„Es fühlt sich saugut an“
Herr Plasberg, Sie haben 22 Jahre lang „Hart aber fair“moderiert und sind eines der bekanntesten Gesichter im deutschen Fernsehen. Haben Sie alles erreicht?
PLASBERG Natürlich nicht. Im Übrigen: Würde ich einen IQ-Test machen, läge das Ergebnis im mittleren Bereich. Meine Frau ist schlauer, ein Mathegenie, beim Backgammon verliere ich in Serie. Was ich aber für mich in Anspruch nehmen kann, ist eine soziale Intelligenz. Ich kann mir nicht vorwerfen, zu wenige Chancen verwertet zu haben. Aus meinen Möglichkeiten habe ich 140 Prozent gemacht. Das finde ich schön.
Was haben Sie denn nicht erreicht? PLASBERG Ich hätte berufliche Entscheidungen viel häufiger aus Lust treffen sollen. Ich habe den Druck immer so groß werden lassen, bis ich handeln musste. Deswegen war es mir so wichtig, es jetzt anders zu machen.
Mit dem Abschied von „Hart aber fair“? PLASBERG Ich wollte mir gut überlegen, wann ich aufhöre. „Hart aber fair“ist zwar mit meinem Gesicht verbunden, heißt aber nicht „Plasberg am Montag“. Ich wollte zeigen, dass das Format auch ohne mich funktioniert.
Was hatten Sie sich überlegt? PLASBERG Ich wollte rechtzeitig und aus Lust aufhören. Ich wollte selbstbestimmt gehen, wenn die Leute noch traurig sind, und nicht, wenn sie denken: Wird auch Zeit.
Sie hören tatsächlich mit Lust auf? PLASBERG Ja! Ich habe Lust auf dieses Abenteuer. Wenn ich einfach mal sagen kann: Das Postfach ist leer, der Terminkalender auch, und der Himmel über Düsseldorf ist schön.
Aber Sie werden ja auch nicht nur auf dem Sofa sitzen.
PLASBERG Ganz im Ernst, ich würde gerne in Köln Straßenbahn fahren, aber die nehmen mich nicht, dafür bin ich zu alt. Ich habe mich gefragt, was eine Aufgabe, eine Herausforderung sein kann. Die Antwort: das Nichts. Mal schauen, was aus Langeweile oder besser aus Muße entsteht. Es ist wie bei einem Kind, dem man mal die Playstation wegnimmt. Dann fängt es wieder an, mit Lego zu bauen oder spielt Verstecken.
Sie verschwinden aus dem Rampenlicht.
PLASBERG Man kann nicht länger als 40 Jahre wichtig sein. Oder sich wichtig fühlen. Mal gucken, was passiert. Absturzgefahr inklusive. Guck ich mir gerne an. Was ich aber mitnehme aus meinem Beruf, ist die Neugierde.
Wie darf man sich das vorstellen? PLASBERG Sie kennen das doch sicher: Wenn Sie Zeitung lesen oder durch die Stadt fahren, sehen Sie etwas, was Sie interessiert. Aber Sie haben keine Zeit, nachzugucken, was das eigentlich ist. Ich habe einen Freund, der ist in einer ähnlichen Situation, der ist zwei Jahre jünger, der war auch bei einem Sender. Der sagt, er empfindet es als großes Glück, dieser Neugierde unmittelbar nachgehen zu können.
Zum Beispiel?
PLASBERG Wir haben ein gemeinsames Projekt. Man hört ja immer, dass dieser komische Höcke beim Kyffhäusertreffen ist. Wissen Sie, was Kyffhäuser so genau ist?
Nein.
PLASBERG Es ist ein Mythos, aber irgendwie auch ein Ort in Thüringen.
Wie oft haben wir dieses Wort benutzt, ohne zu wissen, worum es da genau geht? Also fahren wir mal hin, schauen uns das mal an. Nicht wegen der AfD, das wäre berufliches Interesse. Wir fahren da hin, um einfach zu sehen, was da am Kyffhäuser los ist. Vermutlich werden wir auch gut essen und ein gutes Glas Wein trinken. Da freue ich mich drauf.
Da würde sich doch anbieten, Dokumentationen zu drehen. Da könnten Sie Ihrer Neugierde nachgehen.
PLASBERG Stimmt, aber ich habe jetzt genug von Drehterminen und von der Kamera. Dazu hole ich einen Halbsatz weiter aus.
Nur zu.
PLASBERG Wer sich freiwillig in ein Fernsehstudio oder auf eine Bühne begibt, der geht in einen öffentlichen Bewertungsraum, weil er das will. Weil er gesehen werden will. Deswegen darf man sich darüber auch nicht beklagen. Aber irgendwann ist mal gut mit dem bewertet werden. Dann möchte man auch nichts mehr lesen über sich. Und dieses Maß ist voll. Bei mir kam dann noch etwas anderes hinzu.
Nämlich? PLASBERG
Wenn man 34 Sendungen pro Jahr zu unterschiedlichen Themen produziert, dann arbeitet man sich in diese Themen ein. Das ist Journalismus, das macht Freude. Aber dann kam Corona. 44 Sendungen haben wir zu diesem Thema gemacht. Ich war als Moderator aber wie alle anderen auch persönlich von der Lage betroffen.
Was verändert das?
PLASBERG Dann fängt man an, ein bisschen zu wackeln. Man befasst sich durch die Sendungen noch mehr mit dem Thema als ohnehin schon. Und in den Runden sitzen dann Experten, deren Einschätzungen die eigenen Befürchtungen noch übertreffen. Ich fand das äußerst belastend. Sie konnten in der Zeit aber auch nichts anderes machen. Irgendwann endlich haben die Zuschauer dann gesagt: Ich kann es nicht mehr hören! Und wenn wir mit einem anderen Thema als Corona kamen, hieß es dann: Das ist doch völlig unwichtig jetzt. Als sich ein Leben nach Corona abzeichnete, war ich froh.
Aber nicht lange, vermutlich.
PLASBERG Dann marschierte Russland in der Ukraine ein. Und wieder gibt es erstmal das Überthema. Diese Erfahrungen haben mir den Abschied leichter gemacht.
Ihre allererste Sendung „Hart aber fair“haben Sie 2001 aus der Matthäuskirche in Bochum gesendet. Anderthalb Stunden wurde akademisch und lebensnah zugleich über Sterbehilfe diskutiert. In der heutigen Daueraufgeregtheit wirkt die Sendung wie aus der Zeit gefallen. PLASBERG Es war ziemlich bescheuert, die Lokalität passend zum Thema zu wählen. Manchmal ändern wir recht kurzfristig das Thema der Sendung. Dann kann es passieren, dass man vor 400 Jungbauern über Fußballrechte spricht. Wir haben das dann irgendwann sein gelassen.
So eine Sendung wie damals ist doch heute nicht mehr möglich in dieser Tiefe, oder?
PLASBERG Wir machen solche Sendungen immer noch. Es wirkt alles ein bisschen moderner heute, es ist alles ein bisschen formatierter. Ich widerspreche daher Ihrer These: Wir haben leise Sendungen, bei denen die Gäste einander zuhören und ausreden lassen, knapp an der Kirchentagsgrenze vorbei. Trotzdem werden die geguckt, wenn das Thema stimmt.
Meinen Sie nicht, dass sich alles professionalisiert hat in den letzten 20 Jahren?
PLASBERG Ja, hoffentlich!
Ich meine nicht Ihre Sendung, sondern die Gäste. In Ihrer ersten Sendung war gar kein Politiker. Nur Herta Däubler-Gmelin wurde zugeschaltet.
PLASBERG Ich erinnere mich an Pieter Admiraal.
Ein niederländischer Arzt, der für selbstbestimmtes Sterben eintritt. Der hat am Ende der Sendung den „Hart aber fair“-Boxhandschuh verliehen bekommen.
PLASBERG Welch ein Unsinn! Das muss man sich mal vorstellen. Wenn man eine lebendige Diskussion führt, wozu braucht man das?
Es gab eine Jury aus drei Schiedsrichtern vom Eiskunstlauf, Unterwasserrugby und American Football. Die sollten eine Art Sieger der Diskussion bestimmen.
PLASBERG Das war eine typische Schreibtisch-Idee. Damit haben wir nach ein paar Sendungen aufgehört. Es ist oft so, wenn man ein Projekt startet, dass man es überfrachtet.
Abschied aus Aufmerksamkeit ist schwer. Sie wirken ziemlich mit sich im Reinen.
PLASBERG Ich fühle mich genauso,
wie Sie mich sehen, auch wenn ich mir manchmal selbst nicht traue. Es ist schwierig, dass ich so viele Leute um mich habe, die mich traurig angucken. Ich habe meiner Redaktion gesagt: Ihr seht mich so fröhlich, das ist keine Empathielosigkeit, ich bin einfach dankbar für 22 Jahre mit dieser Redaktion. Ich fühle mich einfach gut und freue mich auf das, was kommt. Es ist ein großes Glück für mich.
Ein Gespräch über den Abschied von „Hart aber fair“, was die Corona-Sendungen damit zu tun haben und über seine Zukunft.
Sie haben keine Angst vor Leere? PLASBERG Ich hatte Aufgaben genug. Das Nichts will ich erleben. Kann auch sein, dass man da abrutscht und traurig wird. Gibt ja genug ungefragte Ratgeber, die warnen, dass ich in ein tiefes Loch falle. Aber ich gucke mir das jetzt an. Ich habe auch keine Sachen, die ich lange aufgeschoben habe für die Rente, außer Spanisch zu lernen. Ich muss auch nicht mehr Zeit mit der Familie verbringen, das habe ich schon vorher. Es fühlt sich saugut an, das jetzt selbst zu bestimmen.
HENNING RASCHE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.