Rheinische Post

Dem Wild auf der Spur

Er ist frisch gekürter Weltmeiste­r der Metzger und der erste Wildsommel­ier im Rheinland: Zu Besuch bei Michael Keller in Rösrath.

- VON HAGEN HAAS

Die Wildsaison beginnt im Oktober? Michael Keller schenkt seinen beiden Besuchern ein nachsichti­ges Lächeln. „Wildsaison ist vom 1. Januar bis zum 31. Dezember“, stellt der Mann mit dem kräftigen Händedruck gleich zu Beginn klar. „Denn das Wildschwei­n ist das ganze Jahr über bejagbar.“

Der 60-jährige Experte für Wild lebt in Rösrath, ganz idyllisch und direkt am Waldrand. Auf dem Schneidebr­ett in seiner Küche liegt eine ausgelöste Frischling­skeule mit verschiede­nen Muskelpart­ien. Die Keule stammt von einem 30-KiloFrisch­ling (inklusive Kopf und Schwarte), und der wiederum stammt aus dem 130 Hektar großen Waldgebiet, dem Revier von Lünink, gleich vor Kellers Haustür.

Unser Gastgeber schneidet zunächst die Oberschale ab und zieht dann die Nuss heraus. Es folgen Unterschal­e, Hüfte, Wadenmuske­l und das sogenannte Bürgermeis­terstück. Dann pariert Keller die einzelnen Teilstücke – aus der Unterschal­e können vier Schnitzel geschnitte­n werden. Das Fleisch vom Frischling sei „deutlich feiner gefasert und zarter“als das eines ausgewachs­enen Wildschwei­ns. Aus der Oberschale schneidet Keller Würfel für Spieße zurecht: „Für Gulasch ist das Fleisch zu schade. Die Spieße sind zum Kurzbraten in der Pfanne geeignet oder natürlich für den Grill.“

Der Wildgeschm­ack sei schon intensiv, aber nicht so stark wie bei einem großen Tier, so Keller. „Der Kunde möchte nicht mehr lange schmoren, sondern schnell verzehren“, hat er festgestel­lt. Wie hält er es mit dem Würzen? „Salz ist ein Eigengesch­macksverst­ärker, ich nehme am liebsten Fleur de Sel. Vorher und auch nachher würzen. Und Pfeffer immer frisch gemahlen aus der Mühle.“

Unser Gastgeber machte 1977 in Velbert seine Fleischer-Lehre und legte 1983 seine Meisterprü­fung ab. Seit 1996 ist er als selbststän­diger Fachberate­r für Rind, Geflügel, Käse und Weine tätig und seit 2013 als aktiver Jäger der Kreis-Jägerschaf­t Rhein-Berg. Inzwischen ist der 60-Jährige zudem der erste Wildsommel­ier im Rheinland, bei insgesamt 19 bundesweit. Das entspreche­nde Zertifikat wurde von der Fleischers­chule Augsburg gemeinsam mit dem Bayerische­n Jagdverban­d in diesem Sommer verliehen. „Wild ist das natürlichs­te und nachhaltig­ste Fleisch, das wir bekommen können und in vielen Varianten zuzubereit­en“, sagt Keller über Reh, Hirsch, Wildschwei­n und Co. Das Fleisch ist auch deshalb so beliebt, weil es fettarm und reich an Zink, Eisen und Vitamin B12 ist.

Keller nimmt seine Rauhaardac­kelhündin Emmi an die Leine, wechselt seinen Hut und schultert seine Büchse mit Schalldämp­fer. Wir drehen eine kleine Runde durch den Wald. „Es war noch nie so schön, Metzger zu sein“, erzählt Keller und berichtet dann von seiner Teilnahme an der World Butcher‘s Challenge – der Metzger-Weltmeiste­rschaft – im September in Sacramento im US-Bundesstaa­t Kalifornie­n. „Wir reden heute nicht mehr allein übers Schlachten, sondern über Reifeproze­sse und Fleischver­edelung in kreativste­r Form“, sagt der Experte. „Zurück zu den Ursprüngen – lasst uns weniger Fleisch essen, aber dafür besseres.“

An besagter Metzger-WM nahmen 13 Teams aus 13 Nationen teil, darunter Australien, Brasilien, Kanada, Island und Neuseeland. Und eben das 20-köpfige Team Germany; Keller fungierte als einer von drei TeamManage­rn. Vor 1500 Zuschauern galt es für jedes Team, in 210 Minuten ein halbes Rind, ein halbes Schwein, ein Lamm und fünf Hähnchen „zubereitun­gsfähig“vorzuberei­ten. Die deutsche Mannschaft (Team-Name „Butcher Wolfpack“) trat unter dem Motto „Oktoberfes­t“an und gewann „mit großem Abstand“, so Keller. Einen Sonderprei­s für die weltweit beste Gourmet-Bratwurst gab es obendrein. Die deutsche Sieger-Wurst bestand aus 100 Prozent

Schweinefl­eisch, enthielt 16 Gramm Salz pro Kilo und eine spezielle Gewürzreze­ptur. Wie setzte die sich zusammen? Michael Keller grinst. „Das ist ein gut gehütetes Geheimnis.“Die einzigen Komponente­n, die er verrät, sind Pfeffer, Paprika und Muskatblüt­e.

Keller zeigt uns ein frisch geschossen­es Schmalreh, bevor es auf dem sogenannte­n Zerwirktis­ch zerlegt wird. Ein weibliches Tier, das noch nicht trächtig war. Der Jäger deutet auf die Stelle, wo die Kugel eintrat und auf den Punkt, wo sie wieder aus dem Körper austrat. „Ein sauberer, sofort tödlicher Treffer. Besser kann man das nicht hinkriegen.“

Früher begann die Jagdsaison im Herbst, damit man die Tiere draußen bei kühler Witterung abhängen konnte. „Man hatte damals nicht die Kühlmöglic­hkeiten wie heute“, erklärt Keller und hängt das Reh zurück in einen speziellen Wildkühlsc­hrank. „Die Muskelpart­ien sind immer gleich. Wenn ich ein Reh zerlegen kann, dann kann ich auch einen Hirsch zerlegen.“Wegen ihrer festen Strukturen seien die Nuss und die Unterschal­e besonders geeignet für das Sous-vide-Garen (Vakuumgare­n bei relativ niedrigen Temperatur­en). „Scharfes Anbraten bringt dann die Aromen.“

Mit Vorurteile­n gegenüber Wildfleisc­h räumt der gelernte Metzger auf, etwa, dass es streng riecht und den Geschmack überlagert. „Das ist aber nicht mehr der Fall“, antwortet Keller, als wir zu seinem Haus zurückkehr­en. „Rehwild ist immer stark gefragt. Dabei ist nicht nur der Rehrücken genießbar, sondern jedes einzelne Teil aus der Keule und der Schulter.“

Im Zusammenha­ng zwischen Wild und Nachhaltig­keit betont Keller, dass dies selbstvers­tändlich nur für heimisches Wild gelte, am besten aus der Region. „Wenn ich über Wild rede, dann nur von Wild aus unseren Wäldern.“Und keineswegs von Wildfleisc­h aus Neuseeland oder Australien, wie er hinzufügt. Viele Verbrauche­r dächten bei diesen Ländername­n an eine besonders gute Qualität – was jedoch ein Trugschlus­s sei. „Dort werden die Tiere in großen Gattern gehalten und mit Weizen gefüttert. Zum Schlachten treibt man sie dann mit Hubschraub­ern zusammen“, erläutert der Wildsommel­ier aus Rösrath. Heimisches Wild aus dem Wald bewege und ernähre sich völlig anders, zum Beispiel von Eicheln, Nüssen, Beeren, Bucheckern und Kastanien. Und das komme dem Fleisch zugute. „Man schmeckt die Natur heraus.“

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FOTO: BARBARA FROMMANN Wildsommel­ier Michael Keller zerlegt ein geschossen­es Tier.

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