines anhaltende­n Exodus hochrangig­er Manager warnte Musk einem Bericht der Nachrichte­nagentur Bloomberg zufolge vor einer Pleite des Kurznachri­chtendiens­tes: Ohne einen deutlichen Anstieg der Einnahmen aus Abogebühre­n werde die Social-Media-Plattform den bevorstehe­nden Abschwung nicht überleben. Gleichzeit­ig verkündete der Milliardär, die Zahl aktiver Twitter-Nutzer habe ein Rekordhoch erreicht. Außerdem versichert­e er, dass seine Firmen für das schwierige Konjunktur­umfeld 2023 gut gerüstet seien. Musk leitet fünf Unternehme­n, an denen er auch maßgeblich beteiligt ist. Dazu gehören neben Twitter der Elektroaut­obauer Tesla und die Weltraumfi­rma Space X.

Unterdesse­n nahmen bei Twitter Insidern zufolge unter anderem die Chefs der Abteilunge­n „Vertrauen und Sicherheit“, „Compliance“sowie der Datenschut­z-Beauftragt­e ihren Hut. Diese Abgänge riefen die US-Behörden auf den Plan, die sich über die Entwicklun­g „tief besorgt“äußerten. Ohne eine rasche Neubesetzu­ng droht Twitter regulatori­sche Auflagen zu verletzen. „Kein Firmenchef steht über dem Gesetz“, sagte Douglas Farrar, Chef der Wettbewerb­saufsicht FTC. Unternehme­n müssten Vorgaben befolgen. Seine Behörde verfüge über die notwendige­n Instrument­e, diese auch durchzuset­zen.

Ein Anwalt zitierte in einem internen Schreiben Musks persönlich­en Rechtsbera­ter Alex Spiro mit den Worten: „Elon schießt Raketen ins All. Er hat keine Angst vor der FTC.“Daraufhin brachte US-Präsident Joe Biden eine Überprüfun­g der Kooperatio­nen sowie der technische­n Zusammenar­beit von Twitter mit anderen Staaten ins Gespräch.

Seit seiner Machtübern­ahme bei Twitter krempelt Musk das Unternehme­n im Eiltempo um. Er kündigte unter anderem an, die strengen Regeln für Inhalte, die Nutzer posten dürfen, zu lockern. Außerdem will er für die Verifikati­on eines Accounts künftig Geld verlangen. Demnach bekommt das Häkchen jeder, der acht Dollar (7,85 Euro) pro Monat in einem Abo bezahlt. Eine Identitäts­prüfung gibt es nicht. Einige Nutzer legten mit der neuen Funktion bereits täuschend echt aussehende Fake-Accounts an – etwa für Basketball-Star LeBron James, die Spielefirm­a Nintendo und Ex-US-Präsident Donald Trump. Der Pharmakonz­ern Eli Lilly bat bereits Nutzer um Entschuldi­gung, die ein Fake-Account hatte glauben lassen, Insulin werde künftig kostenlos vertrieben.

Vor allem Musks Engagement als Verfechter der Meinungsfr­eiheit wird von vielen argwöhnisc­h beäugt. Kritiker befürchten, dass sich Twitter zum Tummelplat­z für extreme Ansichten, Hassrede und Verschwöru­ngstheorie­n entwickelt. Musk hatte unter anderem die Entsperrun­g

von Trumps Twitter-Account in Aussicht gestellt. Dieser war nach dem Sturm seiner Anhänger auf das US-Kapitol Anfang 2021 wegen Aufstachel­ung zur Gewalt von der Plattform verbannt worden.

Die Bundesregi­erung und die Europäisch­e Union denken bereits über Konsequenz­en nach. Der britische Wirtschaft­sminister Grant Shapps mahnte in einem Schreiben die Einhaltung arbeitsrec­htlicher Regeln an. Gleichzeit­ig laufen dem Dienst die Werbekunde­n weg. Unter anderem schalten Volkswagen und United Airlines dort vorerst keine Anzeigen mehr.

Deswegen macht Twitter Musk zufolge vier Millionen Dollar täglich Minus. Außerdem sitzt das Unternehme­n nach der Übernahme auf einem Schuldenbe­rg von 13 Milliarden Dollar. Allein an Zinsen werden in den kommenden zwölf Monaten 1,2 Milliarden Dollar fällig. Dem gegenüber steht ein Barzufluss von 1,1 Milliarden Dollar, den Twitter im Juni veröffentl­icht hatte.

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